1. Der Schein betrügt, der Spiegel lügt. – Simrock, 8912; Körte, 5272; Braun, I, 3818; Parömiakon, 2049.
Lat.: Fallaces sunt rerum species. (Seneca.) (Binder II, 1079.)
2. Der Schein betrügt, die Wahrheit siegt. – Schottel, 1135b.
3. Der schein gehört auff die Augen. – Gruter, I, 17; Petri, II, 106; Henisch, 1439, 62; Simrock, 8911; Eiselein, 546; Sailer, 66; Gaal, 1357; Maltiz, Pfefferk., I; Schulz, Aphorismen, 26.
4. Der Schein trügt. – Beyer, II, 160; Broma, II, 12; Ramann, I, Pred., II, 97; Steiger, 383; Pauli, 90; Struve, II, 15; Masson, 157; Lohrengel, I, 70, 156, 899 u. 905; altmärkisch bei Schwerin, 98; für Waldeck: Curtze, 332, 218.
Im Plattdeutschen: De Schin drügt. (Marahrens, 96.) Aber der Schein regiert die Welt. Seume sagt: »Es kommt überall nur auf den Schein an. Man braucht weder gelehrt, noch weise, noch brav, noch gut, noch gerecht zu sein; wenn man nur so aussieht, als ob man es alles wäre.« »Kein Ding die Leut so thut bescheissen, als der Schein vnd auswendig gleissen.« (Waldis, II, 70, 23.) Langbein hat das Sprichwort in einem Gedicht behandelt. (Vgl. Düsseldorf, II.) Die Türken sagen. Wer einen weissen Schöps sieht, glaubt, er müsse voll Fett sein. (Cahier, 2684.)
[119] Engl.: Mere outside is deceitful.
Frz.: Il ne faut pas juger les gens à la mine. – Il ne faut pas juger du bois par l'écorce. – Les apparences sont trompeuses. (Gaal, 1357.) – Ne jugez pas sur l'etiquette du sac. (Masson, 57.)
Holl.: Schijn bedriegt. (Harrebomée, II, 248a.)
It.: L'apparenza inganna. – Nessun si fidi a quel che di fuori appare. – Non all' apparenza, ma agli effetti veri si attenda.
Lat.: Decipimur specie recti. (Gaal, 1357.) – Fallitur visus. – Nimium ne crede colori. (Virgil.) (Binder II, 2100.)
Schwed.: Skenet bedrager. (Marin, 24.)
5. Der Schein trügt, sagte die Dame zum Herrn von Reder, von weitem scheint mancher Herr wie Saffian so fein und in der Nähe ist er wie ungegerbtes (Schaf-)Leder.
6. Des einen Schein ist des andern Pein.
7. Es ist eitel schein vnd gleissen, wo Gott nicht mit im Spiel ist. – Petri, II, 262.
8. Grosser Schein ohne Sein.
9. Guter Schein, falscher Schatten. – Lehmann, 334, 35.
10. Leerer Schein kann nicht erfreun.
11. Man darf ihm keinen goldenen (heiligen) Schein um den Kopf machen.
12. Man muss auch den Schein des Bösen vermeiden.
Holl.: Men moet den schijn des kwaads zelfs vermijden. (Harrebomée, II, 248a.)
It.: Bisogna salvar le apparenze.
13. Meidet den bösen Schein, sagte der Jude zum Bauer, als er ihm schlechtes Papiergeld gab.
14. Mit blossem Schein muss man nicht zufrieden sein. – Parömiakon, 2039.
15. Mit schönem Schein wollen die Leute betrogen sein. – Waldis, III, 2, 14; Petri, II, 480.
16. Schein ist nicht Sein.
17. Schein macht oft Pein.
Holl.: Die luister is oorzaak von groote pijn. (Harrebomée, II, 151b.)
18. Viel Schein, wenig Sein. – Eiselein, 546; Simrock, 8913.
»Was man scheint, hat jedermann zum Richter, was man ist, hat keinen.« (Schiller.)
Holl.: Geen schijn is zijn. – Schijn is geen zijn. (Harrebomée, II.)
19. Vnter einem guten Schein steckt offt viel Schalckheit vnd Bossheit verborgen. – Petri, II, 563.
20. Was dem einen Schein, ist dem Neidischen Pein. – Parömiakon, 67.
21. Zwei Scheine machen den Acker fruchtbar: Augenschein und Sonnenschein.
Ehe der Sonnenschein auf den Acker kommt, muss der Augenschein schon dagewesen sein.
*22. Den Schein für das Sein (die Sache) nehmen.
Holl.: Hij ziet den schijn voor het wezen aan. (Harrebomée, II, 248a.)
*23. Er ist mit dem Scheine böser Thaten zufrieden.
Macht sich mit Schlechtigkeiten gross, die er nicht begangen hat, oder: bildet sich etwas darauf ein, schlecht zu scheinen.
*24. Sie wollen uns einen (Heiligen-)Schein auf den Kopf pressen, aber sie leben unter sich, dass sich der Henker erbarmen möchte. – Parömiakon, 757.
Lat.: Dicunt et non faciunt.
25. Alles auf den Schein, heisst es jetzt; alles auf die Dauer, haben die Alten gesagt. – Engelbert, 87.
26. Schein in dem mondt ist sitz (jetzt) gemein, Trew in dem grondt de findt man klein. – Weinsberg, 38.
27. Schein ohne Sein trägt wenig ein.
It.: Parere e nou essere si è come filare e non tessere. (Giani, 1274.)
Adelung-1793: Schein, der · Quadrat-Schein, der · Christ-Schein, der
Eisler-1904: Schein, ästhetischer · Subjectiver Schein · Schein · Ästhetischer Schein · Objectiver Schein
Herder-1854: Schein · Gesechster Schein
Kirchner-Michaelis-1907: Schein
Meyers-1905: Schein [1] · Schein [2] · Blickender Schein · Gesechster Schein
Buchempfehlung
Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.
270 Seiten, 13.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro