Weihnachten

[404] Weihnachten. Noch ruht die Mutter Erde in ihrem tiefen Winterschlafe, eingehüllt in den weißen Schneemantel; schweigsam auf der Stadt liegt das Dunkel einer starren, kalten Decembernacht, und nur dann und wann fegt ein Windstoß aus Norden die weiten, öden Straßen. Ist Alles erstorben und todt in diesen sonst so bewegten Räumen? Doch nein, siehe, da öffnen sich die Thüren und heraus treten gar viele Gestalten und schreiten hin nach dem ernsten Dom, dessen geöffnete Pforten sie aufnehmen, die Schar der Gläubigen. Und drinnen am Hochaltar flammen Hunderte von Kerzen und Tausende von Gebeten steigen empor zu dem Ewigen, feiernd die Geburt seines Sohnes, denn es ist heute die heilige, geweihte Nach vom 24. zum 25. December, und wir gedenken ihrer durch die Christmetten, und feiern drei darauf folgende Tage als hohe Festtage, daß es sich tief einpräge für alle Zeiten, das Geburtsfest des Erlösers. Aber erst im 5. Jahrhundert wurde diese Feier in der abendländischen Kirche eingeführt, und ob auch dem Wesen nach dieselbe, änderte sich doch seitdem in der Form gar Manches. Früher wurden die Metten mit großem Gepränge und[404] besonders durch dramatische Darstellungen der Geburt Christi begangen. Namentlich in den nördlichen Ländern verzierte man die Kirchen mit grünem Nadelholz, Lichtern und Rauschgold, und band, um das Ansehen natürlicher Bäume nachzuahmen, vergoldete Nüsse und Aepfel dazwischen. Dann überließ man diese den Kindern, und die Aelternliebe fügte bald noch andere Geschenke hinzu, wodurch nach und nach die Weihnachtsgeschenke für Groß und Klein entstanden, obschon diese Sitte in Frankreich und den südl. Ländern wenig Nachahmung gefunden hat. In einem großen Theile des kathol. Deutschlands dient der St. Nicolaustag zu den Weihnachtsbescheerungen. Die Kinder finden beim Erwachen auf dem Bette kleine Geschenke aller Art, und wie das Christkindchen bei den Protestanten heimlich in das Zimmer fliegt und die Gaben bringt, so hier der heilige Nicolaus. Noch verziert man hier und dort Kirchen und Häuser mit grünen Zweigen, freudige Gesänge erschallen in den Straßen, die nächtliche Musik der Wächter läßt sich vernehmen, und wohl jeder Betagte erinnert sich dann gern der fröhlichen Kinderjahre und des Festes der Geburt des Herrn. Aber auch manche Sage und mancher Aberglaube von der Zeit dieses Festes wurzelt noch immer unter dem Volke. So glaubt man z. B. in England an vielen Orten, daß man alle Thiere auf den Knien finde, wenn man um Mitternacht des heiligen Abends in einen Stall käme, oder auch, daß die Bienen in ihren Körben singen, um den erscheinenden Tag zu begrüßen. Die Weiber sind am Abend emsig bemüht, keinen Flachs am Rädchen zu lassen, damit nicht der Teufel komme, für sie zu spinnen, und ist dieß doch nicht möglich, so salzen sie denselben. Die Gothen feierten um dieselbe Zeit ein Fest wegen des Winter-Sonnenstillstandes, und opferten einen Eber. Noch jetzt backen die Bauern im Norden von Europa Brode in Form eines Ebers und setzen eines während des Festes auf den Tisch, ohne es zu berühren. In Schottland theilt man die letzte Hand voll Getreide die geerntet wurde, am Morgen des Festes unter das Vieh[405] aus, um es gesund zu erhalten. In einigen Provinzen Englands ist es üblich, die Apfelbäume an Weihnachten zu begrüßen, um sie fruchtbar zu machen. In Schweden vereinigt man sich in den Dörfern zu einem gemeinsamen Mahle. In einigen Ländern verfertigt man dicke Lichter, die, am Vorabend des Festes angezündet, bis zum Schluß desselben brennen müssen; bleibt etwas davon übrig, so hebt man dieß wie einen Talisman auf. Fast in den meisten Ländern spinnt keine Frau am Weihnachtstage.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 404-406.
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