Offensīve

[914] Offensīve (franz.), das angriffsweise Vorgehen gegen den Feind im Gegensatz zum Abwarten desselben in der Defensive (s. d.). Man unterscheidet die strategische O., das Angriffsverfahren in der Kriegführung, und die taktische O., den Angriff auf dem Schlacht- oder Gefechtsfelde. Jene erspart dem eignen Lande die Schrecken des Krieges durch Eindringen in Feindesland und gestattet, das Heer auf Kosten des Feindes zu erhalten. Das frische Vorwärtsgehen hebt Mut und Zuversicht der Truppen. Der Angreifer hat die freie Wahl für Beginn der Bewegungen sowie in Richtung und Verteilung seiner Streitkräfte, vermag daher leichter den Gegner zu täuschen und überraschend sowie mit Überlegenheit an der entscheidenden Stelle anzugreifen. Der strategischen Defensive kommt die Kenntnis und leicht ere Benutzung des Kriegsschauplatzes[914] zustatten. Die Fest ungen geben dem Verteidiger Stützpunkte und Zufluchtstätten, sie fesseln den Gegner und schwächen sein Feldheer. Eisenbahnen und eine befreundete Bevölkerung begünstigen einen schnellen Ersatz an Mannschaften und sonstigen Kriegsbedürfnissen. Eine Volksbewaffnung im eignen Lande kann die Streiterzahl vermehren und die längern rückwärtigen Verbindungen des Angreifers gefährden; man war allerdings stets geneigt, diese Gefährdung im Hinblick auf das Gesamtergebnis eines Krieges höher zu bewerten, als sie es verdient. Die taktische O., der Angriff auf dem Gefechtsfelde, wirkt ermutigend auf den Soldaten. Der Angreifer kann überraschend mit versammelten Kräften vorbrechen. Nur durch den Angriff können entscheidende Erfolge erzielt werden. Dagegen hat der Verteidiger in der taktischen Defensive die Wahl des Geländes für sich, das er in höherm Umfang als der Angreifer künstlich verstärken kann; er vermag mit mehr Ruhe die Feuerkraft der Waffen auszunutzen. Aber das untätige Abwarten, ob, wann und wo der Hauptangriff geführt wird, drückt die Stimmung der Kämpfer herab. Auch der Verteidiger verzichtet nicht auf die Vorteile der O.; will er den Gegner schädigen, dann rafft er sich zum Gegenstoß auf; im kleinen und großen ergreift er die günstigen Gelegenheiten zur O., er führt eine aktive Verteidigung, die besonders im russischen Infanteriereglement gefordert wird, jedoch an den Führer wie an die Truppe die schwersten Anforderungen stellt, weil gerade im psychologisch schwächsten Moment, nämlich nachdem der Gegner mit äußerster Anstrengung abgeschlagen ist, eine neue, nicht minder große Anstrengung gefordert werden muß, deren Erfolg recht zweifelhaft sein kann. Beispiele hierfür sind denn auch in der Kriegsgeschichte recht selten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 914-915.
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