Veitstanz

[6] Veitstanz (Chorea sancti Viti, C. miner), eine Nervenaffektion mit fortwährenden, unwillkürlichen und deshalb auch unzweckmäßigen Zuckungen von Muskelgruppen, die selbständig oder bei beabsichtigten Bewegungen in Form sogen. Mitbewegungen auftreten. Die Krankheit befällt vorzugsweise jugendliche Personen, namentlich Mädchen; die Anlage ist sehr oft in einer Vererbung von Hysterie, Epilepsie oder andrer das Nervensystem in erster Linie befallender Krankheit zu suchen, zuweilen sollen heftige Seeleneindrücke, Schreck etc., in andern Fällen rein mechanische, reflektorisch fortgeleitete Reize, wie z. B. Würmer im Darm, die unmittelbare Ursache sein. Der Ausbruch des Leidens fällt bei Kindern häufig in die Zeit des Zahnwechsels, bei Frauen in eine Schwangerschaft, und erfolgt meist sehr allmählich; man bemerkt, daß das kranke Kind manche Dinge zerbricht und aus der Hand fallen läßt, daß es nicht stillsitzt etc., dann wird die Muskelunruhe allmählich auffallender, das Kind zeigt fast fortwährend grimassenhafte Verzerrungen des Gesichts. Beim ausgebildeten V. folgen sich die verschiedensten Bewegungen des Gesichts, des Kopfes, der Arme und Beine, des Rumpfes in der mannigfachsten und oft barocksten Weise. Bei den höhern Graden des Veitstanzes vermögen die Kranken nicht ruhig auf dem Stuhl zu sitzen. Auch das Sprechen wird undeutlich. Feinere Beschäftigungen mit den Händen sind selbst in leichtern Fällen unausführbar. Die krankhafte Beweglichkeit wächst an Heftigkeit und Ausdehnung, wenn die Kranken auf sich achten, und noch mehr, wenn sie sich beobachtet wissen. Die Kranken schlafen wegen der fortwährend bestehenden Bewegungen schwer ein, im Schlaf aber hört die Muskelunruhe auf. Sehr häufig werden gleichzeitig mit dem V. rheumatische Erkrankungen oder Herzklappenentzündung beobachtet, und es besteht wahrscheinlich ein allerdings nicht genauer bekannter ursächlicher Zusammenhang zwischen beiden Krankheitsgruppen. Wahrscheinlich wirken beim V. gewisse (bakterielle) Krankheitsgifte auf das Gehirn ein. Der V. endet selten vor der sechsten oder achten Woche, häufig zieht er sich 3–4 Monate lang hin, und sehr selten dauert er durch das ganze Leben. Der bei weitem häufigste Ausgang der Krankheit ist der in Genesung. Die Behandlung des Veitstanzes hat für Entfernung aller ungünstigen Einflüsse zu sorgen, ferner für Herstellung von Ruhe, Schlaf und gutem Allgemeinbefinden. Gegen schwere Formen ist der Gebrauch von Arsenik und Bromkalium, kalte Abreibungen, gymnastische Bewegungen und Elektrizität empfohlen. Vgl. Tanzwut.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 6.
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