Griechische Mythologie

[719] Griechische Mythologie, die Gesamtheit der aus dem Altertum über die Götter und Heroen der Griechen überkommenen Vorstellungen, Mythen und Sagen, ihre Entwicklung und Behandlung, kurz die Geschichte des Glaubens der Griechen, die neben der Geschichte des Kultus einen Hauptteil der griech. Religion darstellt. Die Anfänge der G. M. sind zu suchen in der Einbildungskraft und dem innerlichen Abhängigkeitsgefühl der ältesten Griechen. Sie beleben die Wunder der Natur und verkörpern sie aus dem Kreise ihrer menschlichen Erfahrungen heraus. Für viele Ereignisse, für Geburt und Tod, für Säen und Ernten, für Kampf und Frieden, für jeden Moment der Handlung schafft man einen Gott. Außerdem werden die Seelen der Verstorbenen im Verwandtschaftskreise verehrt. Infolgedessen herrscht zunächst eine Fülle von Einzel-, Familien-, Lokalkulten; allgemein ist nur die Scheidung der ober- und unterirdischen Götter, der Götter des Lichts und der Erde. In einer zweiten Entwicklungsstufe, die ungefähr mit der Zeit der großen griech. Wanderungen (2. Jahrtausend) zusammenfällt, schränkt sich der Götterkreis schon etwas ein. Mit dem Siege der einzelnen Stämme und Völkerschaften siegen deren Götter, zugleich werden sie vermenschlicht und in Menschengestalt gedacht. In dieser Zeit beginnt mit den großen Epen Homers und Hesiods, in den Kultepen der sog. Homerischen Hymnen die älteste literar. Mythenüberlieferung, in dieser Zeit schließt sich auch eine bestimmte Götterauswahl als die vornehmste zusammen, der Kreis der olympischen Zwölf Götter (s.d.), neben dem die alten Kulte noch weiter bestehen. Ein dritter Abschnitt der Geschichte des griech. Glaubens wird durch die Reaktion des Volksglaubens und Volksbedürfnisses gegenüber den verweltlichten und verstaatlichten Göttern charakterisiert und offenbart sich in dem Aufkommen der Mysterien, namentlich in Eleusis; die unterirdischen Götter heischen neben dem olympischen ihr Recht und erhalten in dem mächtig vordringenden Dienste des Dionysos, den die orphischen Bettelmönche verbreiten, neue Stärkung. Die Beteiligung an den Mysterien wuchs noch, als die Philosophen und Dichter, die zunächst wie die frühesten Lokalhistoriker (Logographen) an die alte Mythe angeknüpft hatten, selbst mythenbildend und bald mythenzersetzend auftraten. Xenophanes, die großen Sophisten (Prodikos), Platon, Euripides suchen die vorhandenen Mythen ethisch auszudeuten, umzugestalten und bilden allegorisierend neue. Auf der andern Seite verflachte die rhetorische Geschichtschreibung des Ephoros u.a. die Mythen zur Geschichte, indem sie ihn alles Wunderbaren entkleidet. Diese Richtung erhielt im sog. Euhemerismus (s. Euhemerus) ihre Krönung. Mit der hellenistischen Zeit setzt für die G. M. eine vierte und letzte Periode ein, die Zeit des Untergangs. Die Mysterien genügten dem um sein Seelenheil ringenden Volke nicht mehr, und die orient. Kulte der Göttermutter Kybele, der Isis mit ihrem wilden betäubenden Dienste, gewannen mehr und mehr Anhänger. Neue kamen, seit Alexander d. Gr. den Orient erschlossen, hinzu. Außerdem regten sich monotheistische Gedanken im Attis-, im Mithraskult. Von dieser letzten Gestaltung der G. M. hat das Christentum bewußt oder unbewußt vielerlei aufgenommen. – Vgl. Welcker (3 Bde., 1857-62), Gruppe (Bd. 1, 1887), ders. (1897 fg.), Preller-Robert (Bd. 1, 1894); Roscher, »Lexikon« (1884 fg.); Rohde, »Seelenkult« (2 Bde., 2. Aufl. 1898); Usener, »Götternamen« (1896), Farnell (engl., 3 Bde., 1896 fg.).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 719.
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