Steinkrankheit

[285] Steinkrankheit bezeichnet im weitern Sinne des Wortes denjenigen krankhaften Zustand des Körpers, bei welchem sich in verschiedenen Theilen desselben harte, steinartige Gebilde entwickeln, im gewöhnlichern und engern Sinne aber die Erzeugung von Steinen in den für die Abscheidung und Aussonderung des Urins bestimmten Organen, also in den Nieren, Harnleitern und der Harnblase. Die Steinkrankheit in diesem Sinne gehört zu den qualvollsten Leiden, die überhaupt den Menschen heimsuchen können, betrifft mehr Männer als Weiber, öfter das höhere als das jugendliche Alter, kommt in manchen Gegenden sehr häufig, in andern wieder fast gar nicht vor (wovon der Grund wol in der Verschiedenheit des Trinkwassers und der Lebensweise zu suchen ist), ist zuweilen ererbt und scheint durch den Genuß mancher Trinkwasser, mancher Biere und Weine, des Käses, Thees u.s.w., sowie überhaupt durch eine allzu nahrhafte Kost, namentlich allzu viel Fleischkost, herbeigeführt zu werden, zumal wenn Skrofelsucht, Zweiwuchs oder Gicht ihre Entwickelung begünstigen. Bevor es nun aber zur wirklichen Bildung von Harnsteinen kommt, gehen oft Jahre lang, meistens ohne Schmerz oder höchstens mit etwas Brennen, zugleich mit dem Urine kleine weißliche oder röthliche Körner ab, die man Harngries oder Harnsand nennt und die zunächst die Krankheitsanlage verrathen. Inzwischen kann dieser Griesabgang, mit dem sich oft schon einige Empfindlichkeit in der Nierengegend, Schmerz längs der Harnleiter und Jucken an der Mündung der Harnröhre verbindet, auch viele Jahre hindurch, ja zeitlebens statt haben, ohne daß sich eigentliche, größere Harnsteine bilden. Je nach dem Organe, in welchem die Harnsteine entstanden sind oder wenigstens angetroffen werden, unterscheidet man hauptsächlich Nierensteine und Blasensteine. Die Nierensteine bilden sich als größere oder kleinere, unregelmäßig gestaltete, an ihrer Oberfläche glatte oder gezackte, bräunlich gefärbte Körper in dem sogenannten Nierenbecken und verursachen hier zeitweise, meist sehr plötzlich eintretende Schmerzen, welche bald mehr stumpf und drückend, bald stechend, schneidend und sehr heftig sind und sich bei angefülltem Magen, langem Liegen auf dem Rücken, beim Fahren auf unebenen, holperigen Wegen und bei mancherlei Wendungen und Stellungen des Körpers verschlimmern. Geht ein solcher Stein aus dem Nierenbecken in die Harnleiter über, so geschieht dies zwar zuweilen, ohne daß eine besondere Empfindung oder sonstige Erscheinung es verräth, häufiger jedoch unter beträchtlichen Schmerzen längs der Harnleiter. Ist ein solcher Stein sehr groß, so bleibt er wol auch im Harnleiter stecken und bringt daselbst Entzündung sowie mannichfache Zerstörungen hervor, meistens gelangt er aber bald in die Blase. Unter die Zufälle, welche außerdem bei dem Vorhandensein eines Steins in den Nieren beobachtet zu werden pflegen, gehören ferner von Zeit zu Zeit erfolgender Ausfluß von Blut und Abgang kleiner Steinchen durch die Harnröhre, Ekel, Erbrechen u.s.w. Die Gegenwart eines Steins in der Blase verräth sich durch dann und wann sich einstellende Harnverhaltung, Unterbrechung des Harnausflusses, Theilung des Strahls, Abtröpfeln des Urins, Brennen in der Harnröhre beim Abgange desselben, Schmerzen in der Blasengegend oder im Mittelfleische, welche im Anfange nicht eben heftig sind und oft lange Zeit aussetzen, nach und nach aber immer heftiger und anhaltender und zuletzt [285] bis zur Verzweiflung peinigend werden, Beschwerden, die durch eine nach vorn geneigte Stellung des Körpers, Auseinanderspreizen der Schenkel wesentlich erleichtert werden, ferner durch Jucken und Prickeln an der Mündung der Harnröhre, ein Gefühl von Kälte in den Geschlechtstheilen, das sich zuweilen bis an die innere Seite der Schenkel herabzieht, endlich durch Abgang eines ekelhaft riechenden, trüben, dunkeln, einen reichlichen, sandigen, blutigen, eiterigen oder schleimigen Bodensatz machenden Urins. Alle diese Zeichen, so wahrscheinlich sie auch das Vorhandensein eines Blasensteins machen, geben jedoch noch keine unbedingte Gewißheit. Diese gewährt erst eine chirurgische Untersuchung durch die Harnröhre, den Mastdarm u.s.w. Die Bildung der Harnsteine kommt durch Mischungsveränderung des Harns zu Stande und beruht ursprünglich auf einer fehlerhaften Beschaffenheit der gesammten Ernährung. Sie entstehen um so leichter, wenn zufällig in die Blase gelangte fremde Körper oder Ansammlungen von Schleim, Eiter, Blut u.s.w. gewissermaßen einen Kern für dieselben abgeben. Mit innern Heilmitteln läßt sich zur Verhütung und Heilung der Krankheit nicht viel ausrichten. Behufs ihrer Verhütung ist das Wichtigste und Nothwendigste eine zweckgemäße Änderung der ganzen Lebensweise, insbesondere Vermeidung der unter den Entstehungsursachen aufgeführten Schädlichkeiten. Zur Heilung wird chirurgische Hülfsleistung durch den Steinschnitt, den man auf verschiedene Weise ausführt, oder durch die in neuerer Zeit empfohlene und häufig mit dem erwünschtesten Erfolge unternommene, jedoch nicht unter allen Umständen anwendbare Steinzerbröckelung erfodert.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 285-286.
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