Hypertrophīe

[709] Hypertrophīe (griech., »übermäßige Ernährung«). Massenzunahme eines Körpergewebes, sei es durch Vermehrung oder durch Vergrößerung der dasselbe zusammensetzenden Zellen. Das hypertrophische Gewebe ist nach Bau und Verrichtung dem normalen gleich oder sehr ähnlich (Homöoplasie, im Gegensatz zu den Gewächsen und Geschwülsten). Die durch Vermehrung der Zellen hervorgebrachte H. nennt man auch numerische H. oder Hyperplasie. Zellvermehrung und Vergrößerung gehen vielfach nebeneinander her. Die Ursache der H. liegt manchmal in einer angebornen Anlage; dabei betrifft die H. häufig den ganzen Körper oder einzelne Glieder, wie beim Riesenwuchs und der Akromegalie; in andern Fällen einzelne Gewebsformationen, z. B. das Horngewebe bei der Ichthyosis oder bei der Hypertrichosis, dem abnorm gesteigerten Haarwuchs. Häufiger wird die H. erworben durch besondere Einwirkungen während des Lebens, besonders durch Erhöhung der von den Organen oder Körpergeweben zu leistenden Arbeit. Hierbei stellt die H. eine heilsame Anpassungserscheinung (kompensatorische H.) dar, z. B. die H. des Herzens bei Herzfehlern (s. Herzhypertrophie), die H. einer Niere bei Verlust der andern, indem das neugebildete Gewebe die Funktion des verlornen erfüllen, bez. die neu entstandenen Ansprüche befriedigen kann. Eine Art H. kann ferner erfolgen durch Nichtgebrauch von Gewebe, das normalerweise dauernd abgenutzt wird, z. B. bei den Nägeln, bei mangelnder Abstoßung der Hornschicht der Epidermis. Die sogen. falsche H. beruht entweder auf einseitiger Zunahme nur des Bindegewebes, die zuweilen selbst mit Verdrängung und Untergang der wesentlichen Gewebsbestandteile verbunden ist, oder auf Einlagerung fremdartiger Substanzen und fremdartiger Gewebselemente in und zwischen die normalen Gewebsteile. Die falsche H. der Leber z. B. beruht bald auf Zunahme des in der Leber normal vorkommenden Bindegewebes, mit oder ohne Untergang der einheitlichen Leberzellen, auf Einlagerung massenhafter kleiner Rundzellen (Syphilis) zwischen die Zellen und Blutgefäße der Leber etc. Als falsche H. werden also ganz verschiedenartige Zustände bezeichnet, denen als gemeinsames Sympton nur die Vergrößerung des Organs zukommt, während die chemischen und physikalischen Eigenschaften desselben mannigfach abgeändert sind. Die echte H. bewirkt meist eine Steigerung der Verrichtungen, die falsche H. fast immer das Gegenteil davon. Die Symptome und Folgen der H. sind bei den einzelnen Organen so verschieden, daß sich darüber keine allgemeinen Sätze aufstellen lassen. Vgl. Virchow, Cellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1871); Ziegler, Lehrbuch der allgemeinen Pathologie etc. (10. Aufl., Jena 1901, 2 Bde.).

In der Botanik bezeichnet man mit H. eine auf überreichlicher Ernährung beruhende Vergrößerung von Pflanzenteilen über ihr gewöhnliches Maß; sie wird z. B. durch übergroße Nahrungszufuhr, bei starker Düngung oder sehr reichlicher Wasserzufuhr, bisweilen auch durch Wegnahme gewisser Teile der Pflanze bewirkt; wenn z. B. alle Triebe bis auf einen oder einige weggeschnitten werden, tritt unter Umständen eine riesenhafte Vergrößerung der Stengel und Blätter ein (Riesenwuchs, Gigantismus). Auch die Bildung der als Wasserreiser (Wassersprosse, Wasserloden, Nebenreiser, Räuber) bekannten Riesensprosse beruht auf H., indem nicht genügende Verbrauchsstellen für die aufgenommene Nahrung vorhanden sind. Bisweilen erzielen die Gärtner durch Abkneipen junger Früchte, Blüten und Laubtriebe abnorm große Früchte, Trauben, Blüten etc. Die Wirkungen der H. bestehen nicht bloß in einer Vergrösserung und Verunstaltung der Pflanzenteile, wie z. B. einer Verbänderung, Krümmung und Einrollung, Torsion, Anschwellung der Stengel, Spaltung und Kräuselung der Blätter u. dgl., sondern auch in Vermehrung der Zahl normal oder abnorm gestalteter Organe sowie in Umänderungen ihrer morphologischen Ausbildung. Sehr häufig wird auch durch Parasiten übermäßige Nahrungszufuhr nach den infizierten [709] Organen verursacht, die eigentümliche Hypertrophien zur Folge hat; dahin gehören die durch manche Schmarotzerpilze bewirkten Verunstaltungen und die von parasitischen Tieren hervorgebrachten Gallen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 709-710.
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