Dichter

Fig. 45. Dichter am Pult. Poeta laureatus.
Fig. 45. Dichter am Pult. Poeta laureatus.
Fig. 46. Dichter als Apollo unter den Musen.
Fig. 46. Dichter als Apollo unter den Musen.

[116] Dichter. Einen Stand der Dichter oder Sänger hat es bei den Deutschen nie gegeben; den Mann, der vorzüglich mit der Kunst begabt war und deshalb Dichten und Singen wie einen Beruf ausübte, hiess man scof, d.i. den Schaffenden wie griech. ποιητής von ποιεῖν, schaffen, oder in Bezug auf den Vortrag den Sänger. Das erstere Wort teilt das Schicksal des alten allitterierenden Epos, erhält sich aber vereinzelt in Glossen und Kompositionen noch bis ins 13. Jahrhundert: salmscoph = psalmista, leodscaffo = carminum conditor, scofleod und winileod, scopfsang, das schof = Erdichtung; schophlîch, dichterisch, erdichtet; schopf-buoch = Gedichtbuch; schophen = dichten. Der andere Name Sänger erhält sich bis zu den Minnesingern und Meistersingern, die auch Dichter sind. Die höfische Dichtkunst ermangelt eines gleichmässig verbreiteten Namens für den allgemeinen Begriff des[116] Dichters; ihre Thätigkeit heisst singen oder singen und sagen, letztere zwei ursprünglich der Name für das Dichten überhaupt nach Form (singen) und Inhalt (sagen), später der Ausdruck für die beiden auseinander gegangenen Formen der Epik und Lyrik. Die Lyriker heissen dann senger oder singaere, die Epiker tihtaere, von tihten, aus lat. dictare = zum Nachschreiben vorsagen, niederschreiben lassen, vorsagend anfertigen; denn der epische Dichter des Mittelalters konnte gemeiniglich nicht schreiben, er diktierte; mit der Zeit gingen beide Wörter, tihten und tihtaere in die edlere Bedeutung des Ersinnens, Anordnens, Erdenkens, Nachdenkens, Sinnens und künstlerischen Schaffens über; doch wiegt das Verb noch vor, tihtaere ist seltener, und noch bis ins 16. Jahrh. behält es zugleich die alte Bedeutung des Verfassers einer nichtpoetischen Schrift bei. Neben diesem Wort erscheint oft meister, d.i. derjenige der es versteht, seis als Gegensatz zu dem, der es nicht versteht, seis als Ehrenname des Dichters aus bürgerlichem Stande, z.B. meister Gottfried von Strassburg, gegenüber dem adligen Dichter,[117] dessen Titel herr ist. Erst die Renaissance hat den Namen Dichter als gleichbedeutend mit poeta allgemein gemacht; doch nennen Opitz, Schottel u.a. den Dichter noch regelmässig Poet, seine Kunst Dichtkunst oder Poeterei. Das Mittelalter pflegte den Dichter stets am Pulte sitzend und schreibend abzumalen, siehe Fig. 45, welches den Poeta Laureatus aus der Horazausgabe des Jacobus Locher Philomsus, Strassburg 1498 (Ex. im Besitz der St. Galler Stiftsbibliothek) darstellt; die erste freiere Darstellung des Dichters, die man kennt, findet sich in desselben Lochers berühmter Streitschrift Comparatio Mulae et Musae, Nürnberg 1506; Der Dichter ist als junger Mann in der Person des Apollo dargestellt, mit lockigem Haar, die Harfe im Arm, sitzend auf einer beblümten Wiese unter den neun Musen. Fig. 46. Über Poetenkrönung siehe den Art. Humanismus.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 116-118.
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