Der General Pichegrü

[439] Der General Pichegrü ist zu Arbois, einem Städtchen in der ehemaligen Franche Comte (dem jetzigen Jure-Departement) unweit Besançon, 1761 geboren. Er wurde in einem Minoritenkloster erzogen, und sollte Mönch werden, wozu er jedoch keine Neigung hatte. Der Militairstand war seinem thätigen Geiste angemeßner; er begab sich daher 1783 nach Strasburg, und stieg bei dem dortigen Artillerie-Regiment bis zum Sergenten. Höher konnte ein Mann von bürgerlicher Abkunft unter der königlichen Regierung bei dem Militair nicht steigen; die übrigen Stellen blieben dem Adel aufbehalten. Pichegrü versah nicht bloß seinen Dienst auf das pünktlichste, sondern studirte auch noch [439] die Kriegskunst für sich mit großem Eifer, und machte sogar in der Dichtkunst einige Versuche. Ein Mann von so mannigfaltigen Kenntnissen konnte nicht lange unbemerkt bleiben. Nachdem er 1792 ein Bataillon Nationalgarden mit vielem Ruhme commandirt hatte, kam er zu dem General-Stab des General Cüstine, ward 1793 Divisions-General, und noch in demselben Jahre Oberbefehlshaber der Rheinarmee. Er blieb hier nicht lange, sondern wurde, nachdem er Landau entsetzt hatte, am 5. Febr. 1794 zur Nordarmee gerufen. Er stand in so allgemeiner Achtung, daß der blutdürstige Wohlfahrts-Ausschuß, vor welchem alle Generale zitterten, es nicht wagte, ihn anzutasten; man wußte, daß er von allem Factionsgeist entfernt war, und nur den Ruhm der Armeen vor Augen hatte. Deßwegen übertrug ihm der National-Convent am 3. März die Oberbefehlshaberstelle über die vereinigten Nord- und Rhein-Armeen. Allein Pichegrü, der des gegenwärtigen Kriegsschauplatzes längst überdrüßig war, und überdieß mit dem Directorium in Rücksicht des weitern Vordringens über den Rhein nicht übereinstimmte, sondern die alte Gränze von Frankreich beibehalten wissen wollte, forderte am Ende dieses Feldzugs seinen Abschied, und erhielt ihn endlich am 14. März 1796. Freunde und Feinde beklagten seinen Verlust; denn im ganzen Verlauf des Kriegs war kein General aufgetreten, der sich die Liebe seiner Untergebenen und die Achtung der Besiegten in einem höhern Grade erworben hätte, als Pichegrü. Er handelte stets mit der kaltblütigsten Ueberlegung, und war ernsthaft und streng, ohne durch Eigensinn oder Härte zu beleidigen. Die Plane zu seinen Operationen hielt er beständig geheim, und eröffnete sie erst bei dem Augenblicke der Ausführung Da er im Jahr 1795 bei der strengsten Kälte die Invasion nach Holland unternehmen wollte, so gab er am Abend zuvor seinen Offizieren einen Ball, und machte ihnen bei dem Fortgehen seinen Entschluß für den künftigen Tag ganz ruhig bekannt. Während daß die Berichte der übrigen Französischen Generale in den glänzendsten Tiraden abgefaßt waren, hielt sich Pichegrü an die strengste Wahrheit, und behauptete auch hier seinen männlichen Charakter. Vergebens bemühten sich einige Neider, seinen Ruhm zu verkleinern. Ein gewisser [440] Gaspard wollte beweisen, daß die großen Thaten der Französischen Nordarmee ganz ohne Pichegrüʼs Anordnung vollbracht worden wären; aber die ganze Generalität dieser Armee widerlegte den niedrigen Verläumder so bündig in einem Schreiben, daß er es nicht wagte, seine grundlosen Behauptungen länger gegen sie zu vertheidigen. Pichegrü zeigte sich nach seiner Entfernung von der Armee eben so edel und groß, als er vorher gewesen war Es würde ihm leicht worden sein, eine der glänzendsten Stellen bei dem diplomatischen Corps zu erhalten: man trug ihm mehrere Gesandtschaftsposten an auswärtige Höfe an; allein er lehnte sie ab, kehrte an seinen Geburtsort zurück, und trieb wieder den Landbau. Diese Resignation könnte, ohne das Folgende, als ein Beweis seines Edelmuths und seiner wahren Seelengröße betrachtet werden. – Da 1797 neue Deputirte zu dem gesetzgebenden Körper gewählt wurden, so fiel die Wahl mehrerer Departements auf Pichegrü. Er erschien endlich als Repräsentant des Jure-Departements, welches die nächsten Ansprüche auf seine Verdienste hat. Alle Augen waren auf ihn gerichtet, als er am 20. Mai in den Rath der fünfhundert eingeführt wurde. Man wählte ihn einstimmig zum Präsidenten; und seine erste Rede bewies, daß er ein eben so würdiger Repräsentant der Nation sei, als er ehemahls großer Feldherr war. Der schnelle Schlag, mit welchem am 4. Sept. 1797 ein Theil des Directoriums die emporwachsenden Royalisten zu Boden schlug, traf auch Pichegrü, den man, zum allgemeinen Erstaunen, durch Bekanntmachung einiger Urkunden beschuldigte, daß er vorzüglich in eine von den Französischen Prinzen im Auslande geleitete Verschwörung verwickelt gewesen sei. Noch immer sind die schätzbarsten Schriftsteller über die Französischen Angelegenheiten darüber getheilt, ob Pichegrü schuldig sei oder nicht. Er wurde am 4. September arretirt, und bald darauf mit 15 andern Deputirten nach dem Französischen Gupane (Cajenne) in Südamerika deportirt. Er ist indeß im J. 1798 mit andern Deputirten aus seinem Eril nach Surinam entflohen, und von da nach England gegangen, seit welcher Zeit man sich fast jede Woche mit einem neuen Mährchen von ihm trägt. Das neueste, was man von ihm sagt, ist dieses, daß er mit [441] Sidney Smith zu dem Kaiser von Marokko gereist sei.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 439-442.
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