Griechische Literatur

[150] Griechische Literatur. Sie beginnt wie bei jedem Culturvolke mit der epischen Poesie, unmittelbar aus dem Volke hervorgehend, u. umfaßt die Heldensage sowie den Götterglauben (Mythus). Wir haben aus dieser ältesten Zeit (der achäischen) nur die homerischen Gesänge, welche dem Ende derselben angehören, und die vielleicht 100 Jahre späteren des Hesiod, welche die Göttersage behandeln. Alles Andere ist. erweislich falsch. Die sog. Homeriden (die Sänger einzelner Helden, der Rückkehr von Troja etc.) sind verloren, sowie die cyklischen Dichter (s. d.). Nach der Zeit der griech. Wanderungszüge, als sich das griech. Staatensystem ausgebildet hatte, nach dem 8. Jahrh., erlosch die epische Poesie allmälig, dagegen entwickelte sich die lyrische zu einer hohen Vollkommenheit nach allen Richtungen, Staat, Religion und Privatleben in ihren Kreis ziehend, in jeder Auffassung, vom höchsten Schwunge und Ernste bis zur leichten Tändelei und witzigen Satyre. In diese Periode gehören: Alkman, Terpander, Pindar; Kallinus, Mimnermus, Tyrtäus; Alcäus, Simonides, die Dichterinen Sappho, Erinna und Korinna, Anakreon, der Satyriker Archilochus etc. (Vgl. die einzelnen Art. sowie Aesop und Gnome). Von diesem Reichthum der ausgezeichnetsten lyrischen Erzeugnisse ist äußerst wenig auf uns gekommen, außer einer größern Sammlung von Pindarʼschen Liedern nur Fragmente. In diese Periode fällt auch die Entwicklung der griech. Philosophie (s. d.). Die 3. Periode der g.n L. reicht von den Perserkriegen bis zur Schlacht von Chäronea u. ist die eigentl. Glanzzeit derselben. In ihr erreichte das Drama die höchste Vollendung; die Tragödie in Aeschylus, Sophokles und Euripides (s. d.), die Komödie in Eupolis, Kratinus u. Aristophanes (s. d.), ein Hauptmittel der Satyre gegen einzelne Personen und die ganze Republik. in uneingeschränkter Freiheit. (Ueber die sicilische Komödie s. Epicharmus.) Gleichzeitig bildete sich die prosaische Darstellung aus. Die Geschichtschreibung hatte mit den Logographien des Hekatäus, Hellanikus, Pherecydes etc. (s. d.) begonnen, die unsern Chroniken ähnlich gesehen haben mögen; Herodot aus Halikarnaß ordnete das erste Geschichtswerk mit klarer Uebersicht, Wahrheitsliebe und Kunst der Darstellung. Ihm folgte der Athener Thucydides, das Muster der unparteiischen und rein thatsächlichen Darstellung, u. diesem Xenophon, der jedoch den Scharfblick seines Vorgängers und dessen Unbefangenheit nicht besitzt. Die republikan. Verfassung u. die allein mögliche mündliche Behandlung aller Geschäfte entfaltete auch die Blüte der Beredsamkeit, welche am Schlusse der Periode in Demosthenes ihre Vollendung erreichte. Dialektik und Rhetorik wurden gleichzeitig ausgebildet, überhaupt jede Gattung der Prosa und des Styls, namentlich auch der Dialog, in welchem Plato unerreicht dasteht. Außer den Reden des Demosthenes sind uns auch andere Proben der altgriech. Beredsamkeit erhalten (Andocides, Antiphon, Lysias, Isokrates), in ihrer Art gleich ausgezeichnete Geisteswerke. In der 4. Periode, von dem Untergang der griech. Selbständigkeit bis zur byzantin. Zeit, verschwindet die Originalität mehr [150] u. mehr, dagegen werden der Scharfsinn u. der Sammlerfleiß um so thätiger. Die Poesie hat ihrem hohen Fluge entsagt und wendet sich zur Darstellung des gewöhnlichen Lebens in der Idylle des Theokrit, Bion, Moschus, in der Komödie des Menander, Philemon etc. (die neuere Komödie bewegt sich in Intrikenstücken wie die heutige, die nur noch mehr entwickelt ist), in den verschiedenen Lehrgedichten. Die Geschichtschreibung strebte zur Universalgeschichte zu werden (Ephorus, Theopomp, Diodor) u. wurde zur Zusammentragung u. Sichtung des von Andern Ueberlieferten (Dionys von Halikarnaß, Plutarch); als der letzte griech. Geschichtschreiber darf wohl Polybius aus Megalopolis bezeichnet werden, der aus eigener Anschauung u. als Staatsmann seine Zeit beschreibt u. zugleich der einzige Grieche ist, der sich von nationaler Eitelkeit frei hält. Die späteren Schriftsteller (Appian, Cassiodor, Herodian etc.) sind bereits römische. Von großer Wichtigkeit sind in dieser Periode die Leistungen der Mathematiker, Astronomen, Geographen, Naturforscher und Aerzte, in welchen Richtungen sich besonders die Alexandriner auszeichneten, s. Alexandria. (Grundriß der g.n L. von Bernhardy, Halle 1836–45; Geschichte der g.n L. von Munk, Berl. 1849–50.)

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 150-151.
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