Jahreszeiten

[481] Jahreszeiten heißen die Abwechselungen im Laufe des Jahres, welche sich durch verschiedenen Stand der Sonne gegen den Horizont und folglich durch verschiedene Tageslänge, verschiedene Temperatur und Verschiedenheit aller insbesondere mit der letzten zusammenhängende Naturerscheinungen unterscheiden. Die Jahreszeiten hängen daher auf das innigste mit dem scheinbaren Laufe der Sonne um die Erde zusammen. Stellen wir uns die Erde als eine Kugel vor, auf welcher der Äquator und in gehörigem Abstande die Wendekreise so verzeichnet sind, daß sie miteinander gleichlaufende Kreise bilden (vgl. Erde), und denken wir uns ferner, der Himmel sei eine hohle, die Erde ringsum gleichmäßig umgebende Kugel, an deren innerer Oberfläche die Sonne sich bewege, so finden wir den Äquator und die Wendekreise an dieser Himmelskugel, wenn wir uns an derselben Kreise gezogen denken, welche genau über jenen Kreislinien der Erdkugel liegen und mit denselben parallel laufen. Zwischen den beiden Wendekreisen der Himmelskugel befindet sich nun stets irgendwo die Sonne, indem sie niemals über dieselben hinausgeht; sie beschreibt an der Himmelskugel jährlich eine kreisförmige Linie, welche den Äquator schneidet und von dem einen Wendekreise, nachdem sie ihn berührt, zu dem andern zurückkehrt. Zugleich aber ist die Himmelskugel selbst in einem sich täglich vollendenden und täglich wiederholenden [481] Umschwunge um die Erdkugel begriffen, und so beschreibt folglich die Sonne täglich einen Kreis um die Erdkugel, welcher entweder mit einem der Wendekreise oder mit dem Äquator zusammenfällt, oder zwischen Wendekreis und Äquator liegt, aber beiden Kreisen parallel ist. Auf der nördl. Hälfte der Erdkugel liegt der Wendekreis des Krebses, auf der südl. der Wendekreis des Steinbocks; wir Europäer wohnen nördl. von dem Wendekreise des Krebses. Sobald nun die Sonne im Wendekreise des Steinbocks um die Erde sich bewegt, haben die dort wohnenden Menschen die Sonne Mittags gerade über ihren Köpfen stehen, wogegen wir Europäer sie nur bis zu einer geringen Höhe über unsern Horizont sich erheben sehen, und wie jene den längsten Tag und Sommersanfang, so haben wir den kürzesten Tag und Winters anfang. Dieses geschieht am 21. Dec. Nun aber geht die Sonne allmälig zum Äquator zurück, steigt immer höher über unsern Horizont (oder nähert sich täglich in ihrer Stellung um 12 Uhr Mittags mehr unserm Zenith), zugleich werden die Tage länger, bis sie im Äquator steht. An dem Tage, an welchem die Sonne in der Linie des Äquators um die Erde geht, sind beide Hälften der Erde ganz gleichmäßig von ihr beleuchtet und überall auf der Erde ist Tag und Nacht gleich lang, auf der Nordhälfte der Erde geht an diesem Tage, am 21. März, der Winter in den Frühling, auf der südl. Halbkugel dagegen der Sommer in den Herbst über. Die Sonne kommt nun mit ihren täglichen Kreisen dem Wendekreise des Krebses immer näher, erreicht diesen endlich am 21. Jun. und macht dadurch für die Bewohner der nördl. Halbkugel den längsten Tag und Anfang des Sommers, während die Bewohner der Südhälfte den kürzesten Tag und Wintersanfang haben. Unter dem Wendekreise des Krebses sehen die Menschen an diesem Tage Mittags die Sonne gerade über ihren Köpfen. So hoch aber kommt sie bei uns niemals, denn sie überschreitet den Wendekreis nicht, sondern geht zum Äquator mit immer kürzer werdenden Tagen zurück, bis sie am 23. Sept. jenen erreicht, die zweite Tag-und Nachtgleiche eintritt und für uns der Herbst, für die Bewohner der Südhälfte der Frühling beginnt. Die hier angegebenen sind die astronomischen vier Jahreszeiten, mit denen die meteorologischen, d.h. diejenigen, welche durch die übrigen Naturerscheinungen, welche nicht direct von der Tageslänge abhängen, keineswegs genau übereinstimmen. Der meteorologische Frühling tritt mit dem Schmelzen des Eises, dem Grünwerden der Bäume und der Wiesen, der Wiederkehr der Zugvögel ein; der Sommer ist die Zeit der größten Hitze, bei welcher die Früchte reisen; im Herbst werden die Blätter fahl und fallen ab, der Wein reist; im Winter endlich überzieht Schnee und Eis die ganze Natur. So ist es in den gemäßigten Klimaten. Diese Erscheinungen hängen von dem Wechsel der Temperatur ab und dieser nur theilweise von der Stellung der Sonne, denn örtliche Bedingungen, besonders die Höhe über der Meeresfläche, der Schutz durch naheliegende Gebirge u.s.w. bewirken, daß jene Veränderungen nicht gleichzeitig selbst an solchen Orten eintreten, für welche übrigens die Sonne stets dieselbe Stellung hat, oder welche gleichweit vom Äquator nach Norden oder Süden abstehen. So sind z.B. die Jahreszeiten in Nordamerika von den unsern insofern verschieden, als es an einem Orte in Nordamerika, welcher ebensoweit vom Äquator abliegt, wie ein Ort in Europa, doch stets beiweitem kälter rauher ist als hier. Völlig abweichend sind aber die Jahreszeiten sowol der Gegenden zwischen den Wendekreisen, als derer, welche nach den Polen zu liegen. In jenen Gegenden (den Tropenländern) verändert sich im Laufe des Jahres die Temperatur nur wenig, das Laub der Bäume fällt zwar ab, aber zugleich kommt auch schon frisches Grün; Blüten und Früchte erscheinen zugleich an demselben Gewächs und in allen Jahreszeiten. Die Bewohner dieser Länder kennen nur zwei meteorologische Jahreszeiten, nämlich die trockene und die Regenzeit; die letztere tritt in der Regel dann ein, wenn die Sonne im Zenith steht. Auch gegen die Pole zu gehen die vier Jahreszeiten immer mehr in zwei über, indem der Untergang von Winter in Sommer und von diesem in jenen fast plötzlich geschieht. Dicht am Äquator und dicht an den Polen kann man endlich eigentlich nur von Einer Jahreszeit sprechen, denn unter dem Äquator ist die kurze Regenzeit nur als eine Unterbrechung des immerwährenden Winters zu betrachten, und in der Nähe der Pole herrscht ein ewiger Winter, den nur einige seltene Frühlingstage unterbrechen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 481-482.
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