Unterschweflige Säure

[941] Unterschweflige Säure (dithionige Säure, Thioschwefelsäure) H2S2O3 ist in wässeriger Lösung nur wenige Minuten haltbar, bildet aber eine Reihe beständiger Salze (Thiosulfate, Hyposulfite), deren Lösung auf Zusatz von Säuren Schwefel abscheidet und dann Schweflige Säure enthält H2S2O3 = SO2+S+H2O. Diese Salze entstehen bei Einwirkung von Jod auf eine Mischung von Alkalisulfit und Alkalisulfid, beim Kochen von Sulfiten mit Schwefel, beim Einleiten von Schwefliger Säure in eine Lösung von Alkalisulfid und bei langsamer Oxydation von Alkalisufiden an der Luft. Die meisten Thiosulfate kristallisieren gut, sind beständig, bilden auch gern Doppelsalze, und daher lösen sich die sonst unlöslichen Thiosulfate in einer Lösung des Natriumsalzes. das auch Chlor-, Brom-, Jodsilber, Jodblei, schwefelsaures Blei und Gips löst. Die Halogene entziehen der Thioschwefelsäure selbst in verdünntesten Lösungen ein Wasserstoffatom und es bildet sich Tetrathionsäure H2S4O nach 2H2S2O3 = H2S4O6+2H. Unterschwefligsaures Natron (Natriumhyposulfit, Natriumthiosulfat) Na2S2O3 wird aus Sodarückständen dargestellt, die man an der Luft sich oxydieren läßt und auslaugt. Die Lösung enthält neben unterschwefligsaurem Kalk viel Schwefelcalcium und wird zur Oxydation des letztern mit einem warmen Luftstrom oder Schwefliger Säure behandelt. Man versetzt dann die Lösung mit schwefelsaurem Natron, wodurch schwefelsaurer Kalk gefällt wird, während unterschwefligsaures Natron in Lösung bleibt. Es bildet große, farblose, luftbeständige Kristalle mit 5 Molekülen Kristallwasser vom spez. Gew. 1,73, schmeckt kühlend, bitter schweflig, löst sich leicht in Wasser, nicht in Alkohol, verwittert bei 33°, schmilzt bei 45–50°, wird bei 215° wasserfrei und zersetzt sich bei 220°. Die Lösung ist wenig beständig und zersetzt sich namentlich beim Kochen. Man benutzt das Salz als Antichlor in der Papierfabrikation und Zeugbleicherei, mit Sal säure versetzt zum Bleichen der Wolle, Stroh, Elfenbein, Knochen, Haar etc., zur Darstellung von Schwefliger Säure, als Beize in der Zeugdruckerei, zum Fixieren der Photographien, zur Darstellung von Zinnober, Antimonzinnober und verschiedenen Farbstoffen, zur Bereitung von Indigküpen, zum Extrahieren von Silbererzen, zur Bereitung von Vergoldungs- und Versilberungsflüssigkeiten etc. Es wurde 1799 von Chaussier zuerst dargestellt und von Vauquelin genauer untersucht. Unterschwefligsaure Tonerde (Aluminiumthiosulfat) benutzt man zum Beizen von Baumwollenzeugen. Unterschwefligsaurer Kalk CaS2O3 entsteht bei der Verwertung der Sodarückstände, wird aber meist auf unterschwefligsaures Natron verarbeitet. Er bildet farblose, beständige Kristalle, löst sich leicht in Wasser, nicht in Alkohol und wird wie das Natronsalz benutzt. [941] Unterschwefligsaures Blei PbS2O3 wird aus der Lösung eines Bleisalzes durch unterschwefligsaures Natron gefällt, ist farblos, wenig löslich, zersetzt sich in höherer Temperatur bei Abschluß der Aust in Schwefelblei und Schweflige Säure, verglimmt an der Luft und dient zum Vulkanisieren von Kautschuk und Guttapercha. Unterschwefligsaures Goldoxydnatron wird unter dem Namen Sel d'or in der Photographie benutzt. Eine andre U. S. (hxdroschweflige Säure) H2S2O4 entsteht, wenn man Eisen oder Zink bei Luftabschluß in Schwefliger Säure löst. Der dabei frei werdende Wasserstoff reduziert im Entstehungsmoment die Schweflige Säure H2SO3 zu H2S2O4, die man als Hydrat des Schwefelsesquioxyds S2O3 betrachten kann. Die tiefgelbe Lösung wirkt sehr kräftig reduzierend und fällt aus Silber- und Quecksilbersalzen die Metalle. Das Natriumsalz entsteht bei Einwirkung von Zink auf eine kalte konzentrierte Lösung von saurem schwefligsaurem Natron; es kristallisiert in Nadeln, absorbiert begierig Sauerstoff, wirkt reduzierend, wie die Säure, und dient in der Färberei und Zeugdruckerei zur Reduktion des Indigos.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 941-942.
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