Interessenharmonie

[883] Interessenharmonie, die Übereinstimmung zwischen dem Wohlergehen der einzelnen und demjenigen der Gesamtheit. Während Vertreter der englischen Schule der Nationalökonomie (Ricardo, Malthus) die wirtschaftlichen Zustände pessimistisch auffaßten und von Gesetzen sprachen, nach denen das Elend der Welt unausrottbar sei, haben, nachdem schon früher der Physiokrat Gournay u. a. die Ansicht ausgesprochen hatten, das vernünftige Interesse des einzelnen sei immer im Einklang mit dem allgemeinen, besonders Carey und Bastiat die I. zum Kernpunkt ihrer Lehren gemacht. Nach Bastiat besteht eine I. zwischen Moral und Volkswirtschaft; der einzelne fördert durch sein tugendhaftes Verhalten zugleich sein wirtschaftliches Interesse und das der Gesamtheit. Zwischen den richtig verstandenen Gesetzen der Moral und der Wirtschaftslehre findet kein Widerspruch statt. Es besteht aber auch ferner I. zwischen den einzelnen wirtschaftlichen Klassen, zwischen Grundbesitz, Handel und Industrie, zwischen Arbeitern und Arbeitgebern. Zins und Gewinn wachsen nicht auf Kosten des Arbeitslohnes, sondern zugleich mit dem letztern. Als Bedingung einer vollständigen I. nennt Bastiat die Freiheit des wirtschaftlichen Verkehrs, während sie nach Carey nicht ohne Mitwirkung des Staates zu verwirklichen ist. In Wirklichkeit kann die I. nur als ein Ideal betrachtet werden, das bei keiner gesellschaftlichen Verfassungsform vollständig zu erreichen ist.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 883.
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