Der gemeinsame Plan zur Verschwörung

und der Angriffskrieg.

[206] Nunmehr wendet sich der Gerichtshof der Betrachtung der in der Anklageschrift erwähnten Verbrechen gegen den Frieden zu. Punkt 1 der Anklageschrift beschuldigt die Angeklagten der Teilnahme an einer Verschwörung oder einem gemeinsamen Plan für das Begehen von Verbrechen gegen den Frieden. Punkt 2 der Anklageschrift beschuldigt die Angeklagten, bestimmte Verbrechen gegen den Frieden begangen zu haben, und zwar durch Planung, Vorbereitung, [206] Entfesselung und Durchführung von Angriffskriegen gegen eine Anzahl anderer Staaten. Es erscheint zweckmäßig, die Frage des Bestehens eines gemeinsamen Planes und die Frage des Angriffskrieges gleichzeitig zu untersuchen, die Frage der Einzelverantwortlichkeit der Angeklagten aber in einem späteren Teil dieses Urteils zu behandeln.

Die Behauptungen der Anklageschrift, daß die Angeklagten Angriffskriege geplant und geführt hätten, sind Anschuldigungen äußerster Schwere. Der Krieg ist seinem Wesen nach ein Übel. Seine Auswirkungen sind nicht allein auf die kriegführenden Staaten beschränkt, sondern treffen die ganze Welt.

Die Entfesselung eines Angriffskrieges ist daher nicht bloß ein internationales Verbrechen; es ist das schwerste internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, daß es in sich alle Schrecken der anderen Verbrechen einschließt und anhäuft.

Die ersten in der Anklageschrift erwähnten Angriffshandlungen bestehen in der Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei; und der erste Angriffskrieg, der unter Anklage gestellt ist, ist der am 1. September 1939 begonnene Krieg gegen Polen. Vor Prüfung dieses Anklagepunktes ist es notwendig, einige der Ereignisse, die vor diesen Angriffshandlungen lagen, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Der Krieg gegen Polen kam nicht plötzlich aus heiterem Himmel; das Beweismaterial hat klar ergeben, daß dieser Angriffskrieg wie auch die Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei wohl überlegt und eingehend vorbereitet war und er wurde erst begonnen, nachdem der geeignete Zeitpunkt gekommen schien, in dem er als bestimmter Teil eines im voraus festgelegten Plans ausgeführt werden konnte. Denn die Angriffspläne der Nazi-Regierung waren keine Zufälle, die sich aus der politischen Lage des Augenblicks in Europa und der Welt ergaben, sie waren ein wohlüberlegter und wesentlicher Teil der Außenpolitik der Nazis.

Die nationalsozialistische Bewegung behauptete von Anfang an, ihr Ziel sei die Einigung des deutschen Volkes im Bewußtsein seiner Mission und seiner Bestimmung, gegründet auf die angeborenen Eigenschaften der Rasse und sei durchzusetzen unter Leitung des Führers.

Zwei Dinge wurden für die Erreichung dieses Zieles als wesentlich betrachtet: Die Zerstörung der europäischen Ordnung, wie sie seit dem Versailler Vertrag bestanden hatte, und die Schaffung eines Großdeutschen Reiches über die Grenzen von 1914 hinaus. Dieses schloß notwendigerweise die Besitzergreifung fremden Staatsgebietes ein.

Wenn dies erreicht werden sollte, so mußte ein Krieg als unvermeidlich, zumindest aber als höchstwahrscheinlich betrachtet werden. [207] Daher sollte das deutsche Volk mit allen seinen ihm innewohnenden Hilfsmitteln als eine große politisch-militärische Armee organisiert und dazu geschult werden, jeder vom Staate angeordneten Politik widerspruchslos zu folgen.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 206-208.
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