Inspirationsgemeinden

[872] Inspirationsgemeinden (Inspirierte), die zu Anfang des 18. Jahrh. durch Anregung von seiten der Propheten der Kamisarden (s. d.) aus Separatisten gegründeten Sekten, die an eine fortwährend bestehende unmittelbare göttliche Inspiration einzelner Auserwählten glaubten. Nach dem unglücklichen Ausgang der Religionskämpfe in den Cevennen wendeten sich viele der neuen Propheten 1706 nach England und Schottland und von dort, aus der bischöflichen anglikanischen Kirche 1707 ausgeschlossen und dadurch zur Konstituierung einer besondern Kirchengemeinschaft gezwungen, nach den Niederlanden. Sie stimmten in der Lehre im wesentlichen mit der evangelischen Kirche überein, nur verwarfen sie deren äußere Institutionen, namentlich das Lehramt und die Sakramente. Der Heilige Geist erwählt sich nach ihrer Meinung jeweilig aus den Gläubigen seine Werkzeuge und erteilt ihnen durch ein »inneres Licht oder Wort« (»lumen sive verbum internum«) besondere Offenbarungen. Die mit der »Einsprache« Begnadigten treten sodann in den gottesdienstlichen Versammlungen auf mit Ermahnungen zur Buße und Besserung, die unter Zuckungen und Schluchzen stoßweise sich aus der Seele losringen. Zwischen 1714 und 1716 fanden auch Liebesmahle statt, denen die Fußwaschung voranging. Dieses Inspirationswesen fand bei den Pietisten und Separatisten im nördlichen und westlichen Deutschland einen besonders empfänglichen Boden. Schon 1713–14 entstanden in Halle und Berlin I. Sie verpflanzten sich in die Wetterau, wo sich ihnen die Führer der dortigen Separatisten, Eberh. Ludw. Gruber (gest. 1728) und Joh. Friedr. Rock (gest. 1749), anschlossen. Inspirierte Missionare durchzogen von der Wetterau aus das ganze westliche Deutschland und die Schweiz und gründeten allenthalben kleinere I., die zusammen die »Wanderkirche« bildeten. Auch in Germantown in Pennsylvanien war durch Joh. Gruber, Sohn des Vorgenannten, eine separatistische Gemeinde gestiftet worden. Streitigkeiten, teils mit den geistesverwandten Herrnhutern, teils innere, beschleunigten den mit Rocks Ableben eintretenden Verfall der I. Fast erloschen, lebte seit 1816 der Inspirationsgeist wieder auf, und die alten Gemeinden in der Wetterau, der Pfalz und dem Elsaß reorganisierten sich, wanderten aber, vielfach bedrückt, 1841 nach Ebenezer bei Buffalo im Staat New York aus, wo sie, etwa 2000 Seelen stark, sich unter Leitung von Christian Metz mit Ackerbau und Tuchfabrikation beschäftigten und in teilweiser Gütergemeinschaft lebten. Auch nach Kanada haben sie Kolonien ausgesandt. 1854 wendeten sich die meisten nach dem Staat Iowa, wo 1855 die kommunistische Kolonie Amana (s. d.) gegründet wurde. Vgl. Göbel in Niedners »Zeitschrift für historische Theologie«, 1855 u. 1857; Knortz, Die wahre Inspirationsgemeinde in Iowa (Leipz. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 872.
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