Kacheln

[410] Kacheln, vierkantige glasierte Platten aus gebranntem Ton, aus denen die Kachelöfen (s. Zimmeröfen) zusammengesetzt werden. Jede Kachel besteht aus dem Blatt u. einem aufstehenden Rand, der Zarge. Man bildet K., indem man aus einem Tonklotz mit Hilfe eines Drahtes Platten schneidet, die Zarge auf der Scheibe als Ring dreht, dann ins Viereck biegt und auf die Platte klebt.

Fig. 1. Kachelofen von Adam Vogt (Rathaus in Augsburg).
Fig. 1. Kachelofen von Adam Vogt (Rathaus in Augsburg).
Fig. 2. Gemalter Fayenceofen (Zürich).
Fig. 2. Gemalter Fayenceofen (Zürich).

Besser und schneller werden die K. aber im ganzen aus dicken Tonplatten gepreßt, wobei die flache Außenseite der K. durch eine ebene Preßplatte, die innere Vertiefung durch einen Preßkern oder Stempel und die Aushöhlung der äußern Randfläche durch einen am Scharnier zu öffnenden Rahmen gebildet wird. Die Zargen geben den K. mehr Festigkeit beim Aufstellen und gestatten, die Ofen inwendig stark mit Lehm zu überziehen. Die gebrannten K. werden oft auf einer eisernen Platte mit Sand abgeschliffen und dann glasiert. Die weiße Glasur besteht aus Mennige, Zinnasche, Quarzsand, Ton, kohlensaurem Kalk, kohlensaurer Magnesia und Soda. K. ohne Glasur nennt man Biskuitkacheln, die glasierten Schmelzkacheln. K. zur Herstellung von Kachelöfen wurden schon im 9. Jahrh. gefertigt, um welche Zeit sich bereits in St. Gallen Kachelöfen befanden. Seit dem 13. und 14. Jahrh. wurden letztere überall in Mittel- und Süddeutschland, besonders in Nürnberg und der Schweiz, fabriziert. Die ältesten, mit figürlichen, ornamentalen und Wappenreliefs verzierten Ofenkacheln aus gebranntem und glasiertem Ton gehören der gotischen Zeit, dem 14. und 15. Jahrh., an. Heilige und profane Figuren, Darstellungen aus der heiligen[410] Geschichte, Wappen und Allegorien bildeten schon frühzeitig den Schmuck der meist grün, seltener schwarz glasierten Ofenkacheln (s. Tafel »Keramik I«, Fig. 1 u. 16), der sich im Laufe der Renaissance zu einem den ganzen Ofen überziehenden Bilderzyklus erweiterte. Schon die Gotik hatte dem Kachelofen durch Scheidung in Auf- und Untersatz mit Gesims und Fuß eine architektonische Gliederung gegeben, die von der Renaissance nach antiken Architekturformen noch reicher ausgebildet wurde. In der Keramik des 16. und 17. Jahrh. spielte der Kachelofen eine hervorragende Rolle. Süddeutschland, Tirol und die Schweiz waren die Hauptfabrikationsorte glasierter Kachelöfen, die, oft durch Seiten- und Hintersitze erweitert, ein Hauptstück der Zimmerausstattung bildeten und von oben bis unten mit Figuren, Reliefs, Sprüchen und allerlei Zierat versehen wurden (s. Tafel »Ornamente III«, Fig. 27 u. 31). Reich an solchen Ofen sind das Germanische Museum und die Burg in Nürnberg, die Burg Trausnitz bei Landshut, das Rathaus in Augsburg (Fig. 1), das schweizerische Landesgewerbemuseum in Zürich und zahlreiche Privathäuser und Burgen in der Schweiz (Fig. 2) und in Tirol. Im 17. Jahrh. wurden glatte K. farbig und besonders blau auf weiß nach dem Vorbilde der holländischen Fayencemalerei dekoriert. Am längsten erhielt sich die Ofenfabrikation in künstlerischem Sinn in Winterthur, wo sie bis ins 18. Jahrh. hinein in Blüte stand. Sonst geriet mit dem Beginn des 18. Jahrh. die alte Kunst in Verfall, und es entwickelte sich der Rokoko-Ofen, z. T. mit reicher Vergoldung und Bemalung versehen, der im Anfang des 19. Jahrh. dem antik stilisierten Ofen weichen mußte, der durch Schinkel und seine Schüler eingeführt wurde und lange Zeit ausschließlich in der Mode blieb. Erst in neuerer Zeit sind neben dem weißen Kachelofen wieder Nachbildungen alter Kachelöfen in gotischen, Renaissance- und Rokokoformen verbreitet worden. Vgl. Bühler, Die Kachelöfen in Graubünden aus dem 16.–17. Jahrhundert (Zürich 1881); Roeper und Bösch, Sammlung von Öfen in allen Stilarten vom 16. bis Anfang des 19. Jahrh. (Münch. 1895); Hirth, Das deutsche Zimmer (4. Aufl., das. 1899, 2 Bde).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 410-411.
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