Die Aegypter und ihre Nachbarn.

Die nordafrikanischen Volksstämme

[40] 164. Der gewaltigen, teils aus dürrem Felsboden, teils aus wogenden Sandmassen bestehenden Wüste, welche den Norden des afrikanischen Kontinents bedeckt, ist nur im Nordwesten ein größeres, von Gebirgen und Strömen durchzogenes Gebiet vorgelagert, das die Vorbedingungen einer höheren Kulturentwicklung bietet; es umfaßt die heutigen Landschaften Marokko, Algier und Tunis. Weiter östlich, im Syrtengebiet, tritt die Sandwüste unmittelbar an das Mittelmeer heran; und auch auf den felsigen Hochflächen des Plateaus von Barka und Marmarika, das sich östlich von der großen Syrte erhebt und in Terrassen zum Nildelta und zur Sahara hin abfällt, gewährt der durch ziemlich häufige Niederschläge geschaffene Graswuchs und der Reichtum an Wild wohl die Lebensbedingungen für nomadische Jägerstämme, feste Ansiedlungen dagegen sind auch hier nur an dem Abhang des Gebirges, im Gebiet von Kyrene und Barka, möglich gewesen. – Inmitten des Wüstengebiets liegen zahlreiche, zum Teil unter den Meeresspiegel hinabreichende Depressionen, die wir mit einem altaegyptischen Wort Oasen benennen. Hier schafft das in Quellen hervorbrechende Grundwasser üppige Fruchtbarkeit und feste Ansiedlungen mit Palmenzucht und Ackerbau; zugleich bilden die Oasen die Stationen für den Karawanenhandel durch die Wüste. Aber sie haben zu kämpfen mit dem ununterbrochen vordringenden Wüstensand; und im Wasser, das sich in Seen und Sumpflachen sammelt, wächst [40] der Salzgehalt beständig, so daß der Bestand der bebauungsfähigen Fläche sich langsam aber stetig vermindert. – Gewissermaßen eine Oase im größten Stil bildet das langgestreckte schmale Flußbett, welches der aus dem Abfluß der zentralafrikanischen Seen und den gewaltigen, den Schneegebirgen des abessinischen Hochlands entströmenden Wassermassen gebildete Nil in das Wüstenplateau eingeschnitten hat. Auf der langen Strecke freilich, wo der Nil in großen Windungen, in tief eingeschnittenem Bett das nubische Sandsteinplateau durchschneidet, die Querriegel von Granit in zahlreichen Stromschnellen (Katarakten) durchbrechend, begleitet ihn nur ein schmaler Ufersaum anbaufähigen Landes. Da die Katarakten in alter Zeit noch nicht so ausgewaschen und daher auch weit reißender waren als gegenwärtig, stand hier der Strom beträchtlich höher als jetzt: oberhalb des zweiten Katarakts betrug zur Zeit des Mittleren Reichs, wie die Angaben über die Höhe der Überschwemmung an den Felswänden beweisen, der Unterschied 8 Meter (§ 293); und zur Zeit der sechsten Dynastie waren in Nubien noch Waldungen mit Bauholz zu finden. Aber wesentlich ausgedehnter als gegenwärtig, wo das Kulturland auf 215 Meilen Stromlänge, von Chartûm bis zum ersten Katarakt, nicht mehr als 50 Quadratmeilen beträgt, kann es auch im Altertum nicht gewesen sein. Erst nachdem der Nil unterhalb des ersten Katarakts von Syene (Assuan) die Sandsteinkette von Silsilis durchbrochen hat, ändert sich der Charakter des Landes. Hier hat er in den weichen Kalkstein ein breites Bett gegraben, in dessen Mitte der Strom, mit zahlreichen Inseln, Nebenarmen und Kanälen, ein durchschnittlich etwa 11/2-21/2 Meilen breites, über 100 Meilen langes Kulturland durchzieht, an das sich, wie unterhalb von Kairo die Ränder der Wüste auf beiden Seiten zurücktreten, das von zahllosen Flußarmen und Kanälen durchschnittene Delta anschließt. Dies Land, zugleich das schmalste und eines der fruchtbarsten und dichtbevölkertsten Länder der Erde (auf eine Länge von 120 Meilen kommen nur 530 Quadratmeilen Flächeninhalt), ist das »schwarze Land« [41] Kêmet, von den Griechen Aigyptos benannt, seinen Bewohnern das »Land« (to, Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme) schlechthin, in dem die »Menschen« (romez, später rôme) wohnen, im Gegensatz zu dem »roten« Lande (ṭešret) des »Wüstengebirges« (cha'śet Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme, zugleich Gebirge, Wüste und Ausland) zu beiden Seiten, in dem nur armselige Barbaren hausen, denen Regen und dürftige Wüstenbrunnen den notdürftigsten Wasserbedarf spenden. »Aegypten«, erklärt das Orakel bei Herodot II 18 mit Recht, »ist das Land, welches der Nil bewässert, und Ägypter sind alle Bewohner des Landes unterhalb Elephantines, welche Nilwasser trinken.«


Oase (ὄασις Herod. III 26, sonst, gewöhnlich αὔασις) ist das aegyptische ua'ḥ, koptisch uaḥe, arabisch uaḥ (SETHE, ÄZ. 41, 48). – Über die Oasen und ihre Bewohner: ROHLFS, Drei Monate in der lib. Wüste, 1875. DÜMICHEN, Die Oasen der lib. Wüste, 1877. BRUGSCH, Reise nach der gr. Oase el Khargeh, 1878. STEINDORFF, Durch die lib. Wüste zur Amonsoase, 1904; Ber. sächs. Ges. phil. Cl. 1904. – Der Ursprung des Namens Αἴγυπτος (bei Homer ursprünglich der Fluß, aber schon in der Telemachie auch das Land) ist dunkel [da in den Amarnatafeln 58, 37 WINCKLER = 84 KNUDTZON der heilige Name von Memphis Ḥa(t)-ka-ptaḥ in einem Brief des Fürsten von Byblos als Chikuptach erscheint, hat die alte Vermutung von BRUGSCH, der Name stamme daher, wieder etwas an Wahrscheinlichkeit gewonnen]; ebenso der Ursprung des zuerst bei Hessiod theog. 338 erscheinenden Namens Νεῖλος. Aegyptisch heißt der Nil Ḥa'pi (ḥ'pr) oder einfach jotru »Fluß«, später jo'er, hebraeisch ראי, koptisch eioor (sprich joor); assyrisch jaru'û ist = aegyptisch jo(t)r'ô »der große Fluß«. Die Semiten nennen das Land Muṣr, Miṣr, hebraeisch mit Lokativbildung םירצמ; auch hier ist der Ursprung unbekannt. – Vortreffliche Übersicht der Geographie und der modernen Verhältnisse, mit den besten Karten, in BÄDECKER. Aegypten, bearbeitet von STEIN DORFF (6. Aufl. 1906).


165. Im Gegensatz zu den Negerstämmen des inneren Afrikas ist das gesamte nordafrikanische Randgebiet von engverwandten Volksstämmen kaukasischer Rasse besetzt, für die sich der der Völkertafel der Genesis entlehnte Name Hamiten eingebürgert hat. In der Wüste und im Nordwesten sitzen die libysch-maurischen Stämme (bis zu den Guanchen der Kanarischen Inseln), die von den Aegyptern unter dem Namen [42] Zemḥu zusammengefaßt werden. Zu ihnen gehören die Bewohner von Zeḥenu oder Marmarika, die Libyer (aegyptisch Rbu, sprich Libu) auf dem Plateau von Barka, deren Namen die Griechen von Kyrene auf alle Stammverwandten und den gesamten Kontinent ausgedehnt haben, und weiter westlich im Syrtengebiet die Mašauaša, die Maxyer der Griechen. Sodann die Aegypter, und südöstlich von ihnen zahlreiche, bis zum Somalilande reichende kriegerische Nomaden von rotbrauner Hautfarbe, unter denen die Maẕoi (später Matoi) auf dem nubischen Sandsteinplateau, die Vorfahren der heutigen Bischarin oder Bedja (Βεγα, Βουγαειται, נב der axumitischen Inschriften), besonders zu erwähnen sind. An sie reihen sich weiter die Bewohner des Weihrauchlandes Punt, das an der Somaliküste gelegen haben muß; seine Bewohner werden immer den Aegyptern sehr ähnlich und wie diese dunkelrot dargestellt, mit üppigem Haarwuchs (oder Perücke) und einem kurzen Kinnbart, wie ihn seit der ersten Dynastie auch die Aegypter tragen. Sie müssen als die Vorfahren und nächsten Verwandten derjenigen hamitischen Stämme (Somali, Galla, Masai u.a.) gelten, die sich heutigentags in den Vorlanden des abessinischen Hochlands und südlich von demselben weithin ausgebreitet haben, vielfach untermischt mit Negern, auf deren physischen Typus sie auch ihrerseits nicht selten eingewirkt haben. Weiter gehören zu den Hamiten die Iuntiu oder 'Auntiu (früher Anu gelesen). In späterer Zeit bezeichnet dieser Name die armseligen Trogodyten in dem sogenannten arabischen Wüstengebirge östlich von Aegypten; in älterer Zeit erscheinen sie als ein kriegerisches, von den Aegyptern vielfach bekämpftes Volk. So scheint es, daß unter diesem Namen die Wüstenbewohner im Osten mit den verwandten Stämmen im Süden Aegyptens (Unternubien) zusammengefaßt wurden.


Die ethnographischen Fragen sind durch die Vermehrung des Materials seit der vorigen Auflage eher verwickelter als klarer geworden. Unter dem den König darstellenden Greif (Löwe mit Vogelkopf und Flügeln) im Tempel des Saḥure' (BORCHARDT, Grabdenkmal [43] des Königs S. Bd. I, 8) und Neweserre' (BORCHARDT, Grabdenkmal des Königs N., S. 47), der in typischer Darstellung die Feinde Aegyptens niederwirft, liegen, außer Semiten und Libyern, auch Gestalten mit einem den Aegyptern sehr ähnlichen Typus [hier speziell charakterisiert durch einen gewellten steinernen Armring], die man für Bewohner von Punt hält, weil sie mit den Darstellungen der Puntier aus dem Neuen Reich im wesentlichen übereinstimmen. Dieselbe Haar- und Barttracht findet sich bei dem Diener eines Sohns des Cheops (L. D. II 23) Harzesi, der als Neḥesi (s. § 165 a) bezeichnet wird; ihn hat daher ERMAN (Aegypten 670; danach W. M. MÜLLER, Asien und Europa 109f.) als einen aus Punt importierten Diener erkannt, und dem folgt BORCHARDT bei seiner Deutung der Gestalten unter dem Greifen. Aber ganz sicher ist dieselbe nicht; die Gestalten könnten, worauf Herr Dr. MÖLLER mich hinweist, auch Iuntier (Trogodyten) sein. In der Beischrift zum Greifen des Saḥure' steht: »Thout Herr der Iuntiu« und »Sopṭu Herr der Fremdlande, der die Senziu (§ 227 A.) niederschlägt«; und bei einer weiteren Darstellung [BORCHARDT S. 11), wo verschiedene Götter die Gefangenen vorführen (darunter Sêth von Ombos einen dieser sogenannten Puntier und einen Libyer, der »Herr der Fremdlande« (Sopṭu) zwei Semiten], sagt die Beischrift, daß dem König übergeben werden »alle Senziu mit ihren Lebensmitteln« und »alle Fremdländer des Westens und Ostens samt allen Iuntiu und allen Menziu (§ 227), die in jedem Fremdland wohnen«. Eine sichere Beziehung auf die drei abgebildeten Völker ist diesem Text allerdings nicht zu entnehmen, zumal da die Libyer hier nicht genannt werden. Zu beachten ist, daß in der Liste der 9 Bogenvölker (§ 227) die Puntier nicht vorkommen [obwohl die Beziehungen der Aegypter zu ihnen seit der fünften Dynastie urkundlich belegt und jedenfalls schon weit älter sind], wohl aber die Iuntiu, Menziu und Zeḥenu. Da man hier eine Erwähnung Nordnubiens erwarten muß, ist es recht wahrscheinlich, daß es unter dem Namen der Iuntiu mitbegriffen ist; das wird durch den Namen der Festung Uronarti § 287 a bestätigt. – Den Ausführungen NAVILLES, Les Anu, Rec. 32, kann ich fast nirgends zustimmen.

165 a. Das nubische Niltal, das Land Kenset oder toseti (früher Chent gelesen) der Aegypter, bildet die einzige durch ein, wenn auch ganz schmales, kulturfähiges Gebiet führende Verbindung der nordafrikanischen Küstenländer mit dem inneren Afrika. Weiter oben in den weiten Flächen des Sudân, die jenseits der Atbaramündung beginnen und bereits dem Bereich der tropischen Regen angehören, beginnen die Wohnsitze der Negerstämme. Dieselben haben [44] sich durch Nubien bis an und über die Grenze Aegyptens vorgeschoben, sind seit den Zeiten des Alten Reichs in stets wachsender Zahl als gefangene Sklaven, Diener, Soldaten und Polizisten (§§ 254. 274) nach Aegypten gekommen, und haben den aegyptischen Typus stark beeinflußt. Vor allem hat der südlichste Bezirk Aegyptens, das schmale, schon dem nubischen ähnelnde Niltal von der Bergkette von Silsilis bis zum ersten Katarakt, wie gegenwärtig so schon im Altertum eine ganz vorwiegend negroide Bevölkerung gehabt: der Nomarch Pepinacht von Elephantine (unter Pepi II., § 265) ist in seinem Grabe als Neger mit dunkelbrauner Hautfarbe dargestellt. Dies Gebiet, das auch geographisch dem nubischen Niltal gleichartig ist, ist zweifellos ein von den Aegyptern annektiertes und besiedeltes Grenzland, das daher auch denselben Namen To-seti trägt, wie das eigentliche Nubien. – In der ältesten Zeit dagegen haben sich in den zahlreich aufgedeckten Gräbern Unternubiens nach anthropologischen Untersuchungen Neger fast gar nicht gefunden, sondern die Leichen stimmen in ihrer Körperbeschaffenheit völlig mit denen aus dem ältesten Aegypten überein; erst zur Zeit des Alten Reichs (seit etwa Dynastie 3) beginnt die Beimischung von Negerblut, die dann rasch immer stärker anschwillt. Da auch der Inhalt der Gräber mit dem der gleichzeitigen aegyptischen übereinstimmt, nur daß die Kultur natürlich nicht so reich entwickelt ist wie in Aegypten, so scheint es, daß ursprünglich eine physisch und kulturell im wesentlichen homogene Bevölkerung in Aegypten und Unternubien gesessen hat, etwa bis zum zweiten Katarakt hinauf – in Nubien mögen sie Iuntiu geheißen haben – , und daß die Neger hier erst seit dem Anfang des dritten Jahrtausends von Süden aus eingedrungen sind. Dazu stimmt, daß in den Pyramidentexten zwar oft genug von Nubien (Kenset) und seinem Gotte Ṭeṭwen die Rede ist, daß aber die Neger weder hier noch in der Liste der 9 Bogenvölker (§ 227), noch in älteren Darstellungen erscheinen. An Berührungen mit den Negern hat es natürlich auch damals nicht gefehlt, und vereinzelt ist Beimischung[45] von Negerblut auch schon in »praehistorischer« Zeit in Aegypten nachweisbar; aber damals saßen sie noch weitab, und kamen als feindliche Nachbarn noch nicht in Betracht. Vom Beginn des dritten Jahrtausends an ist dann bis auf den heutigen Tag das nubische Niltal, soweit es kulturfähig ist, von Negern bewohnt, während die hamitischen oder Bedjastämme auf dem Wüstenplateau nomadisieren und die Bauern des Kulturlandes mit Plünderungen heimsuchen und gelegentlich auch unterwerfen. Von da an werden sie von den Aegyptern immer von neuem bekriegt. Die Neger heißen bei den Aegyptern Neḥeśiu, und werden mit echtem Negertypus und schwarzer Hautfarbe gebildet (so vor allem LD. III 117); diesen zahlreichen Darstellungen des Neuen Reichs gegenüber ist es um so beachtenswerter, daß sie in älterer Zeit, z.B. in der stereotypen Darstellung des die Feinde zu Boden werfenden Löwengreifs, das den König symbolisiert (vgl. § 165 A.), nicht vorkommen, also doch wohl in der Zeit, in der diese Darstellung zuerst konzipiert wurde, von den Aegyptern noch nicht bekriegt worden sind. Sie zerfallen in zahlreiche kleine Stämme, Uauat, Jerzet u.a.; später, seit dem Mittleren Reich, treten unter ihnen besonders die Kuschiten (Ka'uš, Kôš) auf, deren Name später auf ganz Nubien ausgedehnt ist; die Griechen haben den der Mythologie entstammenden Namen Aethiopen auf sie übertragen. Es sind die Vorfahren der späteren Nubaden, der heutigen Nubier oder Berberiner, die im Niltal von Napata bis an die Grenze Aegyptens und in Kordofan ihre Sprache erhalten, aber sich stark mit hamitischen und semitischen Elementen gemischt und daher zum Teil den reinen Negertypus verloren haben. Im Altertum reichten sie weiter stromaufwärts bis nach Aloa am blauen Nil oberhalb von Khartum. In Nubien sind sie zu Bauern geworden; sie wohnen in armseligen Dörfern auf den Höhen der Uferberge und leben von Ackerbau und Viehzucht; auch ein primitives Handwerk, namentlich die Anfertigung geschmackvoll geflochtener Körbe und Matten, haben sie entwickelt. Aber noch lange haben sie einen kriegerischen Charakter [46] bewahrt, und sind daher von den Aegyptern des Alten und Mittleren Reichs als geworbene oder ausgehobene Soldaten ebensogut verwendet worden wie die Bedja (Maẕoi). Freilich wenn es sein mußte, fügten sie sich den fremden Herrn, und so waren sie zugleich ein brauchbares Sklavenmaterial. Auch sonst hat ihr Land, so dürftig es ist, doch jederzeit zu Invasionen gereizt; die Felle seiner wilden Tiere (Löwen und Leoparden) und das Elfenbein waren ein vielbegehrter Artikel, ferner das von Süden importierte Ebenholz und das in den Bergen des östlichen Sandsteinplateaus vorkommende Gold.


Für die älteste Kultur und Geschichte Unternubiens gibt reiches Material der Archaeological Survey of Nubia, Report for 1907-08 (Cairo 1910), vol. I, Archeol. Report von REISNER; vol. II, Report on the human remains von ELLIOT SMITH und W. JONES. Danach stimmt Unternubien kulturell und anthropologisch in der ältesten Zeit völlig mit Aegypten überein; aber während dieses weiter fortschreitet, bleibt die nubische Kultur zur Zeit des Alten und Mittleren Reichs auf dem alten Standpunkt stehen (mit Sonderentwicklung auf dem Gebiet der Gefäßdekoration), während gleichzeitig das Negerelement immer mehr eindringt. – Überblick der Ergebnisse: ROEDER, Die Geschichte Nubiens und des Sudans, Klio XII. – Über Aegypten sagt E. SMITH l.c. II p. 34, daß unter der »praedynastischen« Bevölkerung, speziell bei den Leichen von Naga ed Dêr (gegenüber von Girgeh) 2% zweifellos negroide Züge zeigen, während weitere Beimischungen von Negerblut unsicher sind; später, von Dynastie 3 an, nehmen sie dann stark zu. – neḥeśiu ist ursprünglich vielleicht eine allgemeine Bezeichnung der Südvölker, da es auch auf die Bewohner von Punt angewendet wird (§ 165 A. und sonst: W. M. MÜLLER, Asien und Europa S. 112); doch ist kaum zu bezweifeln, daß es in den historischen Texten des Alten Reichs schon die Bedeutung »Neger« hat. – Eine Orientierung über die Stämme Nubiens gibt LEPSIUS, Nubische Grammatik, 1880, freilich mit manchen phantastischen Kombinationen über die Ethnographie Afrikas [die Gleichungen Puna (richtig Punti) und Poeni, Kefa (richtig Kefti) und Κηφεύς u.ä. bedürfen jetzt keiner Widerlegung mehr]. LEPSIUS hielt die Kuschiten, welche seit dem achten Jahrhundert das große aethiopische Reich von Napata und Meroe gegründet haben, nicht für Nubier, sondern für Bedja, und glaubte, daß die »meroitischen« Inschriften in Hieroglyphen, Cursive und griechischen Buchstaben mit Hilfe der Bedjasprache zu deuten seien. Seit aber 1906 Handschriften in nubischer Sprache mit christlichen Texten und griechischer Schrift [47] gefunden sind (H. SCHÄFER und K. SCHMIDT, Ber. Berl. Ak. 1906, 774ff; 1907, 602ff.) und H. SCHÄFER gezeigt hat, daß die griechisch geschriebenen Inschriften von Nubien und Aloa in einheimischer Sprache derselben nubischen Sprache angehören, kann kaum noch ein Zweifel sein, daß Nubisch auch die Sprache der Kuschiten und des aethiopischen Reichs gewesen ist, zumal zahlreiche nubische Worte auch in den hieroglyphischen Inschriften der älteren Aethiopenkönige vorkommen. Auch tritt in den Denkmälern dieses Reichs seit Tahraqa der Negertypus immer stärker hervor. Eine sichere Entscheidung der Sprachenfrage ist von der durch GRIFFITH erfolgreich begonnenen Entzifferung der meroitischen Inschriften (in Hieroglyphen und einer eigenen Cursive) zu erwarten. – Über die Bedjastämme (= Maẕoi, Matoi; nach SCHÄFERS Vermutung ist der Name Bedja mit dieser alten Benennung identisch) im Altertum s.H. SCHÄFER, Die aethiopische Königsinschrift des Berliner Museums S. 38. 41ff. 136. – Der Name Kuš (ursprünglich geschrieben K'š und gelegentlich auch K's [§ 287 a.A.], später Kš, in den Amarnatafeln 97, 9. 137, 35 Kaši, hebr. שוכ, bab. Kûšu, assyr. geschrieben Kûsi) ist von SETHE, Urk. des A. R. S. 140 no. 29 fälschlich in eine Inschrift der sechsten Dynastie eingesetzt; es steht vielmehr Kbn (Byblos) da: SETHE, ÄZ. 45, 10. Dadurch, daß die jahwistische Völkertafel Gen. 10, 8 Kuš zum Vater des Nimrod macht und diesen aus Libyen nach Babylonien versetzt (wahrscheinlich um der Kossaeer willen, wie Gen. 2, 13) und der Priesterkodex dem Kuš weiter mehrere arabische Stämme zu Söhnen gibt (im Widerspruch zu Gen. 10, 28. 29. 25, 3), ist der Kuschitenname lange Zeit einer der unheilvollsten der alten Ethnographie geworden, dessen Lockungen kein Dilettant widerstehen konnte; jetzt ist man verständiger geworden. – Bekanntlich haben später die semitischen Bewohner (Ge'ez) des Hochlands von Abessinien, des Reichs von Aksum, die in vorchristlicher Zeit noch nirgends vorkommen und auch den Aegyptern unbekannt geblieben sind, den Namen Aethiopien usurpiert; in diesem Sinne darf er aber in der alten Geschichte niemals verwendet werden.


166. Die nordafrikanischen oder hamitischen Stämme sind nach Ausweis ihrer Sprache den Semiten eng verwandt. So liegt die Vermutung nahe, daß sie vor alters einmal, sei es in einem, sei es in mehreren Zügen, in Afrika eingewandert sind, wie Jahrtausende später die Araber, da die umgekehrte Annahme, daß die Semiten aus Afrika gekommen seien, wenig wahrscheinlich erscheint. Geschichtlich genügt es, die Tatsache festzustellen, daß der gewaltige, von einzelnen kulturfähigen Gebieten durchsetzte Wüstengürtel, der[48] sich vom Atlantischen Ozean bis zum Persischen Meerbusen erstreckt, von nahe verwandten Stämmen bewohnt ist, die sich in einen afrikanischen Zweig, die Hamiten, und einen asiatischen, die Semiten, scheiden. Die geistreiche und scharfsinnig durchgeführte Hypothese ERMANS, die starke und stetig fortschreitende Zersetzung, welche die aegyptische Sprache im Lautbestand und in den grammatischen Bildungen im Vergleich mit dem Semitischen schon in den ältesten Denkmälern zeigt, beruhe auf der Wirkung einer Vermischung mit einer andersartigen Bevölkerung (den Negern), ist kaum noch haltbar. Aber auch wenn sie sich bestätigen sollte, würde es sich um Vorgänge handeln, die weit jenseits der Zeiten liegen, von denen wir geschichtliche Kunde haben: die Annahme, welche bei der ersten Entdeckung der »vorgeschichtlichen« und der ältesten Königsdenkmäler vielfach ausgesprochen wurde, die Aegypter seien erst kurz vor Menes eingewandert und die Begründung des Pharaonenreichs sei die Aufrichtung der Herrschaft asiatischer Eroberer (einer »dynastischen Rasse«) über ein älteres afrikanisches Volk, beruhte auf täuschenden Eindrücken. Die Aegypter haben mindestens mehr als ein Jahrtausend vor Menes schon im Niltal gesessen (wenn auch Nachschübe oder etwa das Eindringen eines neuen, nahe verwandten libyschen Stammes nicht ausgeschlossen ist), ihre Kultur ist hier erwachsen und bodenständig, nicht aus der Fremde importiert, und die Vorstufen ihrer Entwicklung liegen uns eben in diesen »vorhistorischen« und »vordynastischen« Denkmälern vor (§ 169). Geschichtlich erscheinen sie durchaus als ein einheitliches Volk, dessen Typus sich in den Darstellungen der Denkmäler scharf scheidet von dem aller Nachbarn. Die schwarzen Neger Nubiens auf der einen Seite, die gelben Semiten der Sinaihalbinsel und Palaestinas auf der anderen zeigen in den ältesten Abbildungen denselben Typus, den sie bis auf den heutigen Tag bewahrt haben. Die Aegypter dagegen und die Bewohner von Punt werden dunkelrot dargestellt (die Frauen, die meist im Hause leben, hellgelb), mit kräftigen, derben Gesichtszügen und vorspringenden Backenknochen, [49] aber von den Negern gänzlich verschieden, die Bedjastämme dagegen braun (die Frauen gelblich) und den Negern ähnlicher, die Libyer hellfarbig, mit blauen Augen und blondem Haar, ein Typus, der sich bei den Mauren noch jetzt vielfach findet – vielleicht liegt bei ihnen eine Mischung eines hamitisch-semitischen Elements mit einer von Europa (Spanien?) herübergekommenen Urbevölkerung vor. Jedenfalls zeigen diese Unterschiede, wie stark sich die Hamiten differenziert haben und in wie frühe Zeit daher ihre Festsetzung in Afrika hinaufragen muß.


Die Verwandtschaft des Aegyptischen mit dem Semitischen ist schon von BENFEY, BRUGSCH u.a. erkannt, und dann von ERMAN durch Entdeckung der ältesten aegyptischen Verbalformen und zahlreicher Übereinstimmungen im ältesten Wortschatz erwiesen worden; s. seine Aufsätze ZDMG. 46, 92ff. und über die Flexion des aegyptischen Verbums Ber. Berl. Ak. 1900. Einige wenig beweisende lexikalische Übereinstimmungen zwischen Aegyptisch und Nubisch bei SCHACK-SCHACKENBURG, Aegyptol. Studien I 209ff. – Während R. HARTMANN, Z. f. Ethnologie I, die heutigen Aegypter für ein echt afrikanisches Volk erklärte, hat VIRCHOW (Die Mumien der aeg. Könige Ber. Berl. Ak. 1888, u.a.) ihren von den Negern völlig verschiedenen Typus nachgewiesen; und diese Auffassung wird durch die neueren Untersuchungen immer von neuem bestätigt. – Die Aegypter selbst haben sich natürlich als Autochthonen betrachtet, ebenso wie in der Religion ihre Götter im Niltal selbst heimisch sind; ihrer Ableitung aus Aethiopien bei Diod. III 3 liegt außer der Annahme, das untere Niltal sei erst in historischer Zeit angeschwemmt (Herod. II 4), die Tatsache zu Grunde, daß im späteren Aethiopen reich von Napata und Meroe das priesterliche Ideal weit vollständiger durchgeführt war als in Aegypten selbst. – Über die Phantastereien HOMMELS, Geogr. und Gesch. des alten Orients, 2. Aufl. 1904, über den babylonischen Ursprung der aegyptischen Bevölkerung, Sprache, Kultur und Religion ist eine ernsthafte Diskussion nicht möglich. – Im Neuen Reich werden die vier Rassen der Aegypter, Libyer, Semiten und Neger oft dargestellt, so vor allem im Grabe Sethos' I., L. D. III 126.


167. Im Gegensatz zu diesen physischen Unterschieden tritt die Gemeinsamkeit all dieser Volksstämme in Sitten, Tracht und Bewaffnung, die Gleichartigkeit ihrer ältesten Kultur nur um so stärker hervor. Sehr augenfällig ist die Übereinstimmung [50] der Aegypter mit den Libyern, so daß wir wohl annehmen dürfen, daß ihre Vorfahren oder wenigstens das in Aegypten zur Herrschaft gelangte Element ein ursprünglich von seinen westlichen Nachbarn im Wüstenlande kaum verschiedener libyscher Stamm gewesen ist, der in das Niltal eingedrungen ist; andere aegyptische Sitten dagegen kehren nicht nur bei den übrigen Hamiten und bei den Semiten, sondern auch bei den nubischen Negern wieder. Wie sich bei den libyschen Stämmen, bei Trogodyten und Kuschiten das »Mutterrecht« und die lockere Ehe vielfach erhalten hat (§ 10 A.), so hat bei den Aegyptern die Frau eine freie Stellung und eigenes Besitzrecht; die Söhne werden in der Regel nach der Mutter benannt, und noch im vierten Jahrhundert besteht hier neben der patriarchalischen Ehe eine Eheform, bei der die Frau den Gatten nimmt und ihn, gegen Zahlung einer Entschädigung, verstoßen kann. Eben darum ist hier auch die Geschwisterehe ganz gewöhnlich. Bei den Aegyptern der ältesten Zeiten gehen die Männer entweder ganz nackt oder sie werfen sich, wie die Neger, ein Tierfell um die Schultern, das sich später noch als Priestertracht erhalten hat. Die Libyer dagegen tragen einen langen Rock von bunter Wolle, ebenso wie die Semiten; und dieser findet sich vereinzelt auch bei den Aegyptern der ältesten Königszeit. Beim Eintritt der Mannbarkeit wird das Geschlechtsglied der Jünglinge durch Beschneidung geweiht (vgl. § 8), zugleich aber den profanen Blicken durch eine Ledertasche entzogen, die an einer um die Lenden gebundenen Schnur getragen wird. Diese altaegyptische Sitte (die heute noch bei Negerstämmen im westlichen Sudan besteht) hat sich bei den Libyern bis in späte Zeiten erhalten. Neben und an Stelle der Phallustasche tritt dann gegen Ende der »vorhistorischen« Epoche ein auch von den Nubiern getragener Schurz, zunächst aus Schilf (aus dem sich der spätere gestreifte Königsschurz entwickelt hat), dann ein Lendentuch von weißem Linnen. Die Frauen dagegen tragen seit alters ein langes, eng anliegendes Linnengewand. Die libysche Sitte der Tätowierung[51] kommt in Aegypten fast nur in vorhistorischer Zeit vereinzelt vor, und zwar bei Frauenfiguren (Sklavinnen), die dem Toten ins Grab gelegt werden; allgemein ist dagegen bei beiden Geschlechtern die Sitte, den Körper mit Ketten und Ringen und mancherlei Amuletten zu schmücken und mit Farben, Öl und Fett zu beschmieren. Vor allem werden die Augen durch Schminke kräftig und leuchtend hervorgehoben; die Brauen und Lider bestreicht man mit schwarzer Farbe, unter den Augen zieht man einen grünen Strich. Das Haupthaar tragen die Frauen lang, reichlich mit Fett durchtränkt, die Männer bis zur ersten Dynastie (wo die Sitte aufkommt, den Kopf glatt zu rasieren und eine Perücke zu tragen) ziemlich kurz geschoren und zu Locken gebrannt; die Libyer lassen an der Stirn ein Haarbüschel aufrecht stehen und binden das lange Haupthaar meist zu einem Zopf zusammen, an dessen Stelle später eine geflochtene Locke tritt; und diese wird ursprünglich auch bei den Aegyptern gebräuchlich gewesen sein, wo sie später als Tracht der Knaben erscheint. Auch die semitischen Beduinen tragen das Haupthaar gleichartig und halten es durch einen um den Kopf gelegten Strick zusammen. Die Lippen werden bei den Aegyptern, den Libyern und den semitischen Nomaden immer rasiert – wenn auch im Alten Reich gelegentlich der Schnurrbart vorkommt – , der Backen- und Kinnbart meist kurz und spitz zugeschnitten (die seßhaften Semiten dagegen lassen ihn lang herabwallen und haben später auch meist den Schnurrbart stehen lassen), bis er in Aegypten unter der ersten Dynastie mit Ausnahme eines kleinen Zipfels am Kinn abrasiert wird (§ 216); diesen kurzen Spitzbart tragen, nebst reichem Lockenhaar, auch die Bewohner von Punt. Auf dem Haupt tragen die aegyptischen, libyschen und kuschitischen (nubischen) Krieger Straußenfedern Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme [bei den Somali wird für jeden erschlagenen Feind eine Feder ins Haar gesteckt], die später als spezifisches Abzeichen der Libyer gelten, während die Aegypter sie seit dem Mittleren Reich aufgegeben haben. Die Hauptwaffen aller [52] dieser Völker sind ein krummes Wurfholz (Bumerang Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme, Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme, in der Schrift zur Bezeichnung der Fremdvölker, speziell der Semiten, 'Amu, verwendet) und der Bogen mit Rohrpfeilen, in die ein Feuerstein mit scharfer Schneide, seltener mit einer Spitze, eingefügt ist; neben dem einfachen, aus einem biegsamen Zweige bestehenden Bogen, den die Neger auch später tragen, findet sich in Aegypten schon in den ältesten Darstellungen ein künstlicher zusammengesetzter Bogen Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme (piẕet), dessen Herstellung mühselige Arbeit und dessen Bespannung große Kraft und Übung erfordert. Mit dem Zeichen dieses Bogens bezeichnen die Aegypter in der uralten Völkerliste (§ 227) sämtliche ihnen bekannten Völker. Zwei sich kreuzende Pfeile und ein Schild (in späterer Gestalt Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme) bilden das Symbol der großen Kriegsgöttin Neit von Sais im westlichen Delta, der »Pfadöffnerin (upt-uaut)«. Ursprünglich war der Schild lang und schmal, mit zwei Rundungen und einer Einkerbung, wie der mykenische, bestand also wohl aus einer über ein Holzgestell gespannten Rindshaut. Der oberaegyptische Schild dagegen war ein oben abgerundetes Rechteck; mit dem Streitkolben zusammen bildet er das Zeichen für »kämpfen« Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme, mit dem z.B. der Horusname des Menes geschrieben wird7. Dieser Streitkolben, mit schwerem Steinknauf, der den Feinden die Schädel zerschmettert, war eine Hauptwaffe der Truppen, welche das Pharaonenreich begründet haben, und zugleich die eigentliche Königswaffe und das Abzeichen des Kriegsgottes Oberaegyptens, des »Pfadöffners« Upuaut von Siut, der in Wolfsgestalt erscheint. Um sich mit seiner Kraft zu erfüllen, haben die zur Jagd ausziehenden aegyptischen Krieger auf der Darstellung einer uralten Schminktafel sich Wolfsbälge an den Lendenschurz gebunden. Ebenso trägt der König immer einen Tierschwanz, der sich auch bei den libyschen Häuptlingen im Grabtempel des Saḥurê' wiederfindet; und [53] er erscheint in Abbildungen und Beinamen als ein kräftiger Stier oder Löwe, der mit seinen Tatzen die Feinde zu Boden schlägt (daher der Sphinx und der geflügelte Vogelgreif mit Löwenleib als Darstellung des Königs). Daneben ist immer eine mannshohe Lanze mit einer Spitze von Stein oder Knochen (später von Metall) in Gebrauch; vereinzelt kommt auch die Streitaxt mit kupferner Schneide vor.


Über die aegyptische Ehe hat der von SPIEGELBERG, Pap. Libbey (Schriften der wiss. Ges. in Straßburg I, 1907) veröffentlichte Ehekontrakt Aufklärung gebracht; dazu stimmt Diod. I 27 νομοϑετῆσαι τοὺς Αἰγυπτίους παρὰ τὸ κοινὸν ἔϑος τῶν ἀνϑρώπων γαμεῖν ἀδελφάς ... καὶ παρὰ τοῖς ἰδιώταις κυριεύειν τὴν γυναῖκα τὰνδρός, ἐν τῇ τῆς προικὸς συγγραφῇ προσομολογούντων τῶν γαμούντων ἅπαντα πειϑαρχήσειν τῇ γαμουμένῃ. Vgl. auch SPIEGELBERG im Rec. 28, 30f. über den ἄγραφος γάμος. – Über die Darstellungen der Fremdvölker in den Grabtempeln des Alten Reichs s. § 165 A. Älteste Darstellung eines gefangenen Semiten (mit Lendenschurz; die seßhaften Semiten tragen dagegen meist lange Röcke): PETRIE, Royal Tombs I pl. 12 und 37 (Ende der ersten Dynastie); vgl. dazu meine Abhandlung Sumerier und Semiten (Abh. Berl. Ak. 1906) S. 20ff. Gleichartig sind die Darstellungen der Reliefs der Sinaihalbinsel; bei den Semiten im Grabe von Benihassan (LD. II 133. NEWBERRY, Benihassan I pl. 28. 31) ist dagegen das schwarze Haupthaar im Nacken abgeschnitten (wie bei Chammurapi) und bildet einen schopfartigen Wulst; vgl. Herod. III 8. Choerilos bei Jos. c. Ap. I 173. Jerem. 25, 23 = 9, 25. 49, 32. Ähnliche Sitten finden sich bei semitischen Stämmen vielfach; das Rasieren des Schnurrbarts ist noch gegenwärtig in Ḥadramut und bei den Nordabessiniern (Mitteil. von E. LITTMANN) geboten. Ein geflochtener Zopf als Charakteristikum der Sinaibeduinen (Menziu Satet): Pyr. Teti 352. Neferkerê' 174; ähnlich der lange Zopf neben dem Ohr bei den Libyern und die Jugendlocke der Aegypter. – Libyer: BORCHARDT, Grabdenkmal des Neuserre' S. 46. 48. Grabdenkmal des Sahure' I, S. 17 [in meiner Schrift Aegypten zur Zeit der Pyrami denerbauer S. 37 haben die libyschen Häuptlinge auf Grund einer mißverstandenen Photographie fälschlich den Uraeus statt des Haarbüschels an der Stirn erhalten]. Libyer sind auch, wie die Übereinstimmung mit dem Grabe Sethos' I. beweist, die tributbringenden Männer und Gefangenen aus der Zeit des Menes bei PETRIE, Royal Tombs I pl. 4, mit langem buntem Rock, spitzem Kinnbart und Zopf; mithin auch der gleichartige bezopfte Gefangene aus Elfenbein (Möbeldekoration) Hierakonpolis pl. 11, mit Phallustasche, wie bei Neweserrê' und dem bronzenen Libyer aus dem N. R., den BÉNÉDITE, Monum. et [54] mém. de l'acad. des Inscr. IX 1903 veröffentlicht hat; ferner die bezopften Gestalten auf dem Scepterknauf von Hierakonpolis pl. 26 A; vgl. die Zeḥenu bei Narmer ib. pl. 15, 7. – Für die nubischen Neger vor allem LD. III 117, wo der Häuptling aus Me'am = Ibrim stammt. – Die Geschichte der aegyptischen Tracht hat zuerst ERMAN, Aegypten (1888) richtig dargelegt; was er aus dem späteren Kostüm und der Königstracht für die Urzeit erschlossen hat, ist jetzt durch die Funde vollauf bestätigt und ergänzt, vor allem die Schminktafeln und die von NAVILLE, Rec. XXII, pl. 4-6 [= CAPART, Débuts de l'art en Egypte p. 44] veröffentlichten Figuren aus Negade, sowie die Malereien des uralten Grabes Hierakonpolis pl. 75. Die Phallustasche von Leder, sehr anschaulich Hierakonpolis pl. 7. 8. 10. 11 und Rec. XXII pl. 6 und, aus etwas späterer Zeit, bei der kleinen Elfenbeinfigur (mit Mantel?) AYRTON and LOAT, Predynastic Cemetery of el Mahasna pl. XI [NAVILLES Ansicht, sie werde in der Merneptaḥinschrift über den Krieg mit den Seevölkern durch qernet bezeichnet, ist aber nicht haltbar; das ist sicher die Vorhaut], regelmäßig auch bei den Libyern, hat v. LUSCHAN, Globus 79, 1901, 197ff. richtig erklärt und speziell bei den Moba im nördlichen Togo nachgewiesen. Später trägt sie noch der Nilgott am Throne des Neweserrê' (BORCHARDT, Grabdenkmäler Bl. 16 S. 89) und noch im N. R. der Erdgott Geb. Die Gürtelschnur, an der sie hängt, ist der mẕḥ, mit dessen Anlegung die Laufbahn des jungen Mannes beginnt (Inschrift des Una Zl. 2, dazu ERMAN ÄZ. 20, 2). Diese Umgürtung fällt also mit der Beschneidung zusammen, die im vierzehnten Jahr stattfand (und auch bei Mädchen vorkam): s. GUNKEL u. WENDLAND im Archiv für Papyrusforschung II 13ff., die REITZENSTEINS Meinung (Zwei religionsgeschichtl. Fragen, 1901), sie sei auf die Priester beschränkt gewesen, widerlegt haben. [In der Spätzeit werden die Knaben schon sehr früh (mit 2 und 5 Jahren) beschnitten: Archiv f. Papyrusforsch. V 435.] Schon die beiden nackten Krieger, die der Stier auf der Schminktafel BCH. XVI pl. I (STEINDORFF in den Aegyptiaca S. 129. CAPART p. 234f.) niederwirft, sind beschnitten. Das Schamgefühl ist nicht die Ursache dieser Verhüllung des Phallus, wie die Behandlung der Geschlechtsteile in der alten Kunst deutlich zeigt. – Über die Entwicklung des Schurzes und des Lendentuchs s. ERMAN, Aegypten S. 282ff.; die älteste Form zeigen die Krieger der Schminktafel des Louvre (s.u.) und Hierakonpolis pl. 15. – In Dynastie 1 und 2 trägt der König häufig einen Rock (ähnlich der Mann, der einen Gefangenen führt, auf der Schminktafel CAPART p. 232) und beim Seṭfest ein ganz seltsames Wams. – Tätowierung findet sich nur bei den Frauenpuppen Naqadah und Ballas pl. 59 (später ganz vereinzelt, z.B. bei einer Sängerin des Amon ERMAN, Aeg. 298. 316 und bei der Mumie einer Ḥatḥôrpriesterin aus dem Mittleren Reich in Kairo [Mitteilung Dr. MÖLLERS]). – Die alte [55] Haar- und Barttracht hat sich bei den im A. R. oft als Hirten und Vogelsteller abgebildeten Bauern secheti [nicht »Sumpfbewohner«] ERMAN S. 60. 583 erhalten, ferner, wie H. SCHÄFER erkannt hat, bei dem Gott Sopṭu im Sonnentempel des Neweserrê' und bei den Nilgöttern des M. R. aus Tanis (PERROT und CHIPIEZ, Kunst im Altertum I 621). – Für die ältesten aegyptischen Krieger [in deren Hieroglyphenzeichen W. M. MÜLLER, Asien und Europa S. 2 und PETRIE, Medum p. 29 irrtümlich libysche Söldner sahen] vgl. vor allem die schon erwähnte Schiefertafel des Louvre (teilweise in London): STEINDORFF in den Aegyptiaca 126, vollständiger CAPART pl. I zu p. 222. LEGGE, PSBA. XXII pl. 2 (einer der Krieger trägt neben dem Bogen eine Doppelaxt oder vielleicht eher einen Steinhammer); ferner den Cylinder von Hierakonpolis pl. 15; und mehrere Denkmäler der ersten Dynastie; für den Bogen außerdem die Vase des »Skorpions« (§ 207) Hierakonpolis pl. 19. – Über die verschiedenen Arten der antiken Bogen ist grundlegend v. LUSCHAN in der Festschrift für Benndorf S. 189ff. (besonders S. 194 A.). Das Zeichen Die Aegypter und ihre Nachbarn. Die nordafrikanischen Volksstämme für To-seti (Nubien) ist schwerlich ein Bogen (M. BURCHARDT). Das Spannen des zusammengesetzten Bogens ist sehr anschaulich in einem Bilde in Benihassan dargestellt: MORTET in Bull. de l'inst. franç. d'archéol. orient. IX, 1911, pl. III. – Älteste Form des Zeichens der Neit (vgl. NEWBERRY, PSBA. 28, 68ff., dessen weitgehenden Folgerungen ich aber nicht zustimmen kann; vgl. § 199): Stele der Meritneit PETRIE, Royal Tombs I front., und Tafel des Menes ib. II 10. – Über Upuaut (bei Diod. I 18 Μακεδών) s. meinen Aufsatz ÄZ. 41, 97ff. (dazu über Darstellungen römischer Zeit v. BISSING, Rec. XXVII 249f.). – Über die Einfettung der Haare SCHWEINFURTH in Ann. du serv. VIII 184ff.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 40-56.
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