Piroplasmosen

[904] Piroplasmosen, weitverbreitete und verheerende Seuchen der Säugetiere, erzeugt durch einen tierischen zu den Protozoen gehörigen Blutparasiten von birnförmiger Gestalt, daher Piroplasma (oder Pyroplasma, bez. Pirosoma von pyrum oder pirum, die Birne) genannt, der lediglich durch blutsaugende Zecken (Ixodes) übertragen wird (daher auch Zeckenkrankheit). Das Piroplasma lebt in den roten Blutkörperchen, zerstört sie und ruft dadurch meist tödliche Allgemeinerkrankungen hervor. Bei manchen Formen geht der Blutfarbstoff, das Hämoglobin, aus den zerstörten Blutkörperchen in den Harn über, der mehr oder weniger blutrot bis schwarzrot erscheint. Diese Färbung (Hämoglobinurie) ist eine zwar nur symptomatische, aber auffällige Erscheinung, auf die sich der Name vieler Formen von Piroplasmose bezieht. Die nicht mit Hämoglobinurie verbundenen Formen verlaufen meist etwas langsamer, aber nicht weniger gefährlich. Die für die Übertragung geeigneten Zeckenarten, die an Piroplasmose erkrankte Tiere befallen und von ihnen Blut saugen, nehmen damit auch die Blutparasiten auf. Die weiblichen Zecken lassen sich dann zu Boden fallen und legen binnen 14 Tagen mehrere tausend Eier, in welche die Keime der Blutparasiten übergehen. Aus diesen Eiern entwickeln sich[904] nach 4 Wochen sechsbeinige Larven mit Stechrüssel, die auf dem Graswuchs der Weiden sitzen und wiederum auf Säugetiere übergehen, auf denen sie zu achtbeinigen Nymphen und dann zu geschlechtsreifen Tieren werden, die sich kopulieren und neue Generationen produzieren. Jene Larven beherbergen aber die Keime der Blutparasiten und indem sie, bez. die folgenden Entwickelungsformen sich wieder an den befallenen Tieren festsaugen, übertragen sie in deren Blut die Parasiten. Tiere, die einmal P. überstanden haben, erkranken selbst nicht mehr, können aber trotzdem eine Quelle der Ansteckung für gesunde, nicht immune Tiere werden, indem sie die Parasiten beherbergen, bez. immer wieder durch Vermittelung der Zecken aufnehmen. Es scheint sogar, als ob diese fortwährende Zeckenübertragung zur Erhaltung der Immunität notwendig sei und letztere verloren geht, wenn die Tiere längere Zeit in zeckenfreie Gegend gebracht werden. Piroplasmose kommt in verschiedenen Formen namentlich bei Rindern vor, aber auch bei Pferden, Eseln, Schafen und Hunden, ohne daß die P. der verschiedenen Tierarten gegenseitig übertragbar wären. Manche dieser Krankheiten werden auch landläufig als Malaria bezeichnet, haben jedoch damit nichts gemein. Das Wesen der Piroplasmose wurde 1889 von Smith und Kilborne erkannt bei der unter dem Namen Texasfieber (s. d.) bekannten, in Nord- und Südamerika verbreiteten Rinderkrankheit. Dann entdeckte man, daß die in Deutschland, Frankreich, Italien, in den Donauländern, in Finnland, Norwegen, neuerdings auch in England unter verschiedenen Namen verbreitete Hämoglobinurie (s. d.) der Rinder ebenfalls eine Piroplasmose und mit Texasfieber identisch sei. Schließlich wurde festgestellt, daß in ganz Südafrika die Piroplasmose beim Rinde verbreitet und nächst der Rinderpest die verheerendste Rinderseuche ist. Sie tritt hier in zwei Formen auf, von denen die eine mit, die andre ohne Hämoglobinurie verläuft. Die erstere herrscht namentlich in den ehemaligen Burenrepubliken und Natal und wird Texasfieber oder (ordinary) redwaterRotwasser«, wegen des blutig gefärbten Harnes) genannt, verläuft in etwa zwei Tagen und tötet 60–80 Proz. der Kranken. Die letztere Form hieß früher Rhodesian redwater. Der Name ist jedoch unpassend, da der Harn nicht rot gefärbt ist und die Krankheit zwar in Rhodesia und in das Burenland eingeschleppt wird, aber an der Ostküste heimisch ist, weshalb Robert Koch sie Küstenfieber genannt hat. Dabei ist das Küstenvieh selbst frei davon, d.h. durch Krankheiten in früherer Zeit immun geworden, beherbergt aber die Parasiten in seinem Blut, andres Vieh, das die Küste passiert, wird dabei krank. Beide Formen können als Mischinfektion nebeneinander bestehen, sind aber verschieden, da das Überstehen der einen nicht zugleich immun gegen die andre macht. Die Parasiten sind Varietäten von Piroplasma bigeminum, die übertragende Zecke ist bei ordinary redwater Rhipicephalus (boophilus) annulatus, bei Küstenfieber Rhipicephalus decoloratus. Auch eine transkaukasische (tropische) Rinderpiroplasmose ohne Hämoglobinurie kommt vor (Parasit: Piroplasma parvum), und endlich ist das in Australien herrschende Tick fever wahrscheinlich ebenfalls Piroplasmose. – Nächst der mithin in allen Erdteilen herrschenden Rinderpiroplasmose hat die größte Bedeutung die Pferdepiroplasmose (fälschlich Pferdemalaria, Biliary fever of horse) in ganz Südafrika (Piroplasma equi), die übrigens nichts mit der Pferdesterbe gemein hat. Einheimische Pferde sind (im Gegensatz zur »Sterbe«) immun, unter den eingeführten Pferden (z. B. denen der englischen Armee im Burenkrieg) richtet die Piroplasmose große Verheerung an, es besteht dabei keine Hämoglobinurie. Auch bei Eseln kommt Piroplasmose vor. Wahrscheinlich ist auch das südafrikanische Katarrhalfieber des Schafes (catarrhal fever of sheeps) eine Piroplasmose. Mit Sicherheit ist der Carceag der Schafe im Donaudelta als Piroplasmose ermittelt; auch in Italien ist als Ictero-Hämaturie eine Piroplasmose der Schafe bekannt. Die Hundepiroplasmose (mit Hämoglobinurie) ist ebenfalls in Südafrika am ausgebreitetsten, so baß es fast unmöglich ist, Rassehunde einzuführen; sie ist ferner beobachtet in Frankreich und Italien. Zur Tilgung der Piroplasmose hat man zunächst bei der deutschen Hämoglobinurie eine Schutzimpfung erprobt. Werden Kälber künstlich infiziert, so erkranken sie nur leicht (für Redwater besitzen Kälber unter neun Monaten völlige Immunität). 80 Tage danach wird ihnen Blut entzogen und (desibriniert) gesunden Rindern (je 3 ccm) eingeimpft, die dadurch für die nächste Weidezeit immun werden. Blut von genesenen erwachsenen Rindern ist als Impfstoff gefährlich. Man impft während des Winters. Ähnlich wird beim Texasfieber verfahren. In Afrika hat Robert Koch ebenfalls Schutzimpfung empfohlen: alle 14 Tage wird 5 ccm Blut von genesenen Rindern den gesunden eingespritzt, die leicht erkranken und nach 4–5 Monaten so gefestigt sind, daß sie natürlicher Ansteckung auf einem Zeckenfeld ausgesetzt werden können, wodurch sie dauernd immun werden. Die Urteile über den Erfolg sind geteilt. Radikale Ausrottung der Piroplasmose auf einem Landstrich gelingt, wenn man alles Vieh entfernt und 12–18 Monate kein neues hinbringt, denn dann sind die alten infizierten Zeckengenerationen abgestorben. Auf andre Weise (z. B. durch Baden der Rinder, Bewegung derselben) ist die Beseitigung der Zecken nicht sicher zu erlangen. Vgl. auch Trypanosomen-Krankheiten.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 904-905.
Lizenz:
Faksimiles:
904 | 905
Kategorien: