Maskenbälle

[137] Maskenbälle ersetzen bei uns seit der Reformation den im katholischen Süden noch immer mit allem Pompe gefeierten Carneval und die mit dem 13. Jahrhunderte auch in Deutschland eingeführten Fastnachtsspiele. Abgeschlossene und öffentliche Tanzvereine gehörten damals keineswegs zur Sache, sondern das eigentliche Mummen war Volkslustbarkeit, hatte die Straßen der Städte zum Schauplatz und erreichte am Dienstag vor der Aschermittwoch seinen Brennpunkt. Jeder bedeutende Ort beobachtete seine eigenthümlichen Gebräuche. So zogen z. B. die jungen Burschen Leipzig's beim Mummenlaufen in Mummen oder Butzenkleidern, wie die Masken genannt wurden (daher das alte Wort Butzemummel für Maske), mit einem Pfluge durch die Straßen, an den sie die ledigen Mädchen, deren sie habhaft werden konnten, mit Gewalt spannten, um sie zu höhnen, daß sie noch nicht geheirathet hätten. In Nürnberg hießen diese, gegenwärtig von den Maskenbällen ersetzten Festlichkeiten, das Schönbartlaufen, vom altdeutschen Worte, Schönbart, Scheinbart, eine Larve; und um zu sehen, wie es dabei herging, entlehnen wir einem Werke folgende Beschreibung: »Was nun die Lustbarkeit des Schönbarts selbst anbetrifft, so liefen allezeit etliche Vermummte in Narrenkleidern voraus, die mit Kolben und Peitschen in der Hand Platz machten. Hierauf kam einer im Narrenkleide mit einem großen Sacke voll Nüsse, welche er unter die Buben auswarf. Ihm folgte ein Anderer zu Pferde, und trug einen Korb mit Eiern, die mit Rosenwasser gefüllt waren. Wenn nun Frauenzimmer sich an Fenstern oder Hausthüren sehen ließen, wurden sie damit beworfen; welches dann, nach Bemerkung der Schönbartsbücher, gar schön geschmecket (gerochen). Dann kamen die Schönbartsleute selbst mit ihren Schutzhaltern, Hauptleuten und Musikanten. Ihre Kleidung war meist einerlei, alle Jahre aber sowohl in den Farben als der Haupt-Erfindung verändert. Manchmal lief einer darunter in einer seltsamen[137] und eigenen Maske, z. B. als wilder Mann, oder wildes Weib; ein Mann mit einem Wolfskopfe, in einem grünen Kleide mit lauter Spiegeln, ein indianisches Weib mit lauter Kastanien behängt. Zum Beschlusse des ganzen Zuges führten sie meistentheils, wenigstens vom Jahre 1745 an, eine sogenannte Hölle, die von Menschen oder Pferden auf einer Schleife gezogen wurde. Es war dieß eine Maschine, die ein künstliches Feuerwerk in sich faßte, und beim Ende der ganzen Lustbarkeit vor dem Rathhause angezündet, auch gestürmt und verbrannt wurde. Die vornehmsten Erfindungen dieser Hölle waren, ein Drache oder Basilisk, ein Krokodil, die Feuer spien; ein Elephant mit einem Thurme und Soldaten; ein Riese, der Kinder fraß; ein gräßlicher alter Teufel, der die bösen Weiber fraß; ein Kram mit einer Krämerin, die allerhand Narrenwerk feil hatte, auch einen Besen ein Backofen, worin lauter Narren gebacken wurden, eine Kanone, woraus man böse Weiber schoß; ein Vogelheerd, worauf Narren und Närrinnen gefangen wurden etc. Manchmal fuhren auch Schlitten herum, mit Vermummten und Musikanten oder Geharnischten, die mit Turnierstangen gegen einander stießen, welches »man das Gesellenstechen nannte; dergleichen auch außer dem Schönbart viele zu Nürnberg angestellt wurden.« Nicht nur unsere deutschen Vorfahren waren es, welche sich auf diese Weise belustigten, sondern auch andere Nationen, wie die Italiener (siehe Carneval) und Franzosen. Auch im Norden von Großbritannien gibt es noch immer eine Volkslustbarkeit, Mumming genannt, bei welcher sich Männer als Weiber, und Weiber als Männer verkleiden und singend und tanzend von Haus zu Haus gehen. Die Weiber tragen dabei große Krüge mit starkgewürztem Biere, wovon sie den Zuschauern zu trinken reichen und dafür ein kleines Geschenk an Gelde erhalten. Dasselbe Fest heißt in Frankreich courir oder porter le Mommon, und besteht darin, daß das gemeine Volk groteskcomische Aufzuge auf den Straßen halt, die Masken des Nachts[138] in die Häuser gehen und ohne ein Wort zu reden, eine gewisse Summe auf Würfel oder anderes Hazardspiel setzen, und nach gemachtem Gewinne oder Verluste wieder fortgehen. So spaßhaft und selbst romantisch uns jetzt diese Vergnügungen erscheinen, so unsittlich und gefährlich waren sie zuweilen, und endeten nicht selten mit Mord und Todtschlag, weßhalb denn auch mit dem Aufdämmern eines feinern und gesittetern Zeitalters die Obrigkeiten ernstlich daran dachten, dem Dinge ein Ende zu machen. Ungern nur fügte sich die Menge, und als Ersatz bildeten sich die Redouten oder Maskeraden, wie ehemals die Fastnachtspossen überhaupt aus den Saturnalien Roms. Völlige Gleichheit der Personen bilden ihr Grundgesetz, der Geist der Ordnung und Sitte wacht über ihnen, und sollte wenigstens stets entfernen, was an die wilden Orgien vergangener Jahrhunderte erinnert. Schöne und reiche Charaktermasken tragen am meisten dazu bei, einen Maskenball glänzend zu machen; aber theils scheut man in unserer rein speculativen Zeit immer mehr den dazu nöthigen Aufwand – theils verlor die Mehrzahl längst den Geschmack an der Allegorie wie dem idealen Scherze, und demnach ist von jenen, einst so mannichfaltigen, Festen nur noch das Materielle und Barocke geblieben. Der wahre rosengekrönte Phantasus mit seinen buntfarbigen Irislaunen, flüchtete sich, von groben Bajazzo's und plumpen Tyrolerinnen verjagt, aus dem Volke in die Mitte der gebildeten höhern Stände, und schmückt dort zuweilen noch schimmernde Sale mit anmuthigem Maskengewimmel, das seinem Zauberstabe die Entstehung verdankt.

F.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 137-139.
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