Muskelatrophie

[318] Muskelatrophie (Muskelschwund) tritt zunächst ein in Muskeln, die sich wenig oder gar nicht bewegen (Inaktivitätsatrophie), also z. B. bei einem steifgewordenen Gelenk, nach Durchtrennung oder sonstiger Verletzung der Sehne oder des Muskels selbst. Stärker und rascher entwickelt sich M., wenn die den Muskel versorgenden Bewegungsnerven erkranken oder die im Rückenmark (bez. verlängerten Mark) liegenden Nervenzellen, aus denen sie entspringen. Nervenzelle, Nervenfaser und Muskelzelle bilden, was die Ernährung betrifft, ein zusammen gehöriges Ganze, der jeweilige von der Nervenzelle abgetrennte Teil muß dem Schwund anheimfallen. Daher können sowohl Nervenverletzungen und Nervenentzündungen als verschiedene Erkrankungen des Rückenmarkes zu dieser neuropathischen M. führen, die je nach Ort und Ausdehnung des zugrunde liegenden Leidens verschiedene Muskelgebiete befallen kann. Verfallen (aus bisher unbekannten Gründen) ganz allmählich die Nervenzellen der grauen Vorderhörner des Rückenmarkes einem Schwund, so ergibt sich das Krankheitsbild der progressiven spinalen (d.h. fortschreitenden, vom Rückenmark ausgehenden) M., die in der Regel kräftige, bisher gesunde Menschen befällt und namentlich in den Hand- und Schulterblattmuskeln beginnt. Von dieser Form der M. unterscheidet sich die progressive Muskeldystrophie dadurch, daß hierbei das Nervensystem intakt ist, die Erkrankung also von den Muskeln ausgeht. Diese Dystrophie befällt besonders die Muskeln des Rumpfes, des Beckens und der Beine, dabei verbirgt sich der Muskelschwund häufig hinter einer abnormen Massenzunahme durch Einlagerung von Fettgewebe, so daß eine Pseudohypertrophie des Muskels entsteht. Die Muskeldystrophie beginnt sehr häufig im Kindesalter (infantile Form), in andern Fällen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Die spinale M. und die Muskeldystrophie sind einer Behandlung kaum zugänglich, in den andern Fällen von M. kann Anwendung des elektrischen Stromes, Massage, Heilgymnastik, operative Entfernung der Ursachen Heilung oder Besserung bewirken.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 318.
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