Fühlpflanzen

Fühlpflanzen

[125] Fühl- oder Sinnpflanzen pflegt man vornehmlich einige Arten der Gattung Mimosa zu nennen, deren Blätter bei Berührung oder Erschütterung sich bewegen und eine andere Stellung und Lage annehmen.

Die meisten Gewächse zeigen eine Veränderung ihrer Blattrichtung bei dem Wechsel der Tageszeiten, auffallender gewöhnlich die mit gefiedert zusammengesetzten Blättern. Man pflegt diese Zustände das Schlafen und Wachen der Gewächse zu nennen und Gegenwart oder Mangel des Sonnenlichts ist der vorzüglichste äußere Beweggrund dazu. Die in Ostindien heimische Paternostererbse, deren bekannte schönrothe, mit einem schwarzen Flecken bezeichnete Samen zu Schmucksachen verwendet werden, breitet nach Sonnenaufgang ihre Fiederblättchen aus, legt sie während des Mittags mit ihren Oberflächen aneinander, breitet sie am Nachmittag wieder aus und legt sie gegen Abend mit ihren Unterflächen zusammen, in welcher Stellung sie während der Nacht verbleiben. Der kreisende Süßklee Bengalens zeigt im hellen Sonnenlichte eine anhaltende, sichtbare Bewegung kleiner Seitenblättchen am Hauptblatte. Einige Gewächse nun, bei denen diese Reizbarkeit sehr gesteigert ist, werden sogar für andere Reize, besonders Berührung, empfänglich, doch gehören alle in dieser Beziehung bis jetzt bekannt gewordenen zu den Familien der Droseraceen (Sonnenthau), Oxaliden (Sauerklee) und den hülsenfrüchtigen, und die größte Lebendigkeit der Bewegung findet sich besonders bei mehren Arten der letztern. Die Sonnenthauarten, vorzüglich einige afrikan., krümmen ihre Blätter, die auf der Oberfläche mit gefärbten, keulenförmigen Drüsenhaaren besetzt sind, wenn sie von Insekten oder andern festen Körpern berührt werden, sodaß sie die sich sträubenden und deshalb sich bewegenden Insekten nur um so fester halten. Die Venusfliegenfalle, die Bewohnerin [125] der virgin. Sümpfe aus dieser Familie, trägt an der Spitze ihrer spatelförmigen Wurzelblätter einen fast kreisrunden Anhang, dessen Rand und Oberfläche mit steifen, gefärbten Borsten besetzt ist. Setzt sich ein Insekt auf dieselben, so neigen sich die beiden Hälften mit ihren Oberflächen gegeneinander und halten es so lange fest, bis es keine Bewegungen mehr macht, worauf sie sich wieder ausbreiten. Die schnellste und ausgezeichnetste Bewegung zeigen jedoch die Blätter der eigentlich sogenannten Sinnpflanze (Mimosa pudica Linn.), die in den sumpfigen Mooren Südamerikas einheimisch ist. Der gemeinschaftliche Blattstiel trägt an seiner Spitze vier mit vielen kleinen Blattpaaren besetzte Fiederblätter. Bei einer etwas starken Berührung oder Erschütterung neigen sich alle Blättchenpaare und selbst der Hauptblattstiel plötzlich nieder; berührt man nur das äußerste Blattpaar, so neigen sich allmälig die übrigen Paar für Paar nach der Wurzel zu und endlich senkt sich selbst der Hauptblattstiel. Nach einiger Zeit erfolgt das Aufrichten des Blattes und seiner Theile in der entgegengesetzten Richtung und Folge. Desfontaines machte zuerst die interessante Beobachtung, daß die Sinnpflanze bei der Erschütterung während des Fahrens in einem Wagen ihre Blätter wieder aufrichtet und ausbreitet, ohne sie, durch die fortgesetzte gleichförmige Bewegung gleichsam daran gewöhnt, wieder niederzulegen. Die Theile aller Sinnpflanzen nehmen übrigens durch die Reizung dieselbe Lage an, die sie im Schlafe anzunehmen pflegen. Elektrische Funken, der Brennpunkt eines Brennglases, Ammoniak-, Schwefeldämpfe und Dämpfe von Säuren wirken wie mechanische Reize. Auch andere Theile anderer Pflanzen, z.B. die Staubfäden des Sauerdorns oder Berberitzenstrauchs, zeigen bei Berührung Reizbarkeit. Sticht man mit einer Nadel den Obertheil des Pistills, so neigen sich, besonders bei noch nicht ganz entfalteten Blüten, die 6 Staubfäden plötzlich gegen das Pistill und legen sich an dasselbe an.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 125-126.
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