Vollblütigkeit

[623] Vollblütigkeit. Dieser Zustand des Körpers ist vorhanden, wenn in den Blutgefäßen desselben mehr Blut enthalten ist, als er zu seiner Erhaltung nöthig hat. Bleibt ein solcher Überfluß in gewissen Grenzen, so können zwar Gesundheit und Wohlbefinden ohne auffallende Störungen dabei bestehen, obwol er immer eine Anlage zu manchen Krankheiten, wie z.B. zu Entzündungen, Blutungen, Schlagfluß u.s.w. begründet; überschreitet er aber jenes Maß, so wird er zur wirklichen Krankheit. Dann charakterisiren ihn ein dunkelrothes, erhitztes Ansehen, Benommenheit des Kopfes oder wirklicher Kopfschmerz, Flimmern vor den Augen, Schwindel, Ohrensausen, fliegende Hitze, Nasenbluten, häufiges Herzklopfen und Brustbeklemmungen, Mangel an Eßlust, Mattigkeit und Unaufgelegtheit, selbst Unfähigkeit zu geistigen und körperlichen Anstrengungen, unruhiger Schlaf u.s.w. Rührt die Vollblütigkeit nicht von ererbter Anlage her, so entsteht sie meist durch die Aufnahme einer größern Menge von Nährstoffen in das Blut, als zur Ernährung und Erhaltung des Körpers erfoderlich ist und von der Zurückhaltung von Stoffen im Blute, die durch die mannichfachen Ausscheidungen aus demselben hätten entfernt werden sollen. Fälle ersterer Art sind diejenigen, in denen die Vollblütigkeit im Allgemeinen durch zu vieles Essen und Trinken oder den Genuß zu nahrhafter, namentlich solcher Speisen und Getränke herbeigeführt wird, die, wie man zu jagen pflegt, zu sehr ins Blut gehen; Fälle der zweiten Art die, welche aus Mangel an körperlicher Bewegung, in Folge von Unterdrückung gewohnter und gesundheitsgemäßer Ausleerungen oder von Unterlassung zur Gewohnheit gewordener Blutentziehungen [623] entstehen. Im Allgemeinen leidet das weibliche Geschlecht häufiger an Vollblütigkeit als das männliche, ganz besonders aber im Zustande der Schwangerschaft. Ferner wird das Entstehen derselben durch Fettleibigkeit sehr begünstigt, obschon auch Magerkeit nicht unbedingt gegen sie schützt. Ein angemessenes diätetisches Verhalten ist sowol das beste Schutz- als das beste Heilmittel der Vollblütigkeit. Vollblütige dürfen sich, wenn sie sich nicht offenbarer Gefahr aussetzen wollen, nicht zu sehr den Tafelfreuden hingeben, weder zu viele noch zu nahrhafte Speise zu sich nehmen und müssen insbesondere auch alle Getränke meiden, welche zu sehr ins Blut gehen oder dieses leicht in Wallung bringen, also schwere Weine, schwere Biere, Kaffee, Thee, dagegen viel Wasser trinken, sich nicht in starkgeheizten Stuben aufhalten, weder zu lange noch zu weich und warm schlafen, sich viele körperliche Bewegung im Freien machen und so lange nicht dringende Nothwendigkeit es gebietet, Blutentziehungen zu umgehen suchen, um sich nicht an dergleichen zu gewöhnen und durch spätere, absichtliche oder zufällige Unterlassung derselben ihren Zustand noch zu verschlimmern. Ganz und auf die Dauer ist übrigens einmal entstandene und vollends ererbte Vollblütigkeit wol nie zu heben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 623-624.
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