Schefer, Leopold

[85] Schefer, Leopold, Jean Paul's nächster, geistiger Blutsverwandter, ein geweihter Seher, der in seinen zahlreichen, tiefsinnigen Novellen die feinsten Entdeckungen auf dem Gebiete des menschlichen Herzens in einem eigenthümlichen, idealen Gewande niedergelegt hat. Zufriedenheit, Harmonie mit sich und der Welt ist seine Devise. Die einfachen Bande der Familie, die Leiden und Freuden eines Gatten, eines Vater-, eines Mutterherzens, – dieß sind die Gegenstände, die er am liebsten mit dem Morgenrothe seiner glühenden Gedanken und bilderreichen Phantasie umwebt. Die tiefsinnigste Verherrlichung einer Religion der wahren Heiterkeit ist sein »Laienbrevier.« Ueberhaupt weiß er als Lyriker alle Saiten des[85] Herzens wunderbar zu ergreifen: nur sind seine Gedichte, die früher pseudonym erschienen, nicht so wie seine Novellen bekannt geworden. Außer vielen dramatischen Sachen, einer Sammlung neugriechischer Gedichte etc., schrieb er in Folge seines Aufenthalts zu Rom den »Römischen Kalender,« eine Satyre voll des geistreichsten Witzes. In Wien studirte er unter Haydn und Salieri die Composition, und liebliche Früchte dieser Studien sind seine zahlreichen Quartetten und die Oper »Sakontala,« – sämmtlich reiche Compositionen voll Tiefsinns, aber ärmer an gewinnenden Melodien. – S. wurde am 30. Juli 1784 zu Muskau in der Oberlausitz geb., erhielt seine hauptsächlichste Schulbildung auf dem Gymnasium zu Budissin, und wurde der vertrauteste Freund des Fürsten Pückler. Fichte, Schiller, Göthe, Brentano, Weisflog wirkten vielfach anregend auf seine Bildung. Später setzte ihn die Munificenz seines fürstlichen Gönners in den Stand, England, Oestreich, Italien und den Orient zu besuchen. Nach seiner Rückkehr 1820 verheirathete er sich sehr glücklich und lebt jetzt als zufriedener Gatte und Vater in beneidenswerther Muße auf seiner selbst erbauten Villa bei Muskau, in Besitz eines Looses, wie es so reich an Frieden und geistiger Anregung nur wenigen Dichtern zu Theil ward.

S....r.

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Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 85-86.
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