Solo

[1093] Solo. (Musik)

Man bedient sich dieses italiänischen Wortes, um ein Stük, oder solche Theile eines Stüks, wo ein Hauptinstrument mit oder ohne Begleitung sich allein hören läßt, zu bezeichnen. Im ersten Verstande sagt man: ein Violin- ein Flötensolo; und von demjenigen, der ein solches Solo vorträgt, sagt man: er sey ein Solospieler.

Ein solches Solo, welches auch oft Sonate genennet wird, besteht wie diese insgemein aus drey [1093] Stüken von verschiedener Bewegung1 und hat gemeiniglich blos die Geschiklichkeit des Solospielers Schwierigkeiten vorzutragen, und die Annehmlichkeit des Instruments zu zeigen, zum Endzwek. Daher wird bey der Composition desselben insgemein weniger auf einen reinen Saz und sangbare Melodie, noch auf Charakter und Ausdruk, sondern oft blos auf unerwartete Fortschreitungen, fremde und schweere Passagen, übernatürliche hohe Töne, Sprünge, Läufer, Doppeltriller und dergleichen Schwierigkeiten, die auf das geschikteste vorgetragen werden müssen, wenn sie gefaßt werden sollen, gesehen; und die Ausführung hat weniger den Zwek, zu rühren, als Bewundrung zu erregen. Wenn ein Solospiehler die geringste Anlage zur Composition bey sich fühlet, und es so weit gebracht hat, daß er das, was er auf seinem Instrument herausklaubt, zu Papier bringen kann, so sezt er sich seine Solos selbst, weil Niemand ihm sie zu Dank machen kann, und weil Niemand, als er selbst, besser wissen kann, was er auf seinem Instrument herauszubringen fähig ist. Er sezt das Adagio oft in ganz simpeln Noten, die, wenn man sie singt, ohne Rhythmus, ohne Gesang und ohne Geschmak sind; aber seine Phantasie weiß sie im Vortrag mit so vielen Feinheiten und Coloraturen zu verbrämen, daß es in Wahrheit eine Lust ist, zu sehen wie andere ihm zuhören. Oft enthält ein Solo auch blos anscheinende Hauptschwierigkeiten, dergleichen ist das Flageolet oder das Pizzicato während dem Spielen auf der Violine, das Harpeggio, oder das Händeüberschlagen auf dem Clavier, und lange Triller, oder Läufer durch die Tonleiter herauf und herunter, auf den mehresten Instrumenten; mit sechs solchen auswendig gelernten Solos erregt ein Solospieler oft die Bewunderung der ganzen Welt. Fehlet ihm gleich dabey das Vermögen, einen einzigen Takt aus den Ripienstimmen, wie es sich gehört, mitspielen zu können; so wird ihm doch nur von Wenigen, die es verstehen, der Name eines Virtuosen versagt.

So sind die schlechten und die mehresten Solos und Solospiehler beschaffen. Ein guter Solospiehler ist zugleich ein guter Ripienist, und hat er den Vortrag in seiner Gewalt, so sucht er Ausdruk darein zu bringen, und nicht sowol durch seine Fertigkeit zu frappiren, als durch die leidenschaftlichen Töne, die er seinem Instrument erpreßt, auf das Herz seiner Zuhörer zu würken. Ein gutes Solo ist eben das, was wir eine gute Sonate nennen; hievon wird im folgenden Artikel umständlicher gesprochen werden. Zur Uebung der Fertigkeit und des guten Vortrages sind die Solos von mannichfaltiger Art, jedem Instrumentspiehler die unentbehrlichsten Stüke.

In Concerten heißen die Theile der Hauptstimme, wo die übrigen Instrumenten blos accompagniren oder pausiren, Solo.2

In vielstimmigen Stüken, wo jede Stimme mehr als einfach besezt ist, bedient man sich, fürnehmlich in den Singstimmen, des Solo oft statt des Piano: alsdenn singt nur einer von der Stimme, und die übrigen schweigen so lange, bis das Wort Tutti ihnen anzeigt, das sie wieder eintreten sollen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1093-1094.
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