Jahr

[480] Jahr (das) heißt die Zeit, während welcher die Erde ein Mal ihre kreisähnliche Bahn um die Sonne zurücklegt. Da das Eintreten der Jahreszeiten, des längsten und kürzesten Tages, die Tag- und Nachtgleichen, das Auf- und Untergehen der Gestirne zu derselben Zeit für einen gewissen Ort von dem Umlauf der Erde um die Sonne abhängig sind, so ist es natürlich, daß man schon sehr zeitig auf die regelmäßige Wiederkehr der Zeiten aufmerksam wurde, wenn es auch erst einer uns näherliegenden Zeit vorbehalten war, den eigentlichen Grund jener Wiederkehr zu erforschen. Die alten Völker beobachteten den Himmel sehr emsig und so konnte es ihnen nicht entgehen, daß jedesmal 365 Tage von einem kürzesten Tage bis zum nächstfolgenden vergingen. Die alten Ägypter hatten gar wohl bemerkt, daß zu Syene in Oberägypten, welches unter dem Wendepunkte des Krebses liegt, ein Brunnen sei, in welchem sich die Sonne am Mittage des längsten Tages im Jahre spiegele. Zählten sie nun die Tage, welche von einer Spiegelung der Sonne bis zur nächsten vergingen, so hatten sie die richtige Länge des Jahres. Aber diese und ähnliche Bestimmungen des Sonnenjahres waren immer nur ungefähr, denn bekanntlich hängt die Erscheinung von Tag und Nacht nicht sowol von dem Umlauf der Erde um die Sonne, als vielmehr von der Umdrehung der Erde um sich selbst ab. Die Zeitlänge aber von einer Erdumwälzung bis zur andern (die Tageslänge) geht aber nicht genau auf in derjenigen Zeit, welche die Erde zu einem Umlauf um die Sonne gebraucht (in der Jahreslänge) und daher ist die Tageslänge ein zu großes Maß für das Jahr, man muß dieses nicht blos nach Tagen, sondern noch genauer nach Stunden, Minuten und Secunden bestimmen. Die Fortschritte, welche die Astronomie gemacht, [480] hat Mittel an die Hand gegeben, und so hat man entdeckt, daß die wahre Zeit, welche die Erde braucht, um ihre ungefähr 131 Millionen Meilen lange Bahn zurückzulegen, 365 Tage 5 Stunden 48 Minuten und 50 Secunden beträgt. Dieser Zeitraum heißt ein tropisches Sonnenjahr. Stellt man sich vor, daß man die Erde in ihrer Bahn vom Mittelpunkte der Sonne aus betrachten. könne und berechnet, welche Zeit vergehen würde, ehe, so betrachtet, die Erde einmal wieder genau bei demselben Fixsterne erscheinen würde, so erhält man die Länge eines siderischen Sonnenjahres, welche 365 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten und 11 Secunden beträgt. Noch etwas (um 5 Minuten und 12 Secunden) länger als das siderische ist das anomalistische Sonnenjahr, welches angibt, wie lange es dauert, ehe die Erde in ihrer eiförmigen Bahn einmal genau wieder zu derselben Stelle zurückkehrt. Der Grund, warum diese Jahre nicht dieselbe Länge haben, liegt, was das siderische Sonnenjahr betrifft, darin, daß der Nachtgleichenpunkt (s. Nachtgleichen) unter den Sternen fortrückt und in Bezug auf das anomalistische Sonnenjahr in der Veränderung der Lage der Erdbahn im Weltraume. Im bürgerlichen Leben hat man schon in sehr alten Zeiten nach tropischen Sonnenjahren gerechnet, da aber die Zahl der Tage in einem solchen Jahre nicht genau aufgeht, so mußten bei der Annahme, daß das Jahr 365 Tage habe, bald merkliche Abweichungen stattfinden, in vier Jahren schon mußte z.B. der kürzeste Tag um einen Tag später fallen, was nicht der Fall gewesen sein würde, wenn das Jahr wirklich 365 Tage hätte. Schon in frühen Zeiten sah man sich daher auch genöthigt, Einschaltungen vorzunehmen, um die regelmäßig wiederkehrenden Erscheinungen mit der Jahresrechnung in Einklang zu setzen. Gegenwärtig geschieht eine solche Einschaltung alle vier Jahre, und ein solches Jahr heißt ein Schaltjahr. Ob ein Jahr ein Schaltjahr ist, sieht man daraus, ob die 4 in den letzten beiden Ziffern der ihm entsprechenden Jahreszahl nach Christi Geburt aufgeht. Bleibt ein Rest, so hat man ein gemeines Jahr. Die jetzt gebräuchliche Einschaltungsweise ist zuerst von dem berühmten Julius Cäsar (s.d.) eingeführt worden. Da vorher die Einschaltung mangelhaft vorgenommen worden war, so war endlich eine solche Verwirrung eingerissen, daß das Jahr, nach welchem man in Rom rechnete, um 79 Tage von dem wahren Jahre abwich. Diese 79 Tage schaltete Jul. Cäsar nun 46 v. Chr. auf einmal ein, wodurch ein Jahr von 445 Tagen entstand, welches das »Jahr der Verwirrung« (annus confusionis) genannt wurde. Das erste Jahr der Julianischen Zeitrechnung war das Jahr 44 v. Chr. Von nun an wurde alle vier Jahre ein Tag eingeschaltet. Hierbei war vorausgesetzt, daß dos Jahr genau um sechs Stunden oder um 1/4 Tag länger als 365 Tage sei. Da man nun hierbei nach der obigen Angabe der Länge des tropischen Sonnenjahres um 11 Minuten 10 Secunden irrte, so hatte man daher in 100 Jahren beinahe einen Tag zuviel eingeschaltet. Zur Zeit des Papstes Gregor XIII. wich in Folge dieses Fehlers das Jahr, noch dem man rechnete, um zehn Tage von dem wirklichen Jahre ab. Im Einverständnisse mit den meisten christlichen Fürsten verbesserte daher Gregor XIII. den Kalender, indem er festsetzte, daß im Jahre 1582 der October nur 21 Tage haben sollte und daß künftighin zwar nach wie vor jedes vierte Jahr ein Schaltjahr sein sollte, daß aber ausnahmsweise die Jahre 1700, 1800 und 1900 gemeine Jahre, das Jahr 2000 aber wieder ein Schaltjahr sein sollte. Ebenso werden 2100, 2200 und 2300 gemeine Jahre, 2400 aber wird ein Schaltjahr sein u.s.w. Die Bekenner der griech. Kirche, also namentlich die Russen, haben diesen verbesserten Gregorianischen Kalender oder den neuen Styl nicht angenommen, sondern rechnen noch gegenwärtig nach dem Julianischen Kalender oder nach dem alten Styl. Seit 1800 beträgt die Abweichung des alten Styls zwölf Tage, um welche er hinter dem neuen Styl zurück ist. Auch die Protestanten nahmen den Gregorianischen Kalender anfangs nicht an, aber in Deutschland, Holland und Dänemark nahmen sie denselben unter dem Namen des verbesserten Kalenders 1700 an, und gingen zu dem Ende vom 18. Febr. sogleich auf den 1. März über. Die Engländer haben den verbesserten Kalender 1752, die Schweden 1753 angenommen. Bei der Gregorianischen Einschaltungsweise wird erst in 36–39 Jahrhunderten Ein Tag zu viel eingeschaltet. In einem gemeinen Jahre ist der 24. Febr. der Tag Matthias, in einem Schaltjahre aber wird der Schalttag zum 24. Febr. und der Tag Matthias fällt. erst auf den 25. Febr., sodaß auf diese Weise der Februar eines Schaltjahrs nicht 28, sondern 29 Tage hat. – Außer den Sonnenjahren gibt es mm aber auch noch Mondenjahre. Nach 12 Mondwechseln hat nämlich die Erde ihre Bahn beinahe einmal zurückgelegt und man hat daher auch nach Jahren gerechnet, welche aus 12 Mondwechseln bestanden. Das Mondenjahr hat aber nur 354 Tage 8 Stunden 48 Minuten und 36 Secunden. Es war früher bei vielen Völkern eingeführt, und um es mit dem Sonnenjahre in Übereinstimmung zu bringen, mußte man bedeutende Einschaltungen machen. Die Türken haben ein neues Mondenjahr, dessen Anfang alle Jahreszeiten durchläuft.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 480-481.
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