Verdünnung; Verjüngung

[1210] Verdünnung; Verjüngung. (Baukunst)

Es ist eine von alten und neuen Baumeistern angenommene Regel, daß die Säulen nicht durchaus gleich dike, sondern gegen das obere End zu etwas verdünnet seyn sollen. Der Ursprung dieser Regel ist in der ältesten Bauart zu suchen, da man die Säulen von unbearbeiteten Stämmen der Bäume gemacht hat, die allemal in der Höhe etwas dünner sind, als an dem Boden. Da man aber bemerkt hat, daß die Verdünnung der Säule etwas Annehmlichkeit giebt, hat man sie zur Regel gemacht. Diese Vermuthung von dem Ursprung der Verdünnung wird noch dadurch bestätiget, daß man sie nicht bis auf die Wandpfeiler erstrekt hat. Diese wurden aus bearbeiteten Baumstämmen gemacht, die vierkantig gezimmert und dadurch überall gleich dik wurden.

Es ist vielleicht kein andrer Grund, als dieses ungefähr davon anzugeben, daß die Pfeiler nicht verdünnet werden. Denn in dem Gefühl der Schönheit kann dieser Unterschied schweerlich gegründet seyn, da er vielmehr eine wiedrige Würkung hervorbringt. Wer ein mit einer Säulenlaube versehenes Gebäude gerade von vorne ansieht, dem muß der Uebelstand, der daher entsteht, in die Augen fallen, da die Stämme der den Säulen entgegenstehenden Pilaster oben über die Säulenstämme heraustreten.

In der Art der Verdünnung kommen die Baumeister gar nicht mit einander überein. Einige dorische Säulen aus der ältesten Zeit und verschiedene Aegyptische von Granit, sind gleich vom Fuß an verdünnet, und Kegelförmig; die meisten Baumeister aber machen die Säule bis auf den dritten Theil ihrer Höhe gleich dik; einige Neuere haben ihnen eine doppelte Verdünnung, oder Bauchung gegeben, wodurch sie auf dem dritten Theil der Höhe am diksten werden, von da aber, sowol nach oben, als nach unten zu, sich verdünnen.

Vitruvius ist ungemein ängstlich in Angebung der Regeln der Verdünnung, und führt fünferley Maaßen davon an, nach Verschiedenheit der Säulenweiten, und der Höhen. Scammozzi hat das Herz gehabt zu sagen, daß dieses Kleinigkeiten seyen, die eine so ängstliche Beobachtung der Regeln nicht verdienen, und darin stimmt ihm auch Goldmann bey. Die Art dieses Baumeisters ist diese, daß er den Stamm bis auf den dritten Theil der Höhe gleich dik macht, von da ihn so abnehmen läßt, daß das Verhältnis der untern Dike zu der obern in den niedrigen Ordnungen, wie 5 zu 4, in den Höhen wie 6 zu 5 wird. Die meisten neuern Baumeister nehmen dieses leztere Verhältnis für gar alle Säulen an.

Die Art der Verdünnung, welche fast durchgehends angenommen ist, und die den Säulen eine schöne Form giebt, besteht darin, daß sie nicht nach einer geraden, sondern krummen Linie geschieht, deren Zeichnung nach den Regeln verschiedener Baumeister mehr oder weniger mühesam ist.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1210.
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