Lapplaendische Mythologie

[308] Lapplaendische Mythologie. Nur sehr dürftig sind die Nachrichten hierüber, weil die Lappländer wohl schwerlich jemals eine öffentliche Gottesverehrung gehabt, sondern ihre Andacht nur still, in ihrer Hütte verrichtet haben. Begriffe, welche verallgemeinert gewesen wären, sind sehr selten, indem nicht nur Jeder seinen Götzendienst daheim übte, sondern auch seinen besondern Götzen anbetete, wie diess bei vielen nordamerikanischen Völkerschaften noch jetzt der Fall ist. Doch haben diese, wie jene, wenigstens die Ahnung eines höchsten Wesens, welches die Nordamerikaner den grossen Geist, die Lappen aber den Jamula nennen. Die Letzteren sehen in ihrem höchsten Gott drei Naturkräfte vereinigt: eine Idee, welche offenbar nicht ihnen ursprünglich angehörig, sondern von ihren gebildeten Nachbarn, den Asen in Skandinavien, entlehnt ist; sie haben den Gott Tiermes, den Donner (Thor der Asen, welcher auch bei den Lappen mit dem Hammer erscheint), den Gott Storjunkare (den Herrn der Erde, Beschützer der Wälder, Beförderer der Jagd, den sie in besonders thier- oder menschenähnlich gestalteten Felsen verehrten), und die Göttin Baiwe, die Sonne. Diese drei werden zugleich in Jumala angebetet. Ausser den höchsten Gottheiten haben sie noch mehrere andere, welche als untergeordnete erscheinen, wiewohl sie desshalb nicht die Diener oder die Untergebenen der höchsten Gottheiten sind, sondern ihren eigenen, nur kleinern Wirkungskreis haben, wie die Luftgötter, Wassergötter, Berggötter, und die gefürchteten bögen Todesgötter, welche die Seele von dem Körper trennen, den letztern der Verwesung übergeben, die erstere aber in ferne Regionen zu guter Jagd, reichlichem Fischfang, zahlreichen Rennthierheerden bringen. An eine Einwirkung der Zurückgebliebenen auf den künftigen Zustand der Seelen jenseits des Grabes glaubten die Lappländer, ja glauben sie noch, obwohl das Christenthum jetzt fast überall eingeführt ist, und diesen Glaubenssatz ganz verwirft. Sie brachten deshalb Opfer von dem, was sie als Kostbarstes kannten, junge männliche und weibliche Rennthiere, um die niedern Götter, bei welchen sich die Verstorbenen befanden, für diese zu gewinnen, brachten auch den obern Göttern solche, damit sie bei den niedern sich für diese verwenden möchten; diesen höchsten wurden übrigens im Herbste allgemeine Opfer für das ganze Volk gebracht: die einzige Sitte, welche auf eine Gottesverehrung unter dem Volke hindeutet; sonst hatten sie keinen Gebrauch, der sie zu gemeinschaftlichem Gottesdienst vereinigt hätte, darum gab es bei ihnen auch keine Priester und Tempel; Alles, was dem ähnlich gewesen wäre, reducirte sich auf eine Umzäunung von Dornen oder Tannenzweigen um einen besonders geformten Stein (Storjunkare); daher war auch jeder Hausvater Priester oder Zauberer für seine Familie, und theilte sein Wissen dem Sohne mit, es solchergestalt in seiner Familie fortvererbend, welches um so nöthiger war, als jedes Haus einen eigenen, allein ihm angehörigen Geist hatte, der in allen Angelegenheiten zu Rath gezogen und um Hülfe gebeten wurde. Nur wenige Auserwählte waren von den Geistern mit geheimen Kräften begabt, sonst musste Alles gelehrt werden; diess ging bei den phantastischen Leuten so weit, dass sie selbst alles Ernstes glaubten, durch alle Länder der Welt reisen, in einem Zauberschlaf die fernsten, geheimsten Dinge sehen, ihre Götter heraufbeschwören zu können u. dergl.; hierbei und beim Wettermachen leisteten ihnen die Zaubertrommel und die Sturm- oder Wind-Knoten die wichtigsten Dienste, und so waren sie eigentlich nie in Verlegenheit, sie konnten immer sich selbst helfen; nur wenn im Herbst bei dem allgemeinen Opfer keiner der drei Götter, die der Reihe nach besonders gefragt wurden, die dargebrachten Geschenke annehmen wollte, waren sie traurig, weil die Götter zürnten. Obwohl jetzt die meisten Lappen sich zum Christenthume, und zwar zur evangelischen Lehre, bekennen, gibt es doch noch einzelne Heiden, und Alle haben einzelne ihrer alten Gebräuche neben den christlichen beibehalten.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 308.
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