Interessenpolitik

[883] Interessenpolitik und Interessenvertretung. In der Politik ist das Interesse (s. d.) das bewegende Element, und sofern es sich bei der politischen Tätigkeit um die Vertretung der Interessen des Staates, der Dynastie, der Regierung, der Gemeinden oder um die Interessen des Volkswohlstandes, des Handels und Verkehrs, der Machtstellung und der Ehre des Volkes u. dgl. handelt, ist alle Politik Interessenpolitik. Man pflegt jedoch diesen Ausdruck regelmäßig anzuwenden, um eine einseitige Interessenpolitik, d. h. ein einseitiges Verfolgen besonderer Interessen ohne Rücksicht auf die Interessen der Gesamtheit, zu bezeichnen. Daß jemand für ein rechtlich erlaubtes und zulässiges Interesse eintritt, ist nichts Unrechtes, unter Umständen sogar verdienstlich. Darum ist es auch durchaus nicht tadelnswert, wenn zur Erreichung solcher Zwecke die einzelnen Interessentengruppen sich fester zusammenschließen, wenn sie eine planmäßige Interessenvertretung organisieren, und wenn sie für ihre Interessen eine Agitation unterhalten. Tadelnswert kann eine solche Interessenvertretung aber dann sein, wenn sie einseitig da vorherrscht, wo das allgemeine Interesse entscheiden sollte. Das moderne Staatsleben stellt das letztere in den Vordergrund. Die Frage, wie weit eine Interessenvertretung zulässig sei, wird viel erörtert. Vorab muß gefordert werden, daß die Wahrnehmung von Berufsinteressen sich innerhalb der Grenzen der strengsten Gesetzlichkeit halte. Die Bildung von Vereinen zu solchem Zweck ist an sich durchaus zulässig; allein die Übertragung irgend einer obrigkeitlichen Gewalt an sie ist nicht selten nachteilig, vielmehr sollten diese Vereine ihren Einfluß lediglich dem Gewichte der von ihnen beigebrachten Gründe verdanken.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 883.
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