Mysterĭen [2]

[346] Mysterĭen (Vermischung von lat. ministerium und mysterium, s. d.), im Mittelalter eine Art geistlicher Schauspiele, in denen Szenen der heiligen Geschichte, besonders der Geburt, der Passion, der Auferstehung und der Wiederkunft des Heilands, dargestellt wurden. Die Ausführung fand im Anfang nur in den Kirchen durch Geistliche und Chorknaben statt, später auch auf Straßen und öffentlichen Plätzen, besonders zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Geschichtlich kann man die M. auf kirchliche Zeremonien des 8. bis 9. Jahrh. zurückführen. Der Text war anfangs, solange nur Geistliche die Spielenden waren, ganz oder zum größten Teil lateinisch abgefaßt (sogen. officium), erst später in der Volkssprache; häufig wechselten Gesänge mit der Rede. Vgl. Milchsack, Die Oster- und Passionsspiele (Wolfenb. 1880). Zu den ältesten der auf uns gekommenen deutschen Dramen dieser Art gehören Bruchstücke eines Passionsspiels aus dem Anfang des 13. Jahrh. (hrsg. von Bartsch in der »Germania«, Bd. 8), sodann das »Spiel von den klugen und törichten Jungfrauen« (1322 in Eisenach[346] ausgeführt) und das »Spiel von St. Katharina«. Im 15. und 16. Jahrh. fand die Ausführung in Frankreich durch eine privilegierte Gesellschaft, die »Confrérie de la Passion« (s. d.), statt. Überbleibsel der M. sind die Passionsspiele (s. d.) in Oberammergau und in Tirol. Sammlungen französischer M. veranstalteten Monmerqué und MichelThéâtre français du moyen-âge«, Par. 1839), Jubinal (»Mystères inédits du XV. siècle«, das. 1837, 2 Bde.), Paris und Robert, (40) »Miracles de Nostre-Dame par personnages« (das. 1876–93, 8 Bde.); deutsche M. veröffentlichten MoneAltdeutsche Schauspiele«, Quedlinb. 1841, und »Schauspiele des Mittelalters«, Karlsr. 1846, 2 Bde.), Kummer (»Erlauer Spiele. Sechs altdeutsche M.«, Wien 1882) und Wackernell (»Tiroler Passionsspiele«, Innsbr. 1894). Vgl. Wright, Early mysteries (Lond. 1838); Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Bd. 1 (Leipz. 1848; neue Ausg., Berl. 1905); R. Heinzel, Beschreibung des geistlichen Schauspiels im deutschen Mittelalter (Hamb. 1898); Hase, Das geistliche Schauspiel (Leipz. 1858); Petit de Julleville, Histoire du théâtreen France. Les mystères (Par. 1880, 2 Bde.); Creizenach, Geschichte des neuern Dramas, Bd. 1 (Halle 1893); Davidson, Studies in the English mystery plays (New Haven, Yale-Universität, 1893); d'Ancona, Origini del teatro italiano (2. Aufl., Turin 1891, 2 Bde.); Sepet, Origines catholiques du théâtre moderne. Les drames liturgiques, les mystères, etc. (Par. 1901); E. K. Chambers, The mediæval stage (Oxf. 1903, 2 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 346-347.
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