Alrunen (Mythologie)

[155] Alrunen (Mythologie), auch Alraunen, (weise, weissagende Frauen.) Priesterinnen bei den alten Deutschen, Caledoniern und Briten. Die hohe Verehrung, welche namentlich die deutschen Völkerschaften schon in der frühen Urzeit den Frauen zollten, das richtige Erkennen des oft den Frauen innewohnenden ahnungsvoll prophetischen Geistes trug zeitig dazu bei, daß sich auch bei den Völkern des Nordens eine weibliche Priesterinnenkaste bildete, welche in hohem Ansehen stand. Ohne ihren Rath ward keine Sache von Wichtigkeit unternommen, und namentlich wurden sie zu kriegerischen Berathungen gezogen, und um ihr Orakel befragt. Dann schüttelten sie kleine Stäbchen und Baumreißer auf die Erde, und weissagten aus[155] den runenschriftähnlichen Zeichen, welche die fallenden Hölzer bildeten. Sie waren in weißes Linnen einfach gekleidet, und gingen barhauptig, mit flatternden Haaren und ohne Fußbekleidung. Von einigen derselben sind uns sogar die Namen aufbehalten worden: Velleda, Aurania, Ganna, Jetta, Oraja, Sybea. Sie begleiteten die Kriegsheere mit in das Feld, trugen Opfermesser in den Händen, schlachteten die Feinde, singen das Blut derselben in Kesseln auf, und weissagten aus ihm, wie aus den Eingeweiden, unter wildem Gesang und magischen Beschwörungen. Nach ihnen hat späterer tiefwurzelnder Volksaberglaube kleine Bildchen genannt, die aus Wurzeln, hauptsächlich aus der der Mandegora, einer dem Belladonnastrauch verwandten Pflanze, geschnitzt, und hübsch gekleidet, in Wein gewaschen, heilig und verborgen aufbewahrt wurden. Die Art ihrer Entstehung und Gewinnung ward auf eine fabelhafte Weise erzählt. Dieses sind nun die sogenannten Wurzelmännchen, Galgenmännlein, Heckemännchen, Alrännchen, von denen viel in Schriften die Rede ist, und die eine eigne Sippschaft in der deutschen Fabelwelt bilden, die noch nicht genug gesichtet und gelichtet ist.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 155-156.
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