Nachträge und Ergänzungen.

[385] (Zu Seite 9: Mitten unter den sich drängenden Ereignissen der Grundsteinlegungstage fand er z.B. doch noch den freien Augenblick, durch ein paar freundliche Zeilen an den Kapellmeister Sonntag vom 7. Infanterieregiment, diesem für seine Mitwirkung beim Grundsteinlegungsakt durch den Vortrag des ›Huldigungsmarsches‹, unter strömendem Regen, seinen Dank zu sagen.) Gerade solche kleine Dokumente seiner Herzensgüte, des in ihm lebenden Dranges, eine derartige Leistung nicht als bloßen gebührenden Zoll, sondern als Bekundung einer freundlichen Gesinnung entgegenzunehmen, haben etwas besonders Rührendes an sich, weshalb wir dieses wenig bekannt gewordene Schriftstück hier nach seinem Wortlaut mitteilen. ›Mein geehrter Herr Kollege! Unter den glücklichsten Umständen würde ich Ihnen, sowie den tüchtigen Musikern Ihres Korps, für die mir gewährte Mitwirkung zur Feier der Grundsteinlegung des Festtheaters zu wahrem und herzlichem Danke verpflichtet gewesen sein; daß ich hierbei nun aber den Übelstand der allerungünstigsten Witterung zu beklagen hatte, welchem Sie und die Herren Musiker so andauernd trotzten, – daß Sie es so möglich machten, der eigentlich verunglückten Feier dennoch einen erhebenden und sehr erfreuenden Ausdruck zu geben, dies bewegt mich so ernstlich, daß ich, mit dem Ausdruck meines lebhaftesten Mitgefühles für die erlittene Beschwerde, Ihnen meinen wahrhaft bewundernden Dank auszusprechen habe, welchen ich Sie ersuche zugleich den um mich so sehr verdienten Herren Musikern auf das empfehlendste weiter mitteilen zu wollen. Mit Hochachtung Ihr sehr verbundener Richard Wagner. Fantaisie, den 22. Mai 1872.‹


(Zu Seite 21: Der Rat und Magistrat der alten Stadt Bologna verlieh der allgemeinen Begeisterung für den ›Lohengrin‹ einen schönen Ausdruck durch Ernennung des Meisters zu ihrem Ehrenbürger.) Wäre es nicht das Allernatürlichste von der Welt gewesen, daß sämtliche deutsche Städte, obenan die Reichshauptstadt Berlin, demnächst seine Geburts- und Vaterstadt Leipzig, oder die Städte, in denen er persönlich gewirkt, wie Magdeburg, Königsberg etc., etc., ferner die verschiedenen Universitätsstädte, ihm die gleiche Aufmerksamkeit schon längst erzeigt hätten? Daß dies nicht geschah und geschehen konnte, und allerorten man erst seinen Tod abwartete, um ihm dann sinnlose Standbilder, Gedenktafeln an den von ihm bewohnten Häusern etc., zu setzen, darin liegt auch ein Beitrag zur Beantwortung der Frage: ›was ist deutsch?‹ Hier der Wortlaut des immerhin denkwürdigen Ehrenbürgerdiploms aus fremdem Lande, von einer romanischen Bevölkerung: ›Il Municipio di Bologna con proposta della Giunta con plauso del Consiglio nella Seduta del XXXI Maggio MDCCCLXXII conferiva in forma ampia l'onorifico titolo di cittadino Bolognese all' illustre Maëstro Riccardo Wagner da Leipzig, dopo che Bologna e l'Italia ebbero ammirato il suo Capolavoro melodrammatico Lohengrin eseguito sulle scene del Massimo Teatro di questa nostra Citta l'autumno MDCCCLXXI. Della Residenza Municipale li I Luglio MDCCCLXXII. Per la Giunta l'Assessore Anziano F.F. di Sindaco.‹ Zu deutsch: ›Die Stadt Bologna erteilt auf Antrag der Vorsteher und mit Zustimmung des Rats in der Sitzung vom 31. Mai 1872 in aller Form den [385] Ehrentitel eines Bürgers von Bologna dem berühmten Meister Richard Wagner aus Leipzig, nachdem Bologna und Italien sein auf der Bühne des großen Theaters dieser Stadt im Herbst 1871 aufgeführtes musikdramatisches Meisterwerk »Lohengrin« bewundert haben. Vom Rathaus, 1. Juli 1872. Für den Rat der Assessoren-Älteste F.F. di Sindaco‹. Da die Herstellung des feierlichen Diploms einige Zeit in Anspruch nahm, empfing der Meister dasselbe erst gegen Ende September. Das vom 1. Oktober 1872 aus Bayreuth datierte Antwort- und Dankesschreiben ›An den Bürgermeister von Bologna‹ findet sich in den ›Gesammelten Schriften‹ Band IX, S. 346/49 (in der Abteilung ›Sendschreiben und kleinere Aufsätze‹).


(Zu Seite 51: Dessauer. ›Orpheus‹-Aufführung.) Vgl. hierzu in Frickes Tagebuch-Aufzeichnungen Wagners mündliche Erzählung über seinen Dessauer Besuch. Nun kam er auf Dessau zu sprechen, wie er von Bremen aus (S. 49/50 dieses Bandes) auf seiner Rundreise in Dessau angefragt hatte, ob und wann er wohl daselbst einer Opernaufführung beiwohnen könne; wie ihm geschrieben wurde, daß der Tenorist krank und man ihm den Gluckschen ›Orpheus‹ angeboten habe. Bei seiner Ankunft hatte er, ganz denselben Eindruck, wie bei seinem ersten Besuche des Ortes (in seiner Schülerzeit, auf einer Reise über Zerbst nach Magdeburg) die schöne, kleine, sonnige Residenz erschien ihm düster und unfreundlich, schlechtes Pflaster. Überrascht sei er von unserem Theater gewesen. Nachdem sei der Vorhang aufgerauscht und vor ihm hätte ein lebendes Bild (Schlußszene Meistersinger) gestanden, so daß er sich mit Tränen in den Augen seiner Frau zugewandt und gesagt habe: ›Wo sind wir?‹ Was er dann von der Aufführung des Orpheus gesagt, ist bekannt. Er fügte hinzu, er sei von einem Erstaunen in das andere gefallen, die Arrangements wären so über alles sinnig und schön gewesen; er hätte den Intendanten dann gefragt: ›Wer ist hier Regisseur und Arrangeur?‹ Dieser hätte geantwortet: ›Das macht mir alles mein kleiner Ballettmeister.‹ Hier unterbrach ich ihn –: ›Meister, ich sagte ihnen schon im vergangenen Jahr, daß die Seele des Ganzen Diedicke gewesen ist. Dieser hat seit seiner Jugendzeit, solange er Musik treibt, sich mit dem Gedanken getragen, den Orpheus in Dessau aufzuführen. Normann ist ihm freundlich entgegengekommen und hat ihm Dekorationen malen lassen. Als wir mit dem Einstudieren anfingen, hatte Diedicke das ganze Arrangement und die Regie längst fertig. Mich erwählte er dazu, sein Hilfsregisseur zu sein.‹ Wagner. ›Ja doch, ja doch! allen Respekt vor Diedicke, aber Sie sollen mir nicht weismachen, daß Sie ihm die Tempi nicht angegeben haben.‹ Darauf ging er zu den Sängern über und sagte: ›Welch angenehmen Eindruck hat mir die Euridice des Frl. Pauli gemacht!‹ Hier hätte eine Künstlerin mit großem dramatischen Talent gestanden, da sei alles plastisch aus einem Gusse gewesen. ›Es wäre mir sehr lieb, wenn ich sie jetzt noch zur Gudrun bekommen könnte‹, sagte er. ›Frl. Weckherlin hat mir, obgleich ich ihr geschrieben, den Probenplan schon im November geschickt, neuerdings nach Breslau und Hannover telegraphiert, noch nicht geantwortet, – es ist zum Verzweifeln!‹ – ›Ich will sofort an Frl. Pauli schreiben‹, sagte ich, ›vielleicht bestimme ich sie, daß sie kommt; eine bessere Gudrun können Sie nicht finden.‹ – ›Ach, das wäre mir sehr lieb, aber vor allem müssen wir mit der Weckherlin ins Klare kommen, warten wir bis übermorgen.‹ (Fricke, Erinnerungen, nach dessen Tagebuch herausgegeben, Dresden 1906, S. 43/46, verkürzt.) Es ist übrigens bekannt, daß nicht Frl. Pauli, sondern Frl. Weckherlin bei den Festspielen des Sommers 1876 die Gutrune gesungen hat.


(Zu Seite 94: Erkrankung des uns schon von den Artichauts und Triebschen her wohlbekannten Hundes Ruß). Nach Kietz' Erzählung wäre derselbe damals – 16. Juni 1873 – zu besserer Pflege aufs Land gebracht gewesen und, da der Befürchtung nach möglicherweise seine ›letzte Stunde bevorgestanden‹, sei die ganze Familie, um ihn noch einmal [386] zu sehen, zu ihm hinaus gefahren. Um selbst in solchen geringfügigen Nebendingen nicht wissentlich ungenau zu sein, bemerken wir hier, daß es sich bei dieser Angabe wohl um eine Verwechselung handelt, wie denn auch in Kietzens gleichzeitigen eigenen mehrfachen Erwähnungen Ruß immer als ganz gesund figuriert! Vielmehr war es der kleine schottische Seidenpudel Putz, das Geburtstagsgeschenk des Grafen Krockow (S. 86), der – zu seiner Erziehung auf das Land nach Weidenburg geschickt (nachdem man Wochen lang Geduld mit ihm gehabt) – daselbst von Heimweh befallen war, so daß er für krank galt und ein Tierarzt zu ihm hinaus geschickt werden mußte. Davon hatte der Meister damals Kietz erzählt, dabei wohl auch von Ruß gesprochen, woraus die Verweckselung sich erklärt. Schon sehr bald darauf war Putz wieder da, nachdem der Tierarzt die Beschaffenheit seiner Krankheit konstatiert hatte und erwies sich als ebenso unerzogen wie zuvor, aber auch als völlig genesen mit der Krankheitsursache war auch die Krankheit verschwunden.


(Zu Seite 103/04: Die fortgesetzten Modellsitzungen bewirkten, daß täglich ein gut Teil Lebens sich in Kietz' Nähe abspielte, weshalb seine Erinnerungen an kleinen ernsten und heiteren Begebenheiten reich sind.) ›Ich will‹, so sagt er selbst, ›nur zwei charakteristische Erlebnisse hier anführen. An einem sehr naßkalten Tage wollten wir von der Modellsitzung zu Angermann gehen, um uns auszuwärmen. Da schüttelte es plötzlich Wagner heftig zusammen und er zeigte auf einen kleinen zarten Burschen, der barfuß auf den naßkalten Steinen vor uns herlief. »So etwas kann ich nicht sehen, es ist mir ganz entsetzlich. Was soll aus solchem armen Kinde werden?« sagte er, während er den Buben heranrief und ihm einen Taler in die Hand drückte. »Lauf, gib das Deiner Mutter, sie soll Dir schnell Schuhe kaufen!« Wie gejagt, lief der Kleine mit glücklichem Gesichte davon.

Ein andermal, als wir uns zu einem unserer gewohnten Spaziergänge rüsteten, sagte Wagner zu mir: »Wir können nicht sofort ins Freie gehen, lieber Kietz! Ich muß vorher noch meinen Buchbindermeister aufsuchen und mir dort eine bestellte Arbeit ansehen.« Wir gingen also hin, und als Wagner nach unserem Eintritt in die Werkstatt nach seinem Buche frug, brachte der Meister den noch nicht ganz fertigen Einband, der mir einen ungewöhnlich sauberen Eindruck machte und dazu ein ganz wundervoll gebundenes englisches Buch, wie ich viele in Wagners Bibliothek kannte und welches er dem Buchbinder als Muster geliehen hatte. Wagner nahm die unfertige Arbeit in die Hand und besah sie prüfend nach allen Seiten, während der Meister mit Spannung auf sein Urteil harrte. Endlich brach Wagner das Schweigen, hob drohend, aber dabei lächelnd, den Finger in die Höhe und sagte: »Meisterchen, Meisterchen, das muß noch ganz anders wenden, da fehlt noch viel, ehe es diesem Einband hier ähnlich ist.« Dabei nahm er das geliehene Buch zur Hand und zeigte dem Meister ganz genau, was an diesem solider, geschmackvoller und praktischer war, als an seiner Arbeit; aber er sagte es in so liebenswürdiger, gewinnender und klar verständlicher Weise, daß der Buchbindermeister, ebenso wie ich, seinen Aussetzungen und Vorschlägen mit höchstem Interesse zuhörten. »Ja, in diesen Sachen«, sagte er zum Schluß, »können wir noch sehr viel von den Engländern lernen.« Auf diese Weise suchte Wagner künstlerisch veredelnd selbst auf das Handwerk einzuwirken. Mir machte es den Eindruck, als wenn ich eine Szene in den »Meistersingern« erlebt hätte.

Ehe wir gingen, frug Wagner plötzlich: »Wie geht es mit dem Buben, wird es besser mit ihm?« – »Er ist wieder hier«, sagte der Buchbindermeister, schritt zur nächsten Tür und trat mit einem jungen bleichen Burschen herein, der sofort auf Wagner zueilte und ihm sehr schüchtern, aber herzlich dankte. Dabei erfuhr ich, daß Wagner den schwer erkrankten Lehrbuben in das Krankenhaus in Pflege hatte bringen lassen.1 Er sprach nun seinem Schützling [387] mit so herzlicher Güte Mut zu und ermahnte ihn, vorsichtig mit seiner Gesundheit und ein recht gehorsamer braver Lehrling seines Meisters zu sein, damit er ein geschickter und tüchtiger Mensch würde. Das Herzgewinnende in Wagners Gesichtsausdruck bei den ernsten und doch so gütigen, eindringlichen Worten mußte auf den Buben einen unvergeßlichen Eindruck machen. Dies sind nur zwei von den vielen Fällen, wo ich Zeuge seiner Herzensgüte und sofortigen Hilfsbereitschaft war.‹ (Gustav Adolf Kietz, Erinnerungen an Richard Wagner, Dresden 1905, S. 148/151).


(Zu Seite 131: Einladungen an Nietzsche in das neuerbaute Haus Wahnfried zu baldigem Besuch: ›Im Mai ist unser Haus fertig, Ihr Zimmer steht dann bereit. Ich hoffe, Sie ruhen auch noch einmal hier aus, es ist in der Nähe gebirgig genug‹.) ›Mit Bayreuth bin ich‹, schreibt hingegen Nietzsche am 4. Juli an den gemeinsamen Freund Gersdorff, ›über den guten Vorsatz nicht hinausgekommen es scheint mir nämlich, daß sie dort ihr Haus und ihr Leben in Unruhe haben, und daß gerade jetzt unser Besuch nicht passen würde (!!)!‹ (S. 147). Wie groß die Liebe des Meisters zu seinem Triebschener Zögling war und wie gern er ihn in gleichmäßig ruhiger Entwickelung zu Großem angeleitet haben würde, geht aus den obigen Einladungen deutlich hervor; die Biographin Nietzsches unterläßt in all ihren ausgesuchten Ungerechtigkeiten und Verkennungen nicht, den warmen liebenswürdigen Stimmklang hervorzuheben, mit welchem der Meister die Worte ›mein Nietzsche‹ gesprochen habe. Aber seinem durchdringend scharfen Blicke entging nichts; auch ohne die mancherlei, auf Empfindlichkeit und verletzter Eitelkeit beruhenden lieblosen Bemerkungen gelesen zu haben, die jener schon damals – Januar 1874 und früher – für sich allein, wie er vermeinte, niedergeschrieben, und die späterhin durch eine schwesterliche Pietät eigener Art sämtlich zur Veröffentlichung gelangt sind! Die eine gefährliche, der Eigenheit Wagners so völlig fremde Seite im Charakter Nietzsches war seine Humorlosigkeit, seine Unfähigkeit zu herzlichem Lachen auch über das Heiterste, oder das wirklich Ausgelassene.2 Sehr zurückhaltend zart drückte er dies einmal gegen Nietzsches Schwester aus: ›Ihr Bruder ist in seiner zarten Vornehmheit oft recht unbequem; dazu sieht man ihm auch alles an, was er denkt; manchmal schämt er sich ordentlich, was ich für Witze mache – und dann treibe ich's immer toller.‹ Die Ehrerbietung vor Wagner, jedem Schüler des Meisters eigen, hinderte einen gesunden Menschen, wie z.B. Hans Richter, nicht an unbefangener Aufnahme des Heiteren und einer entsprechenden Erwiderung; Nietzsche konnte hingegen, schon in Triebschen, oft stundenlang ohne andere als rein passive Beteiligung am Gespräch dasitzen, höchstens daß sein Gesicht sich dunkel rötete und seine Augen wie zwei Kohlen glühten.3 Er selbst wünschte sich dann wohl oft wenigstens den Anschein einer größeren Freiheit und Selbständigkeit, aber vergebens. Auf der anderen Seite täuschte er sich über [388] seinen Wert und seine Bedeutung und rühmt sich in charakteristischer Weise bereits nach den ersten Beziehungen zu Wagner – als Vierundzwanzigjähriger – der ›Freundschaft‹ des Meisters. Offenbar war ihm der ›Freundschafts‹-Titel verderblich, den dieser so gern auch dem jüngsten seiner tätigen Verehrer verlieh; daran trug aber Wagner keine Schuld, es kam allein auf den Empfänger einer solchen Auszeichnung an, ob er imstande war, sich über sein wahres Verhältnis zu ihm zu täuschen. In der Försterschen Nietzschebiographie feiert diese Gleichsetzung von Meister und Schüler, in der behaupteten ›Wechselwirkung zweier großer Geister aufeinander‹, wahre Orgien; aller krankhaft sich überhebende Hochmut und Eigendünkel gelangt darin kritiklos und mit voller Gutheißung zum Ausdruck! Und da wir eben gerade Hans Richter genannt haben, möge es uns gestattet sein, noch eine neuerliche Äußerung desselben zu zitieren, mit welcher dieser gegen den öffentlichen Mißbrauch dieses ›Freundschafts‹-Titels (seitens der dadurch Beglückten) einmal öffentlich protestiert und ihn als einen ›Unfug‹ bezeichnet. ›Wie viele Unterschiede gibt es da – ich will nur den Altersunterschied anführen – welche das Unsinnige und gänzlich Unberechtigte dieser Bezeichnung klar darlegen. Das Verhältnis zwischen dem großen Meister und uns Kunstjüngern war folgendes: von seiten des Meisters eifrigste Förderung unserer Begabungen und wahrhaft väterliches Wohlwollen; unsererseits Bewunderung, hingebendste Liebe, größte Verehrung. Wie kann man da von »Freundschaft« fabeln?‹ Diese ›Verehrung‹ war in dem Maße Nietzsches besserer Teil, und die väterliche Liebe Wagners zu ihm so ausgesprochen bei jedem Anlaß sich bekundend, daß sich das Unnatürliche in dem Verhalten des ersteren nur aus jener wahrhaft dämonischen Selbstüberhebung erklärt, die zu der sonstigen Weichheit und Zartheit seines Charakters in so auffallendem Widerspruch steht. Der Konflikt zwischen diesen Gegensätzen, der am Ende seinen Untergang heraufbeschwor, kündigte sich damals bereits in Symptomen an. Er zeigte sich auf der einen Seite in den, in der Einsamkeit von ihm aufgezeichneten ›ketzerischen Gedanken‹, in denen er sich der von ihm bekämpften modernen Kulturwelt auf bedenkliche Weise näherte.4 Auf der anderen Seite berichtet seine Biographin von der Sehnsucht ihres Bruders ›aus der eigenen unumschränkten Freiheit nach der Zeit der alten Gebundenheit, als er sich mit Wagner ganz eins in allen Zielen und Idealen fühlte.‹ Trotzdem entblödet sie sich nicht, die tiefe und ernste Besorgnis des Tiefblickenden, gerade aus Liebe Tiefblickenden, als ›Mißtrauen‹ (!) zu bezeichnen5; mit dunklem Unbehagen habe es Nietzsche damals empfunden, daß man ihn in Bayreuth nur (!) als ›Wagnerschriftsteller‹ betrachtete. Was alles liegt nicht in diesem einzigen Worte ›nur‹! ›Welcher wahrhaft freie Geist‹, sagt die Biographin, ›möchte sich von einem Andern seine Bahn, noch dazu eine so enge (!!), vorzeichnen lassen? Der Strom der Entwickelung meines Bruders flutete damals immer breiter und mächtiger (!), und nun sollte er in einen Winkel (!) gestaut und gebannt werden. Das wühlte, das nagte! – und doch trieb es die Gedanken immer weiter zur Freiheit.‹ Richtiger äußert sich Nietzsche selbst über diese angebliche ›Freiheit‹, die ihm so wenig Segen gebracht: ›Man kommt zu ihr und ist matt wie eine Eintagsfliege am Abend. Das fürchte ich so sehr. Es ist ein Unglück, sich seines Kampfes so zeitig bewußt zu werden. Ich kann ja nichts von Taten entgegenstellen, wie es der Künstler ... vermag‹. Damit ist alles gesagt. ›Ich kann nichts von Taten entgegenstellen‹. Der reformatorischen Tat des Künstlers das Wort des Lehrenden, des Kämpfers und Bekenners zur Seite zu stellen und ihm dadurch einen Teil seiner Lebensarbeit abzunehmen, das war die Aufgabe, die ihm Begabung und Schicksal zuerteilt und von welcher ihn eine mörderische innere Krankheit, ein ungesunder, zum Verderben führender angeblicher ›Freiheits‹-Trieb, vielmehr die Erkenntnis [389] seiner Schwäche, immer weiter entfernte. Eine innere Lossagung dieser Art konnte unmöglich verborgen bleiben, mochten auch schriftliche Äußerungen, öffentliche und brieflich-private, sie nach Möglichkeit zu verhüllen suchen. Die rührende Mahnung: ›nur nicht so ab gesondert! ich kann Ihnen dann nichts sein‹ – beruhte vielmehr auf jenem sicheren Blick, der sich durch keine Verhüllung täuschen ließ.6 In seiner Einsamkeit mußte er verarmen. Man kann sagen: in seinen beiden ersten ›Unzeitgemäßen‹ lebt der Verfasser noch von den Zinsen des ihm anvertrauten kostbaren Kapitals; in den beiden letzten Betrachtungen (›Schopenhauer als Erzieher‹ und ›Richard Wagner in Bayreuth‹) greift er dieses Kapital selbst an und zehrt es in zwei großen Zügen völlig auf. Während er der Reichste zu sein schien, der Befähigteste im Dienst eines großen deutschen Genius, war er innerlich verarmt und leer; er hatte sich der erneuten Anregung in ängstlicher Scheu geflissentlich entzogen und war damit aus einem ›Wagnerschriftsteller‹ im besten Sinne und Mitwirkenden an einer schöpferischen Kulturtat ein hohler Schall und ein hochtrabendes leeres Nichts, mit einem Worte, ein – ›Nietzscheschriftsteller‹ (S. 303 dieses Bandes) geworden, der von jetzt ab, anstatt der höchsten, die minderwertigsten Einflüsse auf sich wirken ließ, deren Nichtigkeit er selber durchschaute.7 Das stolz germanische ›ich dien'‹ verlangte allerdings eine höhere moralische und geistige Dauerkraft.


(Zu Seite 152: Unangenehmes mit dem Maler Hoffmann.) Unter dem Titel ›Josef Hoffmann und Richard Wagner‹ veröffentlichte die Wiener ›N. Fr. Pr.‹ kürzlich8 mehrere Briefe des Meisters an seinen Dekorationsmaler nebst einigen zutreffenden tatsächlichen Bemerkungen. ›Von dem erst kürzlich verstorbenen Medailleur A. Scharff, der, schon als blutjunger Mensch ein berühmter Meister in seinem Fache, Wagner i.J. 1872 modellierte9, war er auf den Wiener Maler aufmerksam gemacht worden.‹ Als Hoffmann eine private Anfrage Scharffs im zustimmenden Sinne beantwortet hatte, wandte sich Richard Wagner in einem Briefe vom 28. Juli 1872 an ihn. ›In Betreff der Darstellung der Szene‹, heißt es in diesem Briefe, ›bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß hier nichts, des deutschen Namens in einem edlen Sinne Würdiges zu erreichen sein wird, wenn ich die hierauf bezüglichen Aufgaben lediglich unseren routinierten Theaterdekorationsmalern überlassen sollte. Es handelt sich mir daher darum, den geschicktesten oder geübtesten Dekorationsmalern von wirklichen Künstlern entworfene Skizzen vorlegen zu können, um sie dadurch zu einer Veredelung ihrer Leistungen anzuregen ... Was ich demzufolge von Ihnen mir zu erbitten erlaube, ist, daß Sie es zuvörderst der Mühe wert halten wollen, mit meiner Dichtung »Der Ring des Nibelungen« sich soweit vertraut zu machen, daß es Ihnen geläufig werden möchte, die Hauptszenen derselben, sowohl was das Lokal der jedesmaligen Handlung als auch was die Gestalten der dramatischen Figuren betrifft, in solchen Skizzen aufzuzeichnen, welche entweder Ihnen selbst, wenn Sie sich dann damit befassen wollen, oder auch den auszuwählenden Dekorationsmalern und Kostümiers als Vorbild zur weiteren Ausarbeitung dienen könnten.‹ Auf diesen Anruf erwiderte Hoffmann, daß er bereit sei, mit der größten Hingebung an die ihm gestellte Aufgabe zu gehen und mit den nötigen Studien sogleich beginnen wolle. Ein Besuch in Bayreuth erfolgte bald darauf (S. 35 dieses Bandes), dann eine größere Unterbrechung, auf welche sich der zweite Brief Wagners, vom 22. Oktober 1872, gleich nach Liszts [390] Abreise, bezieht. ›Geehrter Herr und Mitarbeiter! Es ist mir nicht leicht erträglich, seit Ihrem so wichtigen und so ergiebigen Besuche in Bayreuth ohne weitere Nachrichten von Ihnen zu bleiben. Fast zögerte ich selbst mit dem Schreiben, nur aus dem Grunde, weil bis zum November, unserer Erfahrung nach, Ihre Adresse noch immer mit einigem Schleier umwoben ist. Doch versuche ich noch einmal den bisherigen Weg, um Ihnen wenigstens auch meinerseits ein Lebenszeichen zukommen zu lassen ... Wir sind jetzt scharf darüber her, dem Architekten den Malersaal für unser Theater zur rechten Zeit abzugewinnen, und ich hoffe, daß unsererseits alles zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen wird‹ u.s.w.

Der Verfasser des erwähnten kommentierenden Artikels charakterisiert Hoffmann als zu jenen echten Künstlern gehörig, denen gleichwohl zum Ausdruck des von ihnen Empfundenen nur ein stumpfer und unvollkommener Apparat zur Verfügung stehe. ›Er hatte Ideen, Poesie, Stilgefühl und Monumentalität, dazu einen heiligen Ernst – aber zur Ausführung fehlte ihm die Beherrschung der Mittel. Der gefügige Bleistift, die leichte Aquarellfarbe, mit der er die gezeichneten Umrisse austuschte, gehorchten ihm noch am ehesten; durch das Medium der schwer zu behandelnden Ölfarbe vermochte er aber seine Intentionen nur selten unversehrt durchzubringen‹ etc. Dem entsprachen denn auch buchstäblich die an ihm gemachten Erfahrungen. Das beste von ihm Geleistete waren seine im November 1873 vorgelegten Skizzen (vgl. S. 117 dieses Bandes); sie gereichten dem Meister, laut Malwidas Bericht an Heckel, zur Befriedigung und freudigen Überraschung, wenn ihn gleich die Art, wie sich der Maler bei dieser Gelegenheit wieder einführte, wenig erfreuen konnte. Herr Hoffmann erschien am Freitag, 28. November, in Begleitung Brandts, hatte aber seine Skizzen auf der Reise in Passau aus Unachtsamkeit liegen lassen! Glücklicherweise waren sie nicht verloren, trafen aber doch erst am folgenden Tage am späten Nachmittag ein, so daß von der dafür bestimmten Zeit zwei Tage rein verloren gingen. Schon damals fiel indes die Hintansetzung der dramatischen Intentionen zugunsten einer beliebigen landschaftliche Detailführung als bedeutlich auf, insbesondere gab die mit äußerlicher Pracht überladene Halle Gunthers zu lebhaften Debatten Veranlassung; wobei der Meister erklärte: eben darum habe er sich von der, durch Tannhäuser und selbst Lohengrin repräsentierten Periode des ritterlichen Mittelalters entfernt, um der äußeren Pracht zu entgehen und den Menschen ohne diese konventionelle Zutat zu zeigen. Erst am Sonntag wurden die Skizzen endlich bei Tageslicht betrachtet; Walhall konnte als schön erfunden gelten, und insbesondere war die Umgebung für die Erweckung der Wala groß und mächtig gedacht. Brandt war der Verzögerung wegen wieder abgereist, Malwida (als Hausgenossin) mit dem Bürgermeister und dem Maler Mittags zu Tische in der Dammallee. Bei dieser Gelegenheit erwies sich denn Hoffmann zwar bereits einigermaßen eigensinnig auf seinen Auffassungen beharrend, aber sonst als ein gebildeter Mann, der sich der Wiener Seichtigkeit gegenüber einigermaßen steif und pedantisch herausgebildet. Als eine weitere förderliche Eigenschaft schien sich damals auch der große Respekt vor dem Meister zu bewähren. Diese Eigenschaft hebt denn auch Malwidas Bericht an Heckel vom 1. Dezember als hoffnungsvoll hervor. Von dem gleichen Tage (›Montag früh‹) sind auch die verbindlichen Zeilen von Frau Wagner datiert10, mit denen sie ihn zu einem letzten gemeinschaftlichen Mittagessen einlud, da sich Hoffmann noch am folgenden Tage zu weiterer Rücksprache mit Brückners nach Coburg begab. Im Bestreben und in der Hoffnung, ihn auf gütlichem Wege zur Nachgiebigkeit in bezug auf die maßgebenden Ausstellungen des Meisters zu bewegen, ist darin die ermunternde Anerkennung nicht gespart (›wir haben den ganzen gestrigen Abend mit Wagner über dieselben gesprochen und in der Erinnerung immer neue Schönheiten in ihnen entdeckt‹). Er hinterließ für diesmal beim Scheiden den Eindruck eines durchaus anständigen, Bildung suchenden Menschen.

[391] Vierzehn Tage später meldete er sich mit seinen Entschädigungsforderungen für die Entwürfe, die ihn ein Jahr lang ausschließlich beschäftigt hätten, und verlangte dafür provisorisch (wie er vorsichtig hinzufügte ›auch für den Fall, daß die Ausführung nicht zustande käme‹) 1500 Taler; als Entgelt für die Ausführung im Großen eine weitere Summe (300 Taler monatlich), endlich auch eine Tantieme von 2% ›vom Erträgnis der Aufführungen‹. Die verlangten 1500 Taler wurden ihm durch Vermittelung des Wiener Bankiers Baron Viktor v. Erlanger umgehend ausgezahlt. ›Ich und meine Herren Beistände‹, schrieb ihm der Meister unter dem Datum des 19. Dezembers, ›halten Ihre Forderungen und Anschläge durchaus für billig, und müssen nur für den einen Punkt einen anderen Weg der Befriedigung für Sie suchen, da Sie 2% Tantieme beanspruchen, ohne daß wir ausfindig machen können, von welchen Einnahmen diese Abzüge stattfinden sollen, indem die Vorstellungen auf dem Festtheater in Bayreuth nie gegen Entree, nie auch zum Gewinn für irgend jemanden vor sich gehen werden, wogegen sie allemal nur dann stattfinden sollen, wenn durch freie Patronatsbeiträge eben nur die Kosten derselben, d.h. die nötigen Anschaffungen und die Entschädigung der Mitwirkenden, nie aber ein Honorar etwa für den Autor u.s.w. gedeckt sind.‹ Um nun doch auch dieser Forderung in dem, einzig möglichen Sinne zu entsprechen, wurde ein Vertrag aufgesetzt, laut welchem dem Maler die Zusichernng gegeben wurde, daß denjenigen Theatern, welche das Aufführungsrecht des Werkes erwerben wollten, zugleich die Verpflichtung auferlegt werden sollte, die Hoffmannschen Entwürfe zu benützen, worüber sich diese Theater mit ihm oder seinen Erben zu einigen haben würden, so daß ihm außer der direkten Entschädigung das volle geistige und materielle Eigentumsrecht an seinen Entwürfen verbliebe. Der Verfasser des mehrerwähnten Aufsatzes spricht nun seine Ansicht dahin aus, von diesem Zeitpunkte an hätten sich zwischen Hoffmann und dem Meister allerlei Mißverständnisse einzureichen begonnen. Dies bestätigt sich nicht, am wenigsten durch den gleich darauf mitgeteilten Brief Wagners vom 1. April 1874, durch welchen er ihm, unter aufrichtigem Bedauern, die Mitteilung macht, daß sich Brandt die Lieferung seiner Arbeiten für 1875 nicht zuzusagen getraue, demnach die Aufführung mit Bestimmtheit erst für das folgende Jahr 1876 anzusetzen sei, und ihn dazu einladet, die Ausführung der Dekorationen in Bayreuth selbst in den zwei Sommerhalbjahren 1874 und 1875 vorzunehmen. Auf einige im Interesse der szenischen Vorgänge unerläßliche Veränderungen, die Hoffmann zum Teil schon vorgenommen hatte, zum Teil erst noch vornehmen sollte, bezieht sich, der nächstfolgende Brief Wagners vom 9. Juni 1874 (a.a.O. wörtlich mitgeteilt) und zeigt sich darin, nach der eigenen Meinung des Kommentators ›alles in gutem Einvernehmen‹.

Die bedauerlichen Differenzen begannen erst von dem Moment der gemeinschaftlichen Arbeit Hoffmanns mit den Gebrüdern Brückner und Brandt (S. 151f. des vorliegenden Bandes). Während eines mehrmonatlichen Aufenthaltes in Darmstadt hatte Hoffmann die Modelle zu den Dekorationen vollendet; schon hierbei scheint es zwischen Brandt und ihm, als zwei ›autokratischen‹ Naturen zu manchem Gegensatz gekommen zu sein. Zum 25. Aug. 1874, als spätestem Termin, war eine Konferenz sämtlicher Beteiligten in Bayreuth verabredet worden; bei dieser Gelegenheit hätte Hoffmann die umgearbeiteten Skizzen in ihrer endgültigen Form vorlegen und gleich mit der Arbeit beginnen sollen. Am 24. traf Brandt pünktlichst ein, tags darauf auch die Gebrüder Brückner aus Coburg; nicht aber Herr Josef Hoffmann, der vielmehr, seit 3 Wochen mit seinen Modellen fertig, sich – ohne seine Adresse zu hinterlassen – auf eine Rheinreise begeben hatte. Dabei hatte er zwar die Kisten mit den Bildern und Maquetten eingesandt, sich aber ausdrücklich ausbedungen, daß dieselben erst – in seiner Gegenwart geöffnet werden sollten. Seiner (Hoffmanns) Ansicht nach habe nun Brandt diesen Umstand benützt, um ihn dem Meister gegenüber als ›unzuverlässig‹ zu bezeichnen. Dessen bedurfte es wahrlich nicht, da die Unzuverlässigkeit handgreiflich vorlag [392] und keine Untugend Wagner mehr empören konnte als Unpünktlichkeit und Pflichtvergessenheit, gleichviel aus welchen Motiven sie hervorging (vgl. S. 263 dieses Bandes). Da die übrigen Beteiligten zur festgesetzten Zeit erschienen waren, nahm er es auf sich, nachdem wiederum der Tag in vergeblichem Warten verflossen war, die seit Wochen müßig dastehenden Kisten abends durch die Herren Brückner und Brandt in seiner Wohnung öffnen zu lassen, um die Modelle prüfen, auch die Skizzen überhaupt erst den Malern zeigen zu können. Es ergab sich, daß vieles davon ganz zu verwerfen sei.11 Skizzen und Modelle wurden nun von denselben Herren sorgfältig wieder verpackt und vom Verwaltungsrat nach des Meisters Weisung den Herren Brückner nach Coburg eingeschickt. Dies meldete ihm Wagner in einem Brief vom 3. September, mit dem Hinzufügen, Brandt und die Brückners seien von ihm über die, im einzigen Interesse der Deutlichkeit der szenischen Vorgänge von ihm angeordneten Abänderungen auf das genaueste verständigt.

Diesen Brief des Meisters erhielt er bei seiner schließlichen Ankunft in Bayreuth durch Feustel zugestellt. Als er aber am 10. September (d.h. mehr als drei Wochen nach dem festgesetzten Termin) an die Tür von Wahnfried pochte, wurde er – nicht vorgelassen. Erst ein, zwei Tage später an Wagner gerichtetes Schreiben, in welchem er dringend um eine Unterredung bat, brachte eine Wandlung des unerfreulichen Verhältnisses und der so wenig gefügige Mann erhielt, zugleich mit seiner stets freundlich liebenswürdigen Gemahlin, eine Einladung zum Abend in Wahnfried. Nach der ersten heftigen Erregung ließ sich der Meister – immer bereit zum Ausgleichen und Entgegenkommen – auf die Vorstellungen Hoffmanns wirklich dazu bestimmen, daß die an Brückners abgesandten Modelle von Coburg wieder herüberbestellt würden. Nun gab es Unterredungen über Unterredungen, bis der starrköpfige, schwer zu überzeugende Maler sich zu den nötigen Veränderungen herbeiließ. Trotzdem würde ihn der Meister noch gehalten haben, wenn nicht Anmaßung, Eigensinn und die Unfähigkeit, sich mit den Ausführenden gütlich zu verständigen, zu der auf S. 152 dieses Bandes geschilderten Konferenz geführt hätten, wobei ihm von seiten der Mitwirkenden alle seine Vergehungen, Anmaßung, Obstination und selbst Geldgier vorgehalten wurden, da er bisher der Einzige unter ihnen war, der es bereits zu starken Einnahmen (bis zu 5000 Tlrn.) gebracht hatte, und der trotzdem noch für die bloße Verzichtleistung auf sein ferneres ›Aufsichtsrecht‹ auf eine beträchtliche Abfindung bestand. Über die Art, wie der Meister mit Würde und Mäßigung diese erregte Sitzung geleitet, haben wir bereits a.a.O. das Urteil Bürgermeister Munckers angeführt. Sie spricht auch aus dem letzten an Hoffmann gerichteten Briefe, nachdem dieser mit dem ihm zugewiesenen ›Reugeld‹ im Betrage zweier Monatsraten (600 Taler) immer noch nicht befriedigt war, und den Meister direkt und indirekt (u.a. auch durch seinen aus Wien herüberberufenen Schwager) mit seinen Anliegen belästigt hatte. Wir führen dieses Schreiben (vom 12. Oktober 1874) hier in seinem vollen, in jeder Weise versöhnlich und vornehm gehaltenem Wortlaute an:

›Geehrter Herr und Freund! Es ist nicht mein Wunsch, daß Sie von der ferneren Teilnahme an der Ausführung der von Ihnen entworfenen Dekorationen ausscheiden. Ich habe Ihnen bewiesen, daß es mir daran gelegen war, Sie mit den Herren, welchen jene Ausführung unmittelbar übergeben wurde, in einem, für den Fortgang der Arbeiten gedeihlichen guten Einvernehmen zu erhalten. In diesem Augenblicke kommt es mir nicht zu, die Gründe davon zu beleuchten, daß dieses nötige gute Einvernehmen schließlich als unmöglich sich herausgestellt hat. Es genügt anzunehmen, daß diese Unmöglichkeit Ihnen selbst offenbar geworden ist. Die gleiche Überzeugung habe ich meinen Herren Verwaltungsräten mitzuteilen [393] gehabt, ohne damit einen Wunsch auszusprechen. Mein einziger, wirklicher Wunsch ist, daß Sie und ich, zwei ehrenwerte Männer, in Frieden – für jetzt – scheiden. Was eine Ihnen zu zahlende Entschädigung betrifft, so gehörte diese Frage in ein Gebiet, in welchem ich nur dann mit der, für die ganze Durchführung meines Unternehmens nötigen Eigenschaft und Stärke mich bewege, wenn ich, wie ich jeden Gewinn meinerseits ausgeschlossen habe – den von jeder Seite her zur strengsten Sparsamkeit verpflichteten Verwaltern des ökonomischen Teiles jede Bestimmung nach ihrem Gewissen zu treffen überlasse. Sobald sich der Anteil der Herren Brückner an der schließlichen Herstellung der Dekorationen festgestellt haben wird, verspreche ich Ihnen mit Bestimmtheit auch dessen zu gedenken, wie Sie in Zukunft, bei der weiteren Verwertung des geistigen Autorenrechts, für Ihren bisher genommenen Anteil zu entschädigen sein werden. Mit der Bitte, Ihrer hochgeehrten Frau Gemahlin, sowie Ihrem Herrn Schwager mich angelegentlichst empfehlen zu wollen, reiche ich Ihnen für jetzt die Hand zum Abschiede und verbleibe stets Ihr hochachtungsvoll ergebener Richard Wagner.‹

Trotz der versöhnlichen und beschwichtigenden Haltung dieses Schreibens, bemerkt dazu der Kommentator dieser Briefe, sei ein weiteres Einverständnis nicht mehr erzielt worden. ›Wagner, durch die stetigen – freilich auch berechtigten (?!) – Forderungen Hoffmanns gestört, und wie es scheint, durch allerlei Zwischenträgereien gereizt (?), fand ihn unerträglich und bemühte sich nicht weiter, das zerrissene Band wieder anzuknüpfen. Hoffmann, der – selbstbewußt und empfindlich – allgemeine Zusagen und obenhin gegebene Versprechungen (?! – er hatte ja selbst durch seine Unnachgiebigkeit die allein verbindliche Grundlage dieser Versprechungen zerstört!) als kontraktlich bindende Vereinbarungen ansah, betrachtete sich als übervorteilt und versuchte, ein Michael Kohlhaas im kleinen, vergeblich seine Ansprüche geltend zu machen.‹

Der Verfasser dieses Buches erinnert sich seiner seits aus dem Festspielsommer 1876, dessen Aufführungen Hoffmann auf Einladung als Gast beiwohnte, noch deutlich des eigentümlich cholerischen, übrigens vollgermanisch aussehenden Mannes mit dem rotblonden Vollbart. Ganz unbefangen kam das Gespräch auf die schöne Mappe mit den photographischen Kopieen seiner Skizzen, die er, offenbar zur Wiederanknüpfung, dem Meister übersandt und die in Wahnfried auf einem Tische mit anderen auslagen. ›Sie haben die Mappe also gesehen?‹ sagte er mit Indignation, ›und mir ist mit keinem Worte dafür gedankt oder auch nur ihr Eintreffen bestätigt worden.‹ Von der so naheliegenden Erklärung der puren Unmöglichkeit, in jenen anspruchsreichen Proben-und Aufführungstagen von ähnlichen unerbetenen Sendungen auch nur Notiz zu nehmen, wollte er nichts wissen. Die vorhandenen Dekorationen, die ja in so vielen Stücken (wie die gesamte szenische Erscheinung des Werkes) dem Meister selbst so wenig genügten, tadelte er mit unerbittlicher Schärfe. Gewiß wäre ihm auch jetzt noch das mindeste anerkennende und belobigende Wort über seine Skizzen, deren photographische Vervielfältigung in prächtiger Ausstattung er auf seine eigenen Kosten hatte herstellen lassen, sehr willkommen gewesen; er hat es aber weder in jenen erregten Festspieltagen, die Wagner von früh bis spät in Anspruch nahmen, noch vollends in den darauf folgenden schweren Zeiten der Defizitnöte erhalten; sondern seine Photographienmappe wanderte mit sämtlichen anderen, unerbeten dem Meister übersandten, photographischen Aufnahmen der Dekorationen und Kostüme aus dem Hause Wahnfried in das Festspielhaus, wo sie Dannreuther noch am 18. August 1877 bei jenem Besuche des Theaters (S. 372 dieses Bandes) wiedersah, und wo sie vermutlich bis heute noch sich befindet. Wir sagen: eine solche nachträglich belobigende oder anerkennende Äußerung wäre ihm gewiß auch jetzt noch sehr willkommen gewesen; aber sicher hätte er sie nur als Waffe benutzt; wie er denn in einem umfangreichen von ihm hergestellten und dem Advokaten Batz (S. 346) übergebenen Schriftstück alle ›einschlägigen‹ Briefstellen zusammengestellt hat (darunter sogar jene Mittagseinladung (!) von [394] Frau Wagners Hand vom 1. Dezember 187312!), um dem Meister noch nachträgliche Zugeständnisse zwangsweise abzunötigen. Vergebens, die Theater, die in der Folge das Aufführungsrecht des ›Nibelungenringes‹ erwarben, konnten nicht gezwungen werden, die Hoffmannsche Ausstattung mitzulaufen, da im Gegenteil einer jeden einzelnen dieser Bühnen daran gelegen war, sich dem Bayreuther Vorbilde gegenüber recht original und erfinderisch zu erweisen und das höchst zweifelhafte Licht ihrer eigenen Dekorationskünstler leuchten zu lassen, und sicher hat sich der Meister darum, nach allen vorausgegangenen Erfahrungen, auch keine besondere Mühe gegeben, da er bei diesen Abschlüssen auf ganz andere Gesichtspunkte zu achten hatte! Nur für die unglückliche Wiener ›Walküre‹ (S. 340/41) hatte Hoffmann selbst noch dem K.K. Hofopernhause seine Dekorationen aufzudrängen gewußt.


(Zu Seite 161: Das Eintreffen des Lenbachschen, eigens für Wahnfried gemalten, herrlichen Schopenhauerporträts war ein Ereignis und glich dem Einzuge eines guten großen Schutzgeistes in das Haus.) Erst nach Lenbachs Tode ist das darauf bezügliche Dankschreibenden Meisters in vollständigem Wortlaute und mit der entsprechenden Datierung der Öffentlichkeit bekannt geworden, woraus sich dann auch unser auf S. 134 und 161 dieses Bandes erwähnter Irrtum inbetreff der Zeit seiner Entstehung erklärt. Nachdem wir nun in Band IV (III1) des vorliegenden Werkes den Wortlaut dieses Briefes nur unvollständig gebracht, fügen wir denselben an dieser Stelle in seiner wörtlichen Vollständigkeit ein. ›Lieber Lenbach! Ich finde, daß Ihr Maler glückliche Menschen seid. Wenn gegenwärtig von »Kunst« die Rede ist, wird genau genommen, immer eigentlich nur Malerei gemeint. Dichter – nun: das sind eben »Dichter«, Musiker sind Musikmacher, aber »Künstler« (vergleiche »Kunstbericht«) sind immer nur Maler. Das hat mich oft geärgert. Endlich muß ich aber doch sagen, daß man vielleicht Recht hat. Da steht nun dieses merkwürdige Wesen – diese reine Unbegreiflichkeit – der alte Schopenhauer! Die Idee eines »Schopenhauer« ist in diesem Bilde realisiert. Dies ist der Quell tiefer und klarer Gedanken, und leibhaftig haben wir ihn als Menschen vor uns! Ich habe die eine Hoffnung für die Kultur des deutschen Geistes, daß die Zeit komme, in welcher Schopenhauer zum Gesetz für unser Denken und Erkennen gemacht werde. Diese Zeit zeichnen Sie uns vor, indem Sie uns den Kopf zeichnen, in welchem jenes Gesetz seine edle Harmonie fand. Er schaut wehmütig streng auf uns. So feuert er die Besten an, ihm ein Lächeln abzugewinnen, welches Sie ihm schon ahnungsvoll eingeprägt haben. – Sind Sie nicht glücklich? – Das taten Sie für uns! – Mein liebes Weib wird Ihnen mehr davon sagen, was Sie uns sind, und wie dankbar wir Ihnen uns fühlen. Für heute genüge Ihnen dieser Ausdruck meiner großen, tief erregten Ergriffenheit! Ihr Richard Wagner. Bayreuth, 13. Januar 1875.‹ – Das Erste nach dem Eintreffen des kostbaren Bildes war, ihm einen würdigen Platz an der Wand neben Schiller, Goethe, Beethoven zu verschaffen, welche deshalb zusammenrücken mußten. Dabei blieb es indessen nicht; schon wenige Tage später erhielt er einen anderen Platz, weil er nicht ›zu Schiller, Goethe, Beethoven passe.‹ ›Der Philosoph muß einsam sein: alles was die andern in Pathos bringt, muß er in Besonnenheit übersetzen‹, sagte er dabei. Insbesondere mißfiel es ihm, daß Beethoven dadurch in die Ecke gedrückt werde: ›Wer ließe sich mit diesem vergleichen? Was gleicht einer Melodie, diesem unmittelbaren Geschenk des Himmels?‹ Und so erhielt Schopenhauer den noch heute von ihm behaupteten ›einsamen‹ Platz, ursprünglich über dem Flügel, späterhin über dem Arbeitstische des Meisters.


(Zu Seite 196: Niemanns geniale Veranlagung hatte eine Beschränkung: er konnte durch fremde Unterweisung, selbst durch die des Meisters, nichts lernen, er konnte alles nur [395] aus sich herausbringen; der ganze umfassende Probenapparat, die hohe Schule des Bayreuther Stiles, war nichts für ihn, er störte ihn nur.) Nichtsdestoweniger bezeichnet ihn der Meister – S. 266 des vorliegenden Bandes – während der Proben des Sommers 1876 als ›das eigentliche Enthusiasmus treibende Element‹. Dies geschieht in dem, für die Öffentlichkeit bestimmten ›Rückblick auf die Bühnenfestspiele des Jahres 1876‹. In einem schönen, ausbauenden Zusammenhang damit steht die private Briefstelle (aus Rom, 30. November 1876), in welcher es in Bezug auf dieselben gemeinsamen Arbeiten heißt: ›Welche tiefe Unbefriedigung mußte ich Ihnen stets ansehen: ich widerstand ihren Ausdrücken, weil ich Ihnen nicht zugestehen konnte, daß diese oder jene andere Besetzung usw. an der Sache etwas geändert haben würde. Sie vergaßen, daß nur Sie, aber einzig Sie – das Genie der Darstellung waren, wogegen das Übrige nur durch Fleiß und edlen Willen sich beteiligen konnte.‹ Die hier erwähnte ›Unbefriedigung‹ Niemanns bezog sich, wie wir gesehen haben (S. 266), vorzugsweise auf Unger (vergl. die S. 312 von uns angeführte briefliche Äußerung an Hill: ›Ich traue selbst Niemann nicht mehr, namentlich, wenn er erfährt, daß Unger den Siegfried behält‹); aber auch auf seinen, ihm andererseits besonders nahestehenden, engeren Berliner Kollegen Betz als Wotan, über dessen Leistung er sich bei den verschiedensten Anlässen nicht scharf und rückhaltlos genug aussprechen konnte. Und nun gerade in betreff dieser beiden war es dem Meister unmöglich ihm zuzugestehen, daß ›diese oder jene Besetzung‹ hier etwas hätte ändern können, wo es sich im wesentlichen auf Schritt und Tritt doch nur um die unerhörte Neuheit des Stiles in der Darstellung eines so umfassenden vierteiligen Werkes handelte! Bloß eine Wiederholung unter den günstigsten Umständen würde die vorhandenen Schäden abgestellt und zu einer Hinstellung des Ganzen in möglichster Reinheit gedient haben!


(Zu Seite 202: August Wilhelmj als Konzertmeister an der Spitze des Orchesters.) Welche Freude Richard Wagner an seinem ›lieben guten Nibelungen-Konzertmeister‹ oder ›Nibelungen-Geigenmeister‹ hatte, das hat er ihm in Vers und Prosa immer wieder zum Ausdruck gebracht. ›Volker der Fiedler ward nun neu‹, so besang er ihn während der Festspiele von 1876.13 Dazu beweisen eine ganze Folge an ihn gerichteter Briefe die Zuneigung des Meisters zu dem trefflichen Künstler.14 Die Heranbildung eines selbständigen jungen, von allen schlechten Gewohnheiten freien Orchesters war seit dem ersten Beginn der Festspielidee eine Lieblingsvorstellung Wagners; es gereichte ihm – gleich nach der Grundsteinlegung – zur Befriedigung, einstweilen seine Gedanken darüber mit dem hochbefähigten jungen Künstler auszutauschen und als der den sog. Schulplan, den Plan einer Bayreuther Stilbildungsschule im Herbst 1877 aufnahm, war sein erster Gedanke der an eine Übersiedelung Wilhelmjs nach Bayreuth. Dieselbe zerschlug sich, als dieser ›Schulplan‹ in der deutschen Öffentlichkeit so gar keine fördernde Teilnahme fand. Welche vollendete Aufführungen Beethovenscher Quartette unter seiner Mitwirkung und Wagners Anleitung haben aber in Wahnfried stattgefunden! Von einer sollen am 2. Juli 1876 (Glucks Geburtstag) mitten zwischen den anstrengenden Proben zu Siegfried und zur Götterdämmerung weiß Fricke in seinen Notizen zu berichten. ›Quartett A moll von Beethoven wurde von Wilhelmj, Mahr, Thoms und Grützmacher (Weimar) in der großartigsten Weise ausgeführt. Nun kam Wilhelmj allein, er spielte ein Klavierkonzert von Chopin, das er sich selbst für Violine arrangiert, Hofkapellmeister Levi begleitete ihn auf der Orgel. Von diesem Ton, von der Gewalt desselben auf einer Violine, habe ich nie eine Ahnung gehabt. Das Großartigste aber war die Chaconne von Bach, von dieser Technik, Ton, Vortrag, alles in allem! Sämtliche Musiker – und es ist doch mancher darunter, dem das Prädikat mit Recht geziemt – waren außer sich. Ich war so erregt, ich hätte ihm auf den Knieen danken können; ich [396] dankte still meinem gütigen Geschick, das mich dieses hatte erleben lassen‹ (Fricke, Erinnerungen S. 115/16).


(Zu Seite 210: Über Aussig führte die weitere Fahrt am 16. September nach Prag, wo er mit den Seinen anderthalb Tage verweilte.) In seiner sehr interessanten, gewissenhaft zusammengestellten kleinen Schrift: ›Richard Wagners Beziehungen zu Böhmen‹15 berichtet Aloys John über diesen kurzen Aufenthalt das Folgende: ›im Jahre 1875 weilte Wagner mit seiner Frau, dem kleinen Siegfried und seinen Töchterchen im August (?) in Prag, von einer Rundfahrt durch die böhmischen Bäder kommend. Er, blieb drei (?) Tage, bewohnte die Mittelzimmer des ersten Stockes im Hotel zum »schwarzen Roß« und ließ Prag nur als Tourist auf sich wirken. Vor allem zog ihn das rege Straßenleben der Stadt gegen sieben Uhr abends an. Das Theater besuchte er nicht. Er empfing bloß Herrn von Steinitz, der dem berühmten Gast die Honneurs machte und bei der Abfahrt am Westbahnhofe den Intendanten des deutschen Landestheaters Baron Poche. Es war Wagners letzte Anwesenheit in Prag.‹ An diesen Angaben ist bloß die Zeitangabe (Monat August und 3 Tage!) unrichtig; alles Übrige bestätigt sich ganz genau so, auch das Vergnügen des Meisters an den abends sehr belebten Straßen. Er kam am 16. September 8 Uhr abends an, besuchte am 17. September die Bastei, den Hradschin, die Schützeninsel, speiste unter den Arkaden des ›schwarzen Rosses‹, machte nachmittags eine Fahrt zum Baumgarten, und erfreute sich abends des Straßenlebens, wobei es ihn erfreute (da es ein Freitagabend war) weniger Israël anzutreffen, als es sonst der Fall zu sein pflegt. Am Sonnabend Besuch des Museums etc., Abfahrt um 2 Uhr – im ganzen also, die beiden Nächte mitgezählt, nur 42 Stunden Aufenthalt, die sich allerdings auf 3 aufeinander folgende Tage verteilten.


(Zu Seite 223: In diese Tage völliger Erschöpfung und äußersten Überdrusses an allem und jedem, was mit der Wiener Unternehmung in Zusammenhang stand, fällt die, von den Biographen Hugo Wolfs so oft mit allen Einzelheiten berichtete Begegnung des Meisters mit dem enthusiastischen kleinen Konservatoristen.) Wir müssen dazu noch bis in die Tage der Wiener ›Tannhäuser‹-Aufführung (S. 218/19) zurückgreifen. Von der fieberhaften Aufregung im Publikum haben wir bereits gesprochen; die heißblütige Wiener Empfänglichkeit, der Taumel des Entzückens, in welchen besonders die Wiener Jugend seit den 60er Jahren beim ersten Klange ›Wagnerscher Musik‹ geriet, schien sich jedoch – nach dessen brieflichen Berichten an seine Eltern – in dem fünfzehnjährigen Musikschüler verkörpert zu haben, der auf der vierten Galerie, im dichtesten Gedränge vier geschlagene Stunden ohne Ermatten aushielt und so rasend applaudierte, daß seine Umgebung auf ihn aufmerksam wurde.16 Schon vorher hatte der Kleine dem Meister aufgelauert, wenn dieser zu den Proben ging. [397] ›Trotzdem er schon so lange in Wien ist, hatte ich nicht eher das Glück und die Freude, Ihn zu sehen, als am 17. November um 3/411 Uhr, und zwar vor dem Eingang in das Hofoperntheater, von wo ich mich auf die Bühne begab und den Proben zuhörte. Mit einer wahrhaft heiligen Scheu betrachtete ich diesen großen Meister der Töne; ich grüßte ihn ehrerbietig, worauf er mir freundlich dankte.‹ Tagelang, wochenlang strich er um das Hotel Impérial, um eine zweite Begegnung zu ermöglichen, und seine Biographen vergleichen diese hochgespannte Schwärmerei, von welcher der Meister in diesem, wie in hundert ähnlichen Fällen, nichts wußte und nichts erraten konnte, mit dem schwärmerischen Überschwang des Helden seiner eigenen Novelle ›eine Pilgerfahrt zu Beethoven‹. ›Dasselbe ausdauernde Antichambrieren, ein förmliches Hinterhaltlegen, planvolles Intriguenspiel, rührende Geduld und nicht zuletzt Aufopferung alles persönlichen Selbstgefühles dort wie hier‹ (E. Hellmer). ›Samstag, den 11. Dezember, um 1/211 Uhr sah ich zum zweitenmal Richard Wagner‹, heißt es in Wolfs Tagebuch, ›und zwar im Hotel Impérial, wo ich eine halbe Stunde auf der Stiege stand und auf seine Ankunft wartete. Ich wußte nämlich, daß er an diesem Tage die letzte Probe seines Lohengrin leiten werde. Endlich kam er vom zweiten Stocke herab, und ich grüßte ihn ganz ehrfurchtsvoll, als er noch ziemlich weit von mir entfernt war; er dankte sehr freundlich. Als er nun zur Tür kam, sprang ich schnell hinzu und öffnete Ihm dieselbe; worauf er mich einige Sekunden lang starr anschaute und dann in die Oper zur Probe fuhr. Ich lief, so schnell ich laufen konnte, dem Meister vor und kam bei der Oper früher noch an als Richard Wagner im Fiaker. Ich grüßte Ihn dort wieder und wollte Ihm die Wagentür öffnen; da ich sie aber nicht aufbrachte, sprang schnell der Kutscher hinzu und öffnete Ihm dieselbe. Hierauf sagte er dem Kutscher etwas, ich glaube, es war von mir die Rede. Ich folgte Ihm dann noch auf die Bühne, wurde aber diesmal nicht vorgelassen.‹ Dagegen macht der kleine Idealist, um in tapferen Zudringlichkeit das Verlangen seiner jungen Künstlerseele zu stillen, die Bekanntschaft des ›Hoteldirektors‹ und läßt sich durch die Protektion desselben dem ›Kammerherrn Richard Wagners‹ und der ›Kammerzofe der Frau Cosima‹ vorstellen: ›ich erhielt Bescheid, morgen, Sonntag, den 12. Dezember, um 2 Uhr hinzukommen – wer war erfreuter als ich?‹ Er begibt sich um die bestimmte Stunde an Ort und Stelle, wird von der ›Kammerzofe‹ in das Vorzimmer Wagners geleitet, und wartet dort eine Viertelstunde. Endlich sei der Meister, in Begleitung seiner Gemahlin und Goldmarks erschienen, er kam soeben vom philharmonischen Konzert. ›Wagner ging, ohne mich zu beachten, in sein Zimmer, als die Kammerzofe in bittendem Ton zu ihm sagte: »Ach, Herr Wagner, ein junger Künstler, der schon so oft auf Sie wartete, wünscht mit Ihnen zu sprechen.« Er kam heraus, blickte mich an und sagte: »Ich habe Sie schon einmal gesehen, ich glaube, Sie sind ...« (Er vollendete den Satz nicht, wahrscheinlich wollte er sagen: »Sie sind mir schon da und da begegnet«, oder: »Sie sind der junge Mensch, der mir gestern die Tür öffnete« und der gegen sich selbst gerichtete Sarkasmus des blutjungen Künstlers tut unrecht mit der von ihm vermuteten Ergänzung des Fehlenden in den Worten: »Ich glaube, Sie sind – ein Narr«).‹ ›Hierauf ging er hinein und öffnete mir die Tür zum Empfangssalon, wo eine wahrhaft königliche Pracht (!!) herrschte.‹ Es ist gewiß rührend, wie hier der kleine Musiker mit den blonden Locken und der frommen Sehnsucht seine Bewunderung für die Person des Meisters sogar auf die konventionelle Wiener Hoteleinrichtung überträgt, aus welcher ein ›Ruhebett, ganz aus Samt und Seide‹ (!), seine besondere Aufmerksamkeit erregt. ›Als ich mit Wagner allein war, sprach ich: »Hochverehrter Meister, schon lange hegte ich den Wunsch, über meine Kompositionen ein Urteil zu hören und mir würde –« hier unterbrach mich der Meister und sagte: »Mein liebes Kind, ich kann gar kein Urteil über Ihre Kompositionen abgeben und habe jetzt viel zu wenig Zeit und kann nicht einmal meine Briefe schreiben. Ich verstehe gar nichts von der Musik.«17 Da ich den Meister bat, mir zu [398] sagen, ob ich es zu etwas bringen könnte, sagte er: »Das geht nicht, ich kann gar kein Urteil abgeben. Als ich noch so jung war, wie Sie jetzt, konnte man auch nicht sagen, ob ich es weit in der Musik bringen würde. Sie müßten mir höchstens Ihre Kompositionen am Klavier vorspielen, aber ich habe jetzt keine Zeit; wenn Sie einmal reifer sind und größere Werke komponiert haben, und ich einmal nach Wien komme, können Sie mir Ihre Kompositionen zeigen.« Da ich dem Meister sagte, daß ich die Klassiker mir zum Vorbild nähme, sagte er: »Nun ja, das ist recht, man kann ja nicht gleich Original sein.« Dabei lachte er. Zum Schluß sagte er: »Ich wünsche Ihnen, lieber Freund, viel Glück zu Ihrer Laufbahn. Fahren Sie nur recht fleißig fort, und wenn ich wieder nach Wien komme, zeigen Sie mir Ihre Kompositionen.« Hierauf schied ich tief bewegt und ergriffen vom Meister.‹


(Zu Seite 232/33: Komposition des Centennialmarsches für Amerika. Unter dem Datum des 8. Februar erklärte er sich zur Ausführung der Komposition bereit und stellte seine Forderungen; unmittelbar nach Absendung derselben machte er sich an den Entwurf der musikalischen Skizze.) In eben diese Tage fällt der Besuch des jungen Erfinders der Viola alta, Hermann Ritter, der, einer Aufforderung des Meisters folgend, ihn mit seiner Erfindung bekannt machen sollte. Er kam aus Heidelberg, wo er soeben Philosophie studierte. ›Ich betrat die Villa Wahnfried‹, so erzählt er selbst, ›mit jener Ehrfurcht, mit der man ein Gotteshaus betritt. Mit einer großen Papiertüte, in der meine Viola steckte, trat ich nach stattgehabter Anmeldung in jene bekannte, durch Oberlicht erhellte Rotunde (?), welche ringsum an der Wand auf großen Sockeln Wagnersche Gestalten von Zumbuschs Hand birgt. Nicht lange brauchte ich zu warten, und jener Mann, der Millionen Menschen durch seine gewaltige Kunst erhoben hatte, schritt auf mich zu. »Es freut mich, daß Sie gekommen sind« sagte der Meister, mir die Hand schüttelnd. »Sie sind also Kandidat der Philosophie und Bratschenverbesserer?« bemerkte er weiter und schaute lächelnd auf meine Papiertüte. »Das ist wohl die neue Bratsche?« Kaum hatte ich die Saiten meiner Viola alta einfach und in Doppeltönen angestrichen, so sah ich, wie in des Meisters Blicken aller Zweifel über die Tonkundgebung geschwunden war. Ich spielte weiter und fügte die bekannte sog. Kirchenarie, die fälschlich dem Stradella zugeschrieben wird, hinzu. »Das klingt ja herrlich«, sagte Wagner, »da haben Sie was Rechtes gemacht.« Mit den Worten: »So, junger Mann, nun legen Sie das Instrument beiseite und nehmen mit uns einen kleinen Imbiß ein«, lud er mich zum Frühstück; bei dieser Gelegenheit mußte ich ihm meine Sache vom Ursprung an erklären; ja er ließ sich von mir einen richtigen und förmlichen Vortrag über die Entwickelung der Streichinstrumente halten. Am selben Nachmittag hatte ich noch das Glück, mit dem großen Meister einen kurzen Spaziergang zu machen, und nachher mit ihm bei »Angermann« ein Glas Bier zu trinken. Hier erfuhr ich, daß Wagner gerade an dem Festmarsch für die Centennialausstellung in Philadelphia arbeite.

Für den nächsten Abend (Mittwoch, 9. Februar) war in Wahnfried eine kleine Gesellschaft geladen: Fischer und Mottl, Konzertmeister Fleischhauer aus Meiningen und einige Freunde der Wagnerschen Familie. Als ich die Bibliothek im großen Saale musterte, richtete ich in meiner Hochschätzung für Nohl die Frage an den Meister, ob er auch Nohls Werke seiner Bücherei einverleibt hatte. »Nohl?« sagte er hastig, »hören Sie mal, der ist für mich ein unheimlicher Mensch.« »Warum?«, fragte ich. »Weil er so viel über meine Sache schreibt. Das soll er bleiben lassen! Es wird überhaupt viel zu viel darüber geschrieben[399] und geredet. Die Leute sollen hierher kommen, sich's ansehen und anhören; ein einziger Geigenstrich ist mehr wert, als all das unnütze Gerede.« Ich hielt es für meine Pflicht, meinen Lehrer Professor Nohl zu verteidigen und erwiderte, daß ich diesen als einen seiner bedeutendsten Verehrer und Anhänger kenne und daß er sogar im Hörsaale der Universität für seine Kunstideale Propaganda mache. Wagner aber brach in Zorn aus: »Das ist es gerade, was ich nicht will, er schadet dadurch mehr, als er nützt. Ich brauche ein Publikum, welches gar nichts von alledem versteht und welches nicht kritisiert; am liebsten sind mir die Leute, die nicht einmal wissen, daß die Noten auf fünf Linien geschrieben werden.« Dann sagte er: »Sie wollen also den Doktor machen? sagten Sie dies nicht vorhin?« – »Gewiß, Meister, ich habe es vor« antwortete ich. »Was soll das? was wollen Sie damit?« Mir kam diese Frage als eifrigem Universitätshörer merkwürdig vor; als ich bemerkte, es wäre ein gewohnter Brauch und gehöre doch einmal zum Universitätsleben, als Abschluß der Studien den »Doktor« gemacht zu haben, brach er in ein spöttisches Gelächter aus, das durch die Worte »Kaffeedoktor«, »Teedoktor«, »Visitendoktor« unterbrochen wurde. Dann ging ein furchtbares Donnerwetter über Universität und Konservatorium los, das mit den Worten schloß: »Merkwürdig! was man nicht alles lernen kann!« Kaum war diese Kopfwäsche vorüber, als ich auf ein Bild, das auf einer Staffelei stand (?), mit den Worten deutete: »Ist das Ihr Vater, Meister?« Wagner konnte sich nun vor Lachen nicht halten und schrie förmlich: »Ja, ja, ja, ja, ja – Kandidat der Philosophie, und weiß nicht einmal, wer der da ist!« Es war das Bildnis Schopenhauers. Als ich meine Unkenntnis entschuldigte, tröstete er mich und sagte: »Studieren Sie nur recht fleißig Schopenhauer: es wird Ihnen besser bekommen, als Ihre ganze Doktorei!«‹

Von den eigentlichen musikalischen Vorträgen dieses Abends, den Beethovenschen Trios in D dur undB dur, dem großen Eindruck namentlich des letzteren, und den Aussprüchen des Meisters darüber wissen uns die Ritterschen Erinnerungen nichts näheres zu melden. In betreff des B dur-Trios äußerte Wagner lebhaft sein Bedauern, daß Beethoven das Adagio nicht zum Abschluß bringe, sondern ›mit Peitschenhieb in das Finale übergehe‹. Dagegen berichtet Ritter weiter, wie der Meister – gleich zu Beginn des Abends – seinen Gästen in kurzen Worten angedeutet, daß er eine im Ton verbesserte Bratsche zu Gehör bringen wolle, und ihn dazu aufforderte, etwas vorzutragen: ›irgend etwas, durch das Sie alle Saiten zeigen können; Fischer wird Sie am Klavier unterstützen.‹ ›Ich wählte die Phantasie Wolframs aus Tannhäuser, die mir der jetzige Münchener Hofkapellmeister Franz Fischer begleitete. Als ich geendigt, klopfte mir der Meister auf die Schulter und sagte: »Das klingt ja herrlich – Ihr Instrument! Übrigens sind Sie kein Kandidat der Philosophie, sondern ein echter Musikant; bleiben Sie bei Ihrer Kunst und lassen Sie den Doktor fahren! Was braucht ein Musikant Doktor zu sein?«‹18


(Zu S. 235/36: ›Lohengrin‹ in Wien für das Chorpersonal dirigiert. Das Briefchen an Frau Materna, mit welchem er am 2. März 1876 sein Eintreffen in Wien ankündigte, schließt mit dem Scherz: ›Also heute Abend wird umgeschmissen!‹ Nachdem das Werk erst ganz kürzlich unter seiner Oberleitung zu Gehör gebracht war, durfte er es nämlich – unter den gegebenen Umständen – wohl wagen, die Führung des Orchesters ohne jede weitere vorangegangene Probe zu übernehmen.) Wie diese Leitung ausfiel, haben wir a.a.O. (S. 326) des näheren dahin bezeichnet: sein magischer Einfluß auf das Orchester erwies sich als wunderwirkend; sogleich das Vorspiel gelangte zu einer Wiedergabe, wie es bis dahin in Wien noch nicht vernommen worden war. Der Eindruck des Ganzen war unwiderstehlich groß und gewaltig. Nichtsdestoweniger knüpft sich an diese Aufführung eine – auf Hellmesbergers [400] eigene Autorität hin! – überlieferte Anekdote: der Meister habe sich bei einem Einsatz geirrt und es würde geradezu furchtbar ›umgeschmissen‹ worden sein, wenn nicht Hellmesberger, im rechten Moment die Gefahr erkennend, ausgesprungen wäre und mit dem Fiedelbogen richtig weiter dirigiert hätte. ›Wagner merkte dies und wandte sich mit einer steifen Verbeugung nach dem Retter hin; es sah aus, als ob er beleidigt worden wäre.‹ Übers, Jahr aber, als ihm gerade brillant ausgeführte Medaillen mit seinem Kopfe ins Haus gekommen (S. 356 u. 371), habe er eine davon an Hellmesberger übersandt, mit den Zeilen: ›Seinem teuern Freund, dem hochgeehrten Künstler, dem tapfern Helfer in der Not, wenn es schwankt.‹ – – –


(Zu Seite 262: Nach Kögls Rücktritt wandte sich der Meister – 10. Juli – noch einmal an Scaria, in der herzlichsten Weise ihm zuredend und die weitestgehenden Anerbietungen machend, – vergebens! es erfolgte darauf nicht einmal eine Erwiderung. Statt seiner trat in letzter Stunde – 15. Juli – Gustav Siehr aus Wiesbaden ein.) Über die merkwürdigen Unterströmungen, welche hierbei mitspielten, erstattet ein Freund Siehrs, Herr R. Fiege, in der Nordd. Allg. Zeitung aus der Erinnerung Bericht. ›Emil Scaria, der spätere unvergleichliche Gurnemanz, wirkte im Jahre 1876 noch nicht mit. Er hatte die künstlerische Bedeutung der Aufführungen und deren Wichtigkeit für den eigenen Ruhm anfangs wohl nicht erkannt und daher seine Geldforderung sehr hoch gestellt. Für ihn sollte daher Kögl aus Hamburg eintreten, der eine Prachtstimme besaß, aber kein guter Darsteller war. Er glaubte sich schon nach den ersten Proben seiner Aufgabe nicht gewachsen, wurde mißmutig, nervös und reiste plötzlich ab.19 Die Zeitungen bezeichneten ihn als ein »neues Opfer des Wagner-Gesanges« und erzählten, daß er nur deshalb nicht mittun werde, weil er sich die Stimme ruiniert habe. Für ihn trat Gustav Siehr ein, damals in Wiesbaden. Ein früherer Mediziner, der in Berlin seine Gesangstudien gemacht hatte, war er dem Meister durch Franz Betz (und Hill!) empfohlen worden. Er mußte nun, als alle anderen ihre Partieen längst innehatten, die seine mit heißem Bemühen erst in Bayreuth studieren.20 Eines Tages – es war um die Mittagszeit und ich kam von einem Besuche bei Karl Hill – sah ich im Vorübergehen bei Angermann Freund Siehr ganz allein auf der Bank beim Biere sitzen. Er rief mich heran und erzählte, förmlich strahlend vor Freude, er habe soeben Wagner die Partie des Hagen vorgesungen. Sie sitze fest, und der Meister sei sehr zufrieden gewesen. Nun wolle er auch etwas ruhen und mit uns fröhlich sein. Kaum hatte er ausgesprochen, als wie auf ein Stichwort Frau Grün und I. Rubinstein eilenden Schrittes herankamen und Siehr winkten, mit ihnen ins Haus zu treten. Was sie ihm da sagen würden, ahnte ich – Hill hatte es mir schon anvertraut. Scaria nämlich hätte nun doch gern mitgemacht; Wagner würde den vorzüglichen Sänger auch noch gern genommen haben. Er hielt sich seit Wochen in der Nähe Bayreuths auf21 und stand mit seiner Wiener Kollegin Amalie Materna in sehr regem Verkehr. Jetzt eben sollte unsere sonst sehr verehrte Amalie bei Wagner gewesen sein, ihm die Bereitwilligkeit des Sängers mitgeteilt und den Auftrag erhalten haben, ihn zur Übernahme des Hagen einzuladen. Das erfuhr nun Siehr von den genannten beiden. Erregt stürzte er aus dem Hause; kaum, daß er mir flüchtig die Hand reichte und ein Lebewohl [401] zurief. »Fort! eilig packen! mit dem nächsten Zuge gehts heim!«22 Ich beschwor ihn, eine Minute lang mich anzuhören und erzählte ihm dann, angesichts der beiden Unglücksraben, die verwundert dastanden, ich wisse alles und habe es absichtlich ihm verschwiegen; nun müßte ich ihm aber auch mitteilen, was ich eben bei Hill erfahren: daß Niemann, Betz und Hill ihre Mitwirkung verweigern würden (!), falls Scaria anstatt seiner den Hagen bekäme. Die drei seien bereit, das Wagner zu erklären. Tief atmete Siehr auf. Mir schien es damals, als hätte ich der Sache einen wichtigen Dienst geleistet. Siehr wäre jedenfalls in der Erregung abgereist, – konnte Scaria so nahe vor der Aufführung noch genügend geschult werden? Hätten die Freunde, namentlich der sehr eigenwillige Betz, nicht den Aufführungen ernste Schwierigkeiten bereiten, wenn auch nur einen Aufschub derselben veranlassen können? Jedenfalls waren nun Mißhelligkeiten vermieden; alles ging seinen Weg weiter, und die nicht an der Angelegenheit Beteiligten erfuhren nichts davon, daß während einer kurzen Zeit eine Gewitterwolke am Himmel gedroht hatte.‹


(Zu Seite 267: Gartenfest in Wahnfried zu Ehren des Geburtstages von Frau Materna.) Diesem Gartenfest mit seinen Rosenspenden war am Freitag, 7. Juli, eine Episode aus dem Theater vorausgegangen, welche im Frickeschen Tagebuch mit allen Einzelheiten beschrieben ist. Er hat kurz zuvor von der leidenschaftlichen Betätigung des Meisters in den Proben gesprochen, mit der er die Szenen arrangiere, den Künstlern ihre Gesten und Bewegungen zeige etc. Indem er seine Musik höre, überkomme ihn eine Art Paroxysmus, in diesem Ausströmen der Gefühle befinde er sich wohl und es scheine, als ob es ihm eine Wohltat wäre zu rasen, – wehe dann dem Künstler oder der Künstlerin, die auf der Szene stehe! ›Heute, in der Klavierprobe 2. Akt Götterdämmerung, hatte er es mit der Materna zu tun, einer Sängerin von Gottes Gnaden, die von allen aufs tiefste fühlt, was sie singt, demnach auch dramatisch gestaltet, so daß man wohl zufrieden sein kann. In dem Moment, wo die Materna, in das vollste Feuer geraten, singt, daß es uns alle kalt überläuft, springt Wagner ein, zieht sie nach einer anderen Stelle, nicht etwa sanft, unterbricht den Gesang. Es wird wiederholt. Frau Materna kann unmöglich noch einmal in die tiefempfundene Stimmung hinein kommen, denn sie ist wie mit kaltem Wasser überschüttet, sie macht Fehler. Hans Richter schreit herauf, das müsse vor der Klavierprobe fest gelernt sein. Die Riesenfrau war vollkommen fertig von dieser Probe und weinte auf dem Nachhauseweg; wir konnten sie kaum trösten.‹ Natürlich war dem Meister selbst diese Wirkung seiner plötzlichen Korrektur einer falschen Stellung – denn um etwas anderes hatte es sich nicht gehandelt – nicht entgangen, und das Gartenfest erhielt damit noch eine besondere Bedeutung. Im übrigen haben wir die Schilderung der vorausgegangenen Situation auf der Bühne zwar wörtlich nach den Frickeschen Aufzeichnungen wiedergegeben, müssen aber doch hervorheben, daß sie in der Auffassung des redlichen und wohlmeinenden, aber durch seinen Theaterhorizont etwas beschränkten Mannes, aus dem Zusammenhang der gesamten Probenvorgänge gerissen und für sich allein in ein grelles Licht gestellt, immerhin etwas karikiertes an sich hat. Das sagt sich der Leser übrigens wohl selbst.


(Zu Seite 318: Zusammentreffen mit Nietzsche in Sorrent.) Von Venedig aus wandte sich der Meister an Nietzsche mit dem Auftrag einer kleinen Besorgung23, die dieser in Basel [402] für ihn machen sollte; in welchem Sinne und in welcher Absicht erklärt sich leicht. ›In solchen Dingen‹, schreibt er einmal anläßlich einer ähnlichen kleineren Kommission an seine Schwester Ottilie, ›habe ich den wunderlichen Stolz der buddhistischen Bettelmönche, welche um Almosen baten, nicht weil sie deren bedurften, sondern um den Spendenden das Verdienst des Gebens zuzuwenden.‹24 Mit anderen Worten: es freute ihn, in diesem wie in ähnlichen Fällen, durch Veranlassung einer derartigen Gefälligkeitserweisung zu dem damit Beehrten die unterbrochene Beziehung zu erneuern. Noch am Vorabend seiner Abreise von Venedig telegraphierte er dem jungen Freunde seine veränderte Adresse von morgen ab: ›Bologna, Hotel Italia.‹ Vom gleichen Tage – 25. September – ist der Begleitbrief der Baseler Firma datiert, bei welcher die Besorgung erfolgte25, vom 29. der Brief Nietzsches, den wir hier verkürzt wiedergeben: ›Sie haben mir durch den kleinen Auftrag, welchen Sie mir erteilten, Freude gemacht: er erinnerte mich an die Triebschener Zeiten. Ich habe jetzt Zeit, an Vergangenes, Fernes wie Nahes, zu denken, denn ich sitze viel im dunkeln Zimmer, einer Atropinkur der Augen wegen, welche man nach meiner Heimkehr für nötig fand. Der Herbst nach diesem Sommer ist für mich, und wohl nicht für mich allein, mehr Herbst als ein früherer. Hinter dem großen Ereignisse liegt ein Streifen schwärzester Melancholie, aus dem man sich gewiß nicht schnell genug nach Italien oder ins Schaffen oder in beides retten kann .... Käme der »Geist« über mich, so würde ich Ihnen einen Reisesegen dichten, aber dieser Storch hat sein Nest neuerdings nicht auf mir gebaut: was ihm zu verzeihen ist. So nehmen Sie denn mit den herzlichsten Wünschen fürlieb, die Ihnen als gute Begleiter folgen mögen. Treulich, wie immer, der Ihrige Friedrich Nietzsche.‹ Das in diesem Briefe26 bei der verkürzten Wiedergabe Ausgelassene sind ausführliche Klagen über seine verzweifelten Neuralgien: seine Leiden seien wieder auf einem Höhepunkte. Seltsam, daß er sie gerade in diesem Briefe an Wagner so eingehend schildert; ein zwei Tage zuvor (24. September) an Freiherrn von Seydlitz geschriebener Brief27 bekundet nichts von dieser ›schwärzesten Melancholie‹. Wir werden dadurch, trotz aller unbezweifelbaren traurigen Realität dieser Leiden, lebhaft an den Ausspruch seiner Schwester erinnert: ›Ich kann nicht behaupten, daß Fritz in jenen Wochen in Bayreuth körperlich leidend gewesen sei, er hatte sogar sehr wenig Kopfschmerzen; um ihn aber zu entschuldigen, daß er so selten zu Wagners kam, gebrauchten wir öfters den Vorwand, zu sagen, daß er unwohl wäre.‹28 So zeigte er sich denn auch bei den wenigen Gelegenheiten eines Zusammenseins in Sorrent (S. 318) auffällig mit seiner ›Gesundheit‹ beschäftigt. Und in einem Schreiben an H.v. Wolzogen vom Anfang Dezember erwidert er auf dessen vorläufige Aufforderung zu einer Beteiligung an den – noch im Werden begriffenen – ›Bayreuther Blättern‹ das Folgende: ›Werter und lieber Herr! Ja, aber die Gesundheit! Ich bin auf ein Jahr nach dem Süden verbannt: nichts lesen, nichts schreiben, womöglich nichts denken – das sind die ärztlichen Weisungen. Es versteht sich von selbst, daß ich, sobald es angeht, meine Teilnahme an Ihrem Unternehmen tätlich beweisen werde‹ etc29. Um die gleiche Zeit entstand in Sorrent seine – erst 1878 erschienene – Schrift: ›Menschliches, Allzumenschliches‹ (›in Sorrent erst spann sich's groß und breit‹ sagt er selbst davon), in der er sich von vielem lossagte, und die denn freilich nicht – für die ›Blätter‹ getaugt hätte. Die erste erklärte ›Lossagung‹ war die von Schopenhauer in seinem, nicht erhaltenen, sonst sehr herzlichen Weihnachtsbrief (S. 333). Im Oktober 1877 sandte er, als erstes Lebenszeichen nach langer Unterbrechung, das Manuskript des schönen Aufsatzes von Dr. Otto Eiser aus Frankfurt a.M. über den ›Nibelungenring‹ nach Wahnfried [403] ein30, dabei wiederum über seine ›Gesundheit‹ klagend; bald darauf erfolgte von demselben Dr. Eiser ein eingehender Bericht über diesen Gesundheitszustand, den der Meister (23. Oktober 1877) in einem ausführliche teilnehmenden Schreiben beantwortete, von dem wir nicht genau sagen können, ob es sich erhalten habe oder nicht. Mit dem Erscheinen des eben genannten Nietzscheschen Buches war denn freilich auch alles zu Ende, und jede Hoffnung auf eine fernere gesunde ›Entwickelung‹ dieses seltsamen Geistes – durch einen handgreiflichen und offenkundigen Gesinnungswechsel – wie mit scharfem Messer abgeschnitten.


(Zu Seite 330: Dagegen beharrte Betz dabei, seine von ihm selbst als unzulänglich empfundene Mitwirkung als Wotan fortgesetzt zu versagen. Nichtsdestoweniger wandte sich der Meister noch einmal im Tone eines edlen Vertrauens bittend und überredend an ihn.) Zum richtigen Verständnis, ja zur rechten moralischen Würdigung dieses Briefes – vom 12. Januar 1877 – ist zu berücksichtigen, daß er alle darin aufgewandte herzliche Beredsamkeit in den Dienst eines Zweckes stellte, der nicht der seinige war, sondern lediglich der seiner Bayreuther Freunde vom Verwaltungsrat; ihm selbst konnte die Weigerung seines Sängers nur willkommen sein, da sie ihm von Pflichten entband, die ihm damals wiederstrebten. Hier der Brief in seinem unverkürzten Wortlaut:

›Lieber, verehrter Freund! Ihr Brief, den ich in jeder Hinsicht als ein Muster anerkennen muß, macht es mir recht schwer, mich doch noch einmal an Ihr Urteil zu wagen, wenn es auch nur wäre, um Ihre Stimmung zu gewinnen. Ich werde aufs äußerste gedrängt, mich über die diesjährige Wiederholung der Festspiele zu erklären; meinen Entschluß konnte ich zuletzt nur noch von der Möglichkeit Ihres Wiedergewinnes abhängen lassen. Wie soll ich nun zu diesem Wiedergewinn gelangen? Soll ich Sie überreden, wenn ich Sie nicht überzeugen kann?

Vor welchem Teile unserer Aufführung würde nicht, nur meist noch viel strenger, das gelten, was Sie über Ihren Anteil sich vorwerfen? Nie habe ich einen meiner Darsteller noch die Bewunderung ausdrücken können, die ich Ihnen über den Hauptteil Ihrer Leistung aus erblichstem Bewußtsein aussprach. Fühlten Sie sich im »Rheingold« geniert und nicht recht zu Haus, so sage ich Ihnen, daß es uns allen so ging, daß ich während der Proben selbst erst (teilweise wohl auch durch die Aufstellung der szenischen Dekoration) auf Schwierigkeiten traf, die ich mich vergebens zu überwinden bemühte, wogegen ich vergebens auch meine Erfindungsgabe abquälte, uns allen eine gegenseitig lähmende Steifheit zu benehmen. Dem werden wir jetzt Abhilfe zu finden wissen: es muß hier, namentlich auch in der Szene, viel korrigiert werden, und gerade eben dieser uns gegenseitig zu gebenden Genugtuung wegen müssen wir uns noch einmal vereinigen.

In Betreff der Überanstrengung für Sie bedenken Sie nun aber, was Sie in den vorangehenden Jahren nun hinter sich geworfen haben: das unglaublichst gewissenhafte Studium dieser unerhörtesten Partie! Dieses ist ja nun im allerordentlichst weiten Sinne beendigt: gehen Sie jetzt an die Wiederdarstellung nur mit der allerversichertsten Ruhe, welche Ihnen das Bewußtsein der erlangten vollsten Meisterschaft geben muß! Hier ist diesmal keine Anstrengung durch Proben mehr nötig; ja auch in Betreff der Aufführungen würden Sie mich nur verpflichten, wenn Sie mir den bequemsten Modus für Sie geradesweges vorschrieben; es wird dann Allen und somit auch dem Ganzen zugute kommen. Einen Erholungstag zwischen jedem Hauptaufführungstag gestehe ich im Voraus gern zu. Vielleicht aber können wir auch nur alle 14 Tage, anstatt alle 8 Tage, eine volle Aufführung stattfinden lassen, sodaß wir, anstatt 3 Wochen, diesmal 5 Wochen auf die Aufführungen verwenden. [404] Sie probieren dann ca. 2 Wochen alles mit größter Ruhe noch einmal durch, und die Zeit, wann beginnen, geben Sie mir auch an.

Seien Sie doch nur gut!

Oder wenn Sie durchaus nur gegen mich böse sein wollen, etwa unzufrieden mit Ihrer Leistung, so sagen Sie uns einmal, mit wem (als Wotan) Sie zufriedener sein würden? Also!!!

Der Eindruck unserer Leistungen ist ein ungeheuerer und tiefer gewesen; davon konnte ich mich gerade auch in Italien überzeugen, wohin einzelne der Zuhörer versprengt waren, welche dort im allgemeinen, gerade auch unter Italienern, eine unerhörte Meinung über uns verbreitet hatten. Und gerade über Wirkungen, welche Sie hervorbrachten, habe ich Ihnen Erfahrungen zu berichten, welche Sie gewiß erfreuen werden.

So will ich es denn, mein lieber Freund, von Ihrer Beugsamkeit abhängen lassen, ob wir unser Werk fortsetzen. Denn ohne Sie muß ich dies für unmöglich erklären. Seien Sie gut und erfreuen Sie bald Ihren tiefherzlich ergebenen Richard Wagner.

Dieser wohl fast unwiderstehlich dünkende Anruf werde dennoch von seiten des überempfindlichen Sängers, den die ihm selbst bewußt gewordene Unzulänglichkeit seiner Leistung mit schmerzlichem Stachel peinigte – abschlägig beantwortet. Damit war das Schicksal der Wiederholung der Festspiele entschieden. Den Ausspruch: ›Er kommt mir zu Hilfe‹ (S. 330), hat der Meister übrigens erst nach Empfang dieses letzteren Briefes getan und sich nun natürlich nicht von neuem an Betz gewandt.


(Zu Seite 340: Die allendliche Fixierung des Nameus ›Parsifal‹ – für ›Parzival‹ – gehört erst den Februartagen 1877, annähernd etwa dem 13. oder 14. Februar an.) Die vom bloß philologische Standpunkte aus keineswegs einwandfreie Deutung des Namens als ›Parseh-fal‹, reiner Tor, entstammt bekanntlich der Görresschen Einleitung zu seiner Ausgaben des ›Lohengrin‹. Durch die Dichtung Wagners, insbesondere die Stelle des zweiten Aktes, in welcher Kundry den Namen des jungen Helden deutend in seine Bestandteile auflöst (›Dich nannt' ich, tör'ger Reiner, Fal-Parsi, Dich reinen Toren, Parsifal‹), wie nicht minder den geheimnisvollen Verheißungsspruch des Grales von dem ›durch Mitleid wissenden reinen Toren‹ hat dagegen die an sich so problematische Deutung des ersten Herausgebers der ›Lohengrin‹-Dichtung, der selbst gar kein hervorragender Kenner des Arabischen war, eine vorher gar nicht zu ahnende, wichtige Bedeutung gewonnen: wenn nicht von sprachwissenschaftlichen, so doch von dem, bei weitem höheren Standpunkte des dichterischen Bedürfnisses aus. Denn nun ist in Form und Sinn des Namens die höchste Anforderung erfüllt, die an einen solchen gestellt werden kann: er verkörpert durch seinen bloßen lautlichen Klang – durch Kundrys deutende Worte unterstützt – unmittelbar die Idee der Dichtung. Und was immer der Sprachkundige dazu sage, ob er der vom Dichter akzeptierten Deutung zustimmen oder sie verwerfen mag; für den hier allein in Betracht kommenden naiven, keiner orientalischen Sprachweisheit mächtigen Zuhörer steht sie über jeden Zweifel fest, nicht minder die Herkunft des Namens aus dem Arabischen (›so rief, da in arab'schem Land er verschied, Dein Vater Gamuret dem Sohne zu, den er, im Mutterschoß verschlossen, mit diesem Namen sterbend grüßte‹). In diesem Sinne war die bloße Akzeptierung einer vorhandenen Namensdeutung von seiten des Dichters ein schöpferischer Akt, eine Intuition, eine bis in fernste Fernen hinaus wirkende Erleuchtung, um deren Zustandekommen allein die dichterische Phantasie, keineswegs aber der ursprüngliche Erfinder der Etymologie ein Verdienst hat. Man vergleiche zu dem Vorstehenden den aus dem Jahre 1888 stammenden, sehr belehrenden Aufsatz H.v. Wolzogens ›Der Name Parsifal‹ in dessen Schrift ›Wagneriana, gesammelte Aufsätze über R. Wagners Werke vom Ring bis zum Gral‹ (Leipzig 1888), S. 162/66.


[405] (Zu Seite 381: Hans von Wolzogen in Bayreuth: gelegentliche Quartettvorträge, wie am 10. November durch die gerade in Bayreuth konzertierenden Münchener Hofmusiker.) Am Freitag, 9. November 1877 gaben die Münchener Hofmusiker im Bayreuther ›Sonnen‹-Saal ein Konzert, in welchem u.a. das Quartett Op. 135 von Beethoven zum Vortrag gelangte. Diesem öffentlichen Konzert wohnte Wagner persönlich nicht bei; wohl aber waren die Münchener Quartettisten am folgenden Abend (Sonnabend, 10. November) seine Gäste in Wahnfried. Seine Stimmung war an diesem Tage durch so manche Erfahrung tief ernst und fast wehmütig beeinflußt gewesen: er hatte im Laufe des Tages von seiner Stellung zur Welt gesprochen, wie absolut vereinsamt er darin sei, in seinem großen Unternehmen von allen verlassen und jetzt für seinen Schulplan so ungehört geblieben! Auch war die erschreckende Nachricht von seines Neffen Clemens Brockhaus plötzlichem Tode (S. 382) an ihn gelangt, die ihn arbeitsunfähig machte; ferner hatte er nachmittags mit Hilfe des Notars seine Forderungen an die Hoftheater im Betreff des ›Ring des Nibelungen‹ aufzusetzen gehabt! Und nun abends der befreiende, alles lösende Zauber des Beethovenschen Quartettes, unter seiner eigenen Tempo- und Vortragsangabe, der unsägliche Eindruck des Adagios, tiefe Sehnsucht erweckend und befriedigend, wie das Vermächtnis des Größten; welchem dann noch jenes wundervolle Haydnsche Adagio folgte, das von jeher sein besonderer Liebling gewesen. Wie schwand nun alles irdisch Unzulängliche dahin, Welt und Tod besiegt und aufgehoben in einem höheren, verklärten Lebenselement! – Seiner Freude an dem schönen Abende gab er in den Worten Ausdruck: ›Am liebsten gehe ich mit Musikanten um, sie können etwas.‹

Fußnoten

1 Der Buchbinder, von dem hier die Rede ist, ist Christian Senfft, der dem Meister sämtliche laufenden Buchbinderarbeiten für seine Bibliothek ausführte, der Lehrbursche, um den es sich im obigen handelte, hatte sich dadurch, daß er den weiten Weg zu seiner Gemeinde seiner Armut wegen zu Fuß zurücklegen mußte, eine Lungenentzündung geholt. Da er ein bescheidener, guter und hübscher junger Mensch war, ging es Wagner sehr nahe und erfüllte ihn mit großer Wehmut, daß er sich durch seine Dürftigkeit den Tod geholt haben sollte; er nahm sich seiner an, und sorgte, daß er im Krankenhause eine gute Verpflegung erhielt. Wiederholt hat ihn dort der Meister selbst, oder seine Gattin (mit Siegfried) während seiner schweren Krankheit besucht. –


2 Auf diese Beschaffenheit der Nietzscheschen Schriften weist Prof. J. Möbius in seinem zwar trostlosen, aber durch die Macht der Wahrheit versöhnenden Nietzsche-Buch (Leipzig, J.A. Barth, 1904) hin; ein Verständnis der Persönlichkeit scheint uns ohne die genaueste Beachtung aller darin enthaltenen Beobachtungen gar nicht möglich. ›Er nennt sich‹, heißt es dort, ›selbst einmal profondément triste, und das ist auch der Charakter seiner Schriften: immer hochgespannt und feierlich, nirgends ein Aufleuchten des Humors, ein Abwerfen des Prophetenmantels. Gerade deshalb, weil Nietzsche soviel von Heiterkeit, von fröhlicher Wissenschaft, von Lachen und Tanzen spricht, weil man dabei die Absicht fühlt, weil die heiteren Worte aus einem tief traurigen Munde kommen, gerade deshalb friert der Leser. Man kann nicht bloß sagen, daß die Schmerzen der Krankheit, die Enttäuschungen des Lebens den Humor unterdrückt haben; es muß schon von vornherein wenig Humor vorhanden gewesen sein, sonst wäre trotz alles von außen kommenden Übels das Leben nicht so trübe geworden‹ (a.a.O., S. 28).


3 Bezeichnend ist die, seinen Freunden wohlbekannte und auch in der Biographie (I, S. 27) angedeutete Tatsache, daß er in seiner ersten Jugend für taubstumm galt, da er auf keine Ansprache reagierte. ›Ruhe und Schweigsamkeit, die ihn von anderen Kindern fernhielt‹ erwähnt er (a.a.O.) selbst unter seinen früh entwickelten Eigenschaften.


4 So findet sich in seinen Niederschriften aus dem Jahre 1874 der merkwürdige, in seiner Logik eines Hanslick würdige Satz: ›Wagner ist kein Reformator, denn – bis jetzt ist alles beim Alten geblieben.‹


5 Das böse Wort stammt merkwürdigerweise von Nietzsche selbst, als dem Gegenstande dieser Besorgnis! Vgl. Seinen Brief an Gersdorff vom 4. Juli 1874.


6 Von diesem Blick spricht wiederum Nietzsche selbst in einem Briefe an Rohde vom 1. Juni 1874: ›Ich erfahre soeben wieder durch Gersdorff und die Bayreuther, daß man sich sehr um mich sorgt, daß man meine Stimmung gefährlich und galgenhumoral findet u.s.w. Nun ich kann mir nicht helfen: einige Menschen sehen aus der Ferne besser, als ich aus der nächsten Nähe – und so mag wohl etwas an der Besorgnis dran sein‹ (Briefwechsel mit Rohde, S. 462).


7 Man vergleiche hierzu seine eigenen privaten Äußerungen über den Wert des öffentlich von ihm hochgepriesenen Dr. Paul. Rée (Nietzsche-Biographie II, S. 271/72) und die krankhafte Neigung, den literarischen oder selbst musikalischen (!) Leistungen von Personen seiner Umgebung einen eingebildeten hohen Wert beizulegen.


8 Neue freie Presse, Nr. 15129 und 15130 vom 4. und 5. Oktober 1906.


9 Es geschah dies bald nach den Grundsteinlegungstagen, noch auf Schloß Fantaisie, am 14. Juni war die letzte Sitzung, die dem Meister von seiner Arbeit an der ›Götterdämmerung‹ einen Vormittag raubte.


10 Auszugsweise mitgeteilt a.a.O. nach einer Abschrift von Hoffmanns Hand.


11 Wie leichtsinnig Hoffmann auch hierin gehandelt hatte, geht daraus hervor, daß er durch diesen Umstand die Einhaltung der Bedingungen seines mit Wagner geschlossenen Vertrages gefährdete. Skizzen, die nicht für die Bayreuther vorbildlichen Aufführungen taugten, konnten doch unmöglich in verpflichtender Weise anderen Theatern zur Benutzung und Nachahmung empfohlen werden!


12 Diese existiert unserer Kenntnis nach nicht mehr im Original, sondern nur noch in seiner – Hoffmanns – eigenen, für diesen Anlaß hergestellten Abschrift, mit mehreren darin angebrachten Kürzungen, welche jedoch keine der darin enthaltenen Belobigungen seiner ursprünglichen Skizzen betreffen!


13 Vgl. Richard Wagner, ›Gedichte‹ (Berlin, G. Grote, 1905).


14 Bayreuther Blätter 1905, S. 224/35.


15 Leipa 1906, im Selbstverlage des Verfassers (Eger, Bahnhofstraße 25), S. 17.


16 Da es keine nummerierten Sitzplätze auf dieser vierten Galerie gab und gibt, galt es durch frühzeitiges Erscheinen sich eines guten Platzes zu versichern. ›Ich stellte mich schon um 1/43 Uhr ein, obwohl die Oper erst ausnahmsweise um 1/27 (sonst um 7 Uhr) anfing. Es war ein so furchtbares Gedränge, daß ich um mich schon besorgt war; ich wollte den Rückweg antreten, doch war es unmöglich, da keiner neben mir von der Stelle wich. So blieb mir nichts übrig, als auf meinem Platz zu bleiben. Als endlich die Tür geöffnet wurde, drang der ganze Schwall hinein, und mein Glück, daß ich in die Mitte gerissen wurde; denn wäre ich auf die Seite gekommen, so würde ich an der Mauer zerschellt sein. Doch wurde ich reichlich für meine Todesangst entschädigt: ich hatte meinen alten guten Platz auf der vierten Galerie. Schon die Ouvertüre war wundervoll, und erst die Oper – ich finde keine Worte dazu, sie zu beschreiben. Ich sag' Ihnen nur, daß ich ein Narr bin. Nach jedem Akte wurde Wagner stürmisch gerufen, und ich applaudierte so, daß mir die Hände wund wurden. Ich schrie nur immer: »Bravo Wagner! Bravissimo Wagner!« so daß ich fast heiser geworden bin und die Leute mehr auf mich als auf Richard Wagner schauten. Nach jedem Akt wurde er fortwährend gerufen, wo er sich von der Loge aus bedankte; nach dem dritten und letzten Akte erschien er auf der Bühne, und da der Jubel kein Ende nehmen wollte, hielt er nach dreimaligem Hervorrufen eine kleine Anrede an das Publikum; ich habe selbe in mein Notizbuch wörtlich aufgeschrieben. Ich bin durch die Musik dieses großen Meisters ganz außer mir gekommen und bin ein Wagnerianer geworden‹ (Deutsche Zeitung Nr. 10506, 2. April 1901: ›Aus Hugo Wolfs Leben‹ von Edmund Hellmer. Vgl. Dr. E. Decsey, ›Hugo Wolf‹, Berlin, Schuster & Löffler.)


17 Das war etwas zum Nachdenken für den jungen Konservatoristen, in dessen begeisterten Briefnotizen an seine Eltern sich u.a. der Satz findet: ›Er (Wagner) sei nach dem jetzigen Urteil der erste Opernkompositeur unter allen Künstlern.‹ Das hatte nun der Meister sofort erkannt, der jedem auf den ersten Blick gleich das rechte Wort zu sagen wußte. Vgl. dazu. Ges. Schr. X, 374/75: ›Ich bin kein Musiker und empfinde dies sofort, wenn man mir eine berühmte Komposition dieses oder jenes jetzt gefeierten Meisters der Musik vorführt, und ich eben die Musik darin gar nicht gewahr werden kann. Offenbar handelt es sich hier um ein Gebrechen, mit dem ich behaftet, und welches mich unfähig macht, an dem Fortschritt unserer Musik teilzunehmen ...‹


18 Verkürzt nach: ›Meine Erinnerungen an Richard Wagner.‹ Von Prof. Hermann Ritter (Würzburg). Frankfurter Zeitung Nr. 274 vom 3. Oktober 1901.


19 Vgl. die Frickesche Tagebuchnotiz aus der ersten Juliwoche (ohne bestimmtes Datum): › Kögl-Hagen ist ausgerissen, hat die Flinte ins Korn geworfen. Fühlte er heraus, daß er dieser Aufgabe nicht gewachsen, oder war er wirklich krank? Er hatte sich ein ärztliches Zeugnis ausstellen lassen, er müsse sich erholen nach den Strapazen des Winters. Gestern Morgen war ich mit Wagner allein und erfuhr, daß er sich bereits mit Scaria in Verbindung gesetzt. Er sagte: »Mit Reichenberg könnte ich es allenfalls noch erzwingen, er müßte furchtbar arbeiten.«‹ (Fricke. Erinnerungen, S. 117.)


20 Vgl. die Frickesche Tagebuchnotiz vom 22. Juli: ›Bassist Siehr aus Karlsruhe studiert seit acht Tagen – Tag und Nacht, wie man sagt – den Hagen, Dienstag wird er zum ersten Male auf der Probe erscheinen.‹ Unverständlich bleibt bei dieser Notiz bloß die Angabe des ›Dienstag‹ (25. Juli) als erster Probe für Siehr, da die ›Götterdämmerungs‹-Proben des zweiten Zyklus vielmehr bereits am Montag, den 24., ihren Anfang nahmen.


21 Vgl. sein auf S. 252 Anm. erwähntes Kissinger Gastspiel!


22 Buchstäblich dasselbe Stück hatte am 2. Juli gespielt, als der Meister – an Stelle des, ihm als Hunding nicht genügenden Eilers (Fasolt) – Niering für diese Partie bestimmt hatte. Er hatte dies Eilers in einem schonenden Briefe mitgeteilt und übergab diesen Fricke mit der Bitte, ihm zu helfen, damit dieser Brief von Eilers nicht mißverstanden werde. Fricke erzählt in seinen Tagebüchern das Folgende: ›Da kam ich aber schön an. Eilers hatte schon aus fünf Mäulern seiner liebenswürdigen Kollegen erfahren, was ihm bevorstand, und wollte gleich »abreisen«. Ich hatte redlich mit ihm zu kämpfen und endlich siegte der Verstand über das beleidigte Gefühl.‹ (Fricke, Erinnerungen, S. 116.)


23 Die ›Frankfurter Zeitung‹ vom 9. und vom 30. März 1904 hat sich eingehend damit beschäftigt: was könnte auch für unsere Presse (nach wie vor!) interessanter sein, als – – die Besorgung einiger Wäschestücke, durch Nietzsche für Richard Wagner ausgeführt? Selbst der die Rechnung begleitende Avisbrief der Firma C.C. Rumpf, welche die Lieferung übernahm, wurde dabei zur Beglaubigung mit abgedruckt!


24 Familienbriefe von Richard Wagner (Berlin, A. Duncker, 1907), S. 268.


25 Siehe die Anmerkung 2 auf S. 402.


26 Vollständig abgedruckt: Bayreuther Blätter 1900, S. 285/86.


27 Das Leben Nietzsches II, S. 273/74.


28 Ebendaselbst S. 262.


29 Bayreuther Blätter 1898, S. 84.


30 Nachmals in den ›Bayreuther Blättern‹ 1. Jahrgang 1878 vetöffentlicht (und auch als Sonderabdruck erscheinen).

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 5, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 385-406.
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Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

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Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

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