Rokŏko

[64] Rokŏko, von rocaille (s. Grotte) abgeleitete Bezeichnung für den in Frankreich unter der Regentschaft (1715–23) aufgekommenen und unter Ludwig XV. ausgebildeten Bau- und Dekorationsstil, der später auch in Deutschland zur üppigsten Blüte entfaltet wurde (besonders am Rhein, in München, Würzburg, Dresden, Berlin und Potsdam) und bis um 1770 herrschend blieb, obwohl schon seit ca. 1760 die Reaktion des nüchternern Zopfstils (etwa dem Stil Louis XVI. entsprechend) sich fühlbar machte. Der Rokokostil brachte keine neuen konstruktiven Elemente mit, sondern war vorzugsweise Dekoration und kam deshalb hauptsächlich bei der Gestaltung der Innenräume, auch in äußerlich durchaus klassizistischen Bauten, zur Anwendung. Semper bezeichnet es als Eigentümlichkeit des R., daß »das Rahmenwerk in ihm selbständig und zum Organismus wird, alle andern traditionellen Formen der Baukunst zu ersetzen beginnt«. Eine willkürliche, aber bestrickend anmutige Ornamentik, bei der eine eigentümliche Muschelform die Hauptrolle spielt, macht sich auf Kosten einer strengen Stilistik geltend. Die Bemalung der Innenräume hielt sich in hellen, gebrochenen Farben; namentlich wurde auch viel Vergoldung angewandt. Die Hauptschöpfungen des R., das neuerdings wieder sehr in Aufnahme gekommen ist, finden sich in französischen Schlössern, in Brühl und Benrath am Rhein, in München (Residenztheater, Nymphenburg), Würzburg, im Residenzschloß und Sanssouci bei Potsdam. Das R. erstreckte sich auch auf das gesamte Kunstgewerbe des 18. Jahrh. und hat namentlich der Porzellanfabrikation ihr Gepräge gegeben. Es nahm auch chinesische Elemente in sein dekoratives System auf. Vgl. A. v. Zahn, Barock, R. und Zopf (in der »Zeitschrift für bildende Kunst«, Bd. 8, Leipz. 1873); Schumann, Barock und R. (das. 1885); Gurlitt, Geschichte des Barockstils, des Rokoko und des Klassizismus (Stuttg. 1888–89, 3 Tle.); Dohme, Barock- und Rokoko-Architektur (Berl. 1892, 3 Bde.); Gurlitt, Das Barock- und Rokoko-Ornament Deutschlands (das. 1886–90); Lambert und Stahl, Barock- und Rokoko-Architektur der Gegenwart (Stuttg. 1892-[64] 1893, 60 Tafeln); Jessen, Das Ornament des R. und seine Vorstufen (Leipz. 1894, 120 Tafeln); Graul, Das 18. Jahrhundert. Dekoration und Mobiliar (Handbuch der königlichen Museen, Berl. 1905). – R. nennt man auch die Tracht jener Kunstperiode, und danach war R. früher die Bezeichnung für etwas Veraltetes oder Altmodisches.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 64-65.
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