Untersuchungshaft

[943] Untersuchungshaft (Untersuchungsarrest), Verhaftung des einer verbrecherischen Tat Verdächtigen, um die Erreichung der Zwecke der strafrechtlichen Untersuchung zu. sichern. Im Gegensatz zur Strafhaft ist der Zweck der U. ein vorbereitender, das Ergebnis des Strafverfahrens oder die Vollstreckung des künftigen Strafurteils sichernder. Die U. ist ein Eingriff[943] in die persönliche Freiheit lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen. Die moderne Strafprozeßgesetzgebung ist daher darauf bedacht, die Voraussetzungen der U. genau festzustellen (s. Haft). Jedenfalls müssen gegen den Angeschuldigten dringende Verdachtsgründe vorliegen, jedoch ist sie nach § 176 der Militärstrafgerichtsordnung auch zulässig, wenn die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin es erfordert. Die U. darf nicht den Charakter einer Strafe haben. Deshalb ist die Behandlung des Untersuchungsgefangenen von derjenigen des Strafgefangenen wesentlich verschieden. Nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 116) muß der in U. Genommene, soweit möglich, einzeln und namentlich nicht mit Strafgefangenen zusammen verwahrt werden. Mit Zustimmung des Verhafteten kann jedoch von dieser Vorschrift abgesehen werden. Demselben sollen ferner nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die zur Sicherung des Zweckes der Hast oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Gefängnis notwendig sind. Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stand und den Vermögensverhältnissen des Verhafteten entsprechen, darf sich derselbe auf seine Kosten verschaffen, soweit sie mit dem Zweck der Hast vereinbar sind und weder die Ordnung im Gefängnis stören, noch die Sicherheit gefährden. Fesseln dürfen dem Verhafteten im Gefängnis nur dann angelegt werden, wenn es wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur Sicherung andrer, erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbstentleibungs- oder Entweichungsversuch vorbereitet oder gemacht hat. Bei der Hauptverhandlung soll er ungefesselt sein. Gleichwohl erleidet der nachmals verurteilte Angeschuldigte durch die vorgängige U. tatsächlich ein Mehr an Strafe, und ebendeshalb entspricht es der Billigkeit, die erlittene U. auf die erkannte Strafe in Anrechnung zu bringen. Das deutsche Strafgesetzbuch (§ 60) bestimmt, daß eine erlittene U. bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden kann. Sie muß nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 482) auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe insoweit angerechnet werden, als sie für den verurteilten Angeschuldigten noch fortbestand, nachdem er auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen hat, oder seitdem die Einlegungsfrist abgelaufen ist, ohne daß er eine Erklärung abgegeben. Nach der österreichischen Strafprozeßordnung (§ 400) ist die U. anzurechnen, die der zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte seit der Verkündigung des Urteils erster Instanz erlitten hat, insofern der Antritt der Strafe durch von dem Willen des Verurteilten unabhängige Umstände verzögert wurde. Außerdem findet die Einrechnung auch dann statt, wenn ein zugunsten des Verurteilten ergriffenes Rechtsmittel auch nur einen teilweisen Erfolg hatte. Für den durch eine U. betroffenen, nachträglich aber freigesprochenen Angeschuldigten erscheint die Gewährung einer Entschädigung als ein Gebot der Billigkeit (vgl. den Artikel »Unschuldig Angeklagte und unschuldig Verurteilte«). Die gegenwärtige Regelung der U. ist zweifelsohne eine ungerechte; die einzig gerechte Änderung wäre auch die durchgreifendste, nämlich jede U. muß auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe in Anrechnung gebracht werden. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 112 ff.; Österreichische, § 184ff.; Heinze, Das Recht der U. (Leipz. 1865); Zucker, Die U. vom Standpunkte der österreichischen Strafprozeßgebung (Prag 1873–79, 3 Tle.); Bozi, Reform der U. (Bresl. 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 943-944.
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