Moscheles

[296] Moscheles, Ignaz, einer der berühmtesten Pianisten der letzten Zeit. Sein Spiel hat als hervorstechende Eigenschaft eine kalte Präcision, und eine eigene scharfe Klarheit des Vortrages, und bekundet mehr das Uebergewicht des Verstandes, als der Phantasie, es trägt die Embleme der Meisterschaft, aber bietet nur Befriedigung des Geistes. Wie bei allen Virtuosencomponisten, ist der Charakter seiner Compositionen mit dem seines Spieles verschwistert, der letztere ist dem ersteren entwachsen. Seine Compositionen sind geistreich, scharfsinnig, geschmackvoll, seine Phantasie hat etwas nobles in ihrem Tone, ihre Verarbeitung etwas seines in ihrem Wesen. Sein Compositionswirken theilt sich in zwei Abschnitte. In dem ersteren gesellt sich zu allen jenen Eigenschaften jugendliches Feuer, nicht blos leuchtend, auch wärmend, genialer Schwung in Führung und Verbindung der Ideen, und ein Anflug wahrester Empfindung; im zweiten haben diese Kinder der Poesie Abschied genommen, und nur der geistreiche Torycomponist ist geblieben, der in seiner englischen Fashionabilität unser Herz kalt läßt. Zu den schönsten Compositionen seiner Frühlingsperiode gehören seine Clavierconcerte in Gmoll und Esdur, und seine große Sonate à 4 mains, [296] einige Rondos, und für das Studium des Pianospieles seine trefflichen Etuden; seine Alexander Marsch-Variationen waren lange ein Bravourstück der Virtuosen. Aus seiner letzten Zeit stammen ein Concert pathétique, ein anderes phantastique, eine Ouvertüre zur Jungfrau von Orleans etc. M. ist 1795 in Prag geb., von jüdischer Familie, war M. v. Webers Schüler in Wien, reiste zuerst 1824 als Virtuose, verweilte viel in Paris und London, bis letzteres sein fester Aufenthalt wurde. Die neue Virtuosenschule verdrängte ihn allmälig vom Siegerplatz, länger aber wird seine Geltung als Pianofortcomponist sich bewähren.

–k.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 7. [o.O.] 1836, S. 296-297.
Lizenz:
Faksimiles:
296 | 297
Kategorien: