Kröpfung

[608] Kröpfung. (Baukunst)

Wird auch Verkröpfung genennt. Dadurch bezeichnet man in der Baukunst die Brechung eines sonst gerade laufenden Gliedes, wodurch ein Theil desselben weiter hervorsteht, als die übrigen und folglich eine Art des Kropfes macht. Man sieht an neuern Gebäuden nur gar zu ofte Beyspiele hiervon. Es giebt zu viel Baumeister, die Wandsäulen anbringen, welche halb, oder noch weiter, aus der Mauer heraustreten, da das Gebälke über die Säulen so angelegt ist, daß der Unterbalken über die Mauer gar nicht ausläuft. Weil auf diese Weise die Säulen gar nichts zu tragen hätten, so kröpfen sie das ganze Gebälke über den Säulen, und begehen dadurch einen der ungereimtesten Fehler, die man in der Baukunst begehen kann. Denn was ist ungereimteres, als Säulen anzubringen, die nichts tragen? oder das, was seiner Natur nach gerade gestrekt seyn sollte, wie ein Balken, zu kröpfen? nur damit es scheine, daß die unnützen Säulen etwas zu tragen haben. Die alten Baumeister aus der guten Zeit, waren weit entfernt, solche Ungereimtheiten zu begehen. Man trift keine Kröpfungen bey ihnen an. Aber die römischen Baumeister unter den Kaysern haben sie schon eingeführt, wie an den Triumphbogen einiger Kayser zu sehen ist, und von diesen schlechten Mustern sind die Verkröpfungen in der neuen Baukunst beybehalten worden.

Sie sind nicht nur, wie schon angemerkt worden, völlig ungereimt und den wesentlichsten Regeln entgegen, sondern geben auch den Gebäuden ein sehr überladenes gothisches, oder vielmehr arabisches Ansehen; weil das Aug nicht gerade über ein Gebälke weglaufen kann, sondern alle Augenblike an Eken anstößt.

Das große Portal an dem Königl. Schloß in Berlin, das eine Nachahmung des Triumphbogens des Kaysers Sept. Severus ist, und noch mehr die sonst prächtige Fassade gegen den zweyten Hof, wo die Haupttreppe des Schlosses ist, sind durch Verkröpfungen gänzlich verdorben. Es läßt sich nicht begreifen, wie es kommt, daß man diese Würkung eines verdorbenen Geschmaks nicht schon längst gehemmt hat.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 608.
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