Pichegru

[495] Pichegru (Charles), einer von den Obergeneralen der franz. Republik, geb. 1761 zu Arbois im jetzigen Juradepartement, ward als Sohn unbemittelter Ältern im dortigen Franziskanerkloster erzogen und erwarb sich bei glücklichen Anlagen ausgezeichnete Kenntnisse. Als Repetent an das Collegium nach Brienne versetzt, ertheilte er hier auch dem jungen Napoleon Bonaparte Unterricht in der Mathematik, fand sich aber nach kurzer Zeit bewogen, selbst in das erste Artillerieregiment als Kanonier einzutreten und erhielt noch in den beiden letzten Feldzügen des amerik. Befreiungskrieges Gelegenheit, sich so sehr auszuzeichnen, daß er nach der Rückkehr nach Frankreich Aussicht hatte, trotz seiner bürgerlichen Geburt Offizier zu werden. Die beginnende Revolution, für die P. sogleich Partei nahm und in seiner Garnison Besançon sogar Präsident eines Patriotenclubs wurde, eröffnete aber seinen Fähigkeiten und Kenntnisse einen kürzern Weg sich geltend zu machen. Zum Befehlshaber eines Bataillons Nationalgarden ernannt, führte er [495] dieses, bestmöglichst eingeübt, 1792 zur Rheinarmee, wo er so schnell aufrückte, daß er im J. 1793 schon Brigadegeneral war und eine Division commandirte, ja sogar eine Zeit lang den Oberbefehl der sehr herabgekommenen und entmuthigten Rheinarmee führte, die er vor Allem in einer bessern Verfassung zu bringen suchen mußte. Zwar übernahm im Dec. General Hoche den Oberbefehl, allein P.'s Freunde in Paris verschafften ihm nun 1794 den Oberbefehl der Nordarmee, mit der er über die Östreicher, Engländer und Holländer in den Niederlanden wiederholt glänzende Vortheile erkämpfte und im Jan. 1795 die freilich von mancherlei Umständen begünstigte Unterwerfung von Holland vollendete. Im Apr. ging P. nach Paris, wo inzwischen die Schreckensregierung gestürzt worden war und ihn, als vertrauten Freund von Robespierre und dessen Genossen, nur seine Verdienste und sein Entgegenkommen bei den neuern Machthabern, vor Anfechtungen sicher stellte. Auf kurze Zeit Befehlshaber von Paris, dämpfte er hier die von Anhängern der Schreckensregierung angezettelten Aufstände zur Herstellung ihrer blutigen Gewalt, wofür er im Convent als Retter des Vaterlandes gepriesen wurde. Als Oberbefehlshaber der vereinigten Rhein- und Moselarmee, sowie mit einer Art von Oberleitung der Nordarmee und der Maas- und Sambrearmee beauftragt, begab sich P. dann wieder an die Grenze, war aber bereits entschlossen, dem ihm geschenkten unbegrenzten Vertrauen der Regierung keineswegs zu entsprechen. Zu der Überzeugung gekommen, daß die republikanische Regierungsform nicht für Frankreich tauge, ließ er sich durch den Buchhändler Fauche-Borel in Neufchatel mit dem Prinzen Condé in Unterhandlungen wegen Herstellung der Bourbons ein, von denen ihm die glänzendsten Belohnungen verheißen wurden und in Folge dieser Verrätherei verhielt er sich 1795 meist unthätig und betrieb die Kriegsunternehmungen, welchen er nicht ausweichen konnte, mit der größten Nachlässigkeit. Der gegen ihn deshalb rege werdende Verdacht erhielt durch die Entdeckung seiner Beziehungen zu den Bourbons bald Bestätigung, daher er 1796 vom Oberbefehl abgerufen wurde, um als Gesandter nach Schweden zu gehen, weil das franz. Directorium sich zu schwach hielt, ihn zur Rechenschaft zu ziehen. P. schlug aber den neuen Auftrag aus und zog sich auf ein Gut in der Nähe seiner Vaterstadt zurück, kam aber 1797 als Repräsentant seines Departements wieder nach Paris und wurde Präsident des Raths der Fünfhundert. Dennoch verfolgte er seine verrätherischen Entwürfe zu Gunsten der Bourbons, die aber durch das Einschreiten des Directoriums vereitelt wurden, welches P. mit mehren Gleichgesinnten im Sept. verhaften und nach Guiana bringen ließ. Von dort entfloh er mit großer Gefahr nach Surinam, ging dann nach England und trat offen als Anhänger der Bourbons auf, begab sich mit geheimen Aufträgen nach Deutschland und der Schweiz, lebte aber später wieder in London, bis er sich 1804 mit Georges Cadoudal und Andern zu einem Plane gegen das Leben des ersten Consuls Bonaparte hergab und heimlich nach Paris ging. Hier wurde er in der Nacht des 28. Febr. 1804 verhaftet und gestand die Absicht seiner Anwesenheit; noch ehe jedoch sein Urtheil gesprochen war, fand man ihn am 6. Apr. des Morgens erdrosselt durch eigne Hand oder vom Schlage getroffen todt im Gefängnisse. Die Behauptung, daß er auf Bonaparte's Anstiften heimlich umgebracht worden sei, hat sich längst als völlig unwahr ausgewiesen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 495-496.
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