Aristokratie

[116] Aristokrătie bedeutet seiner griech. Abstammung nach ursprünglich soviel als Herrschaft der Besten. Daß nur den Besten im Volke die Herrschaft zustehen sollte, unterliegt keinem Zweifel und es würde eine solche Regierung die vollkommenste sein. Schwerlich aber dürfte sich eine Aristokratie in dieser edeln Bedeutung des Worts bei der Unvollkommenheit der menschlichen Dinge je verwirklichen lassen. Auch lehrt uns die Geschichte, daß die Aristokratie von jeher keineswegs aus den Besten im Volke, sondern vielmehr aus Denjenigen bestanden hat, welche die meiste Macht in den Händen hatten. Da nun aber diese Aristokraten von ihrer Gewalt und von ihrem Übergewichte im Staate nicht den besten Gebrauch machten, in der Regel nur eigennützige Zwecke und mit dem allgemeinen Wohle im Widerspruch stehende Privatinteressen verfolgten, so verlor dadurch der Ausdruck Aristokratie seine ursprüngliche Bedeutung und wurde zur Bezeichnung der im Staate bevorzugten Stände, welche sich auf Kosten der übrigen Bürger bereicherten und in den alleinigen Besitz aller Vortheile der Staatsgesellschaft setzten, während sie das Volk nur als dazu bestimmt betrachteten, für sie zu arbeiten. Aristokraten wurden deshalb in neuester Zeit vom Volke alle Diejenigen genannt, welche dem Zeitgeiste nicht huldigen und des Volkes Ansprüche auf Geltung im Staate nicht anerkennen wollten, und unter Aristokratismus verstand man im Allgemeinen alle volksfeindliche Gesinnung, den engherzigen Kasten- und Absonderungsgeist, die Herrschsucht und den Eigennutz. Am Gewöhnlichsten begreift man indeß jetzt unter Aristokratie alle diejenigen Classen von Staatsbürgern, welche durch Geburt, Ämter, Geld oder Intelligenz eine höhere und einflußreichere Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen. Allein das Letztere ist an und für sich nichts Verwerfliches, sondern in der Natur der Dinge begründet, und es erhalten diese bevorzugten Classen, welche bald Geburts-, bald Beamten-, bald Geld- und bald Geistes-Aristokratien genannt werden, erst dann eine gehässige und verwerfliche Bedeutung und können dem Wohle des Ganzen gefährlich werden, wenn sie ihre höhere Stellung, ihren Einfluß, ihr Geld oder ihre Einsicht zu eigennützigen Zwecken misbrauchen. Dies geschieht leider gar oft, so sehr auch die neueste Zeit in Anerkennung der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz vorgeschritten ist.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 116.
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