Priester

[811] Priester als eigentlichen Stand kannten die Germanen nicht; für sein Haus besorgte der Hausvater die gottesdienstlichen Handlungen, Opfer und Gebete selbst; für die Gemeinde that es der Fürst, princeps. Immerhin erwähnen römische Schriftsteller (u.a. Tacitus Germ. 7. 10. 11. 40. 43.) eines Priesters bei den Germanen, als beteiligt bei der Losung in öffentlichen Angelegenheiten, als Leiter der Strafe oder des Sühnopfers; man erklärt das entweder daraus, dass hier immer von Fürsten im priesterlichen Amte die Rede sei, oder dass es bestimmte Familien gegeben habe, denen das Recht des Priestertums zustand. Ausser der Handhabung der Opfer-Gebete hatten sie namentlich den Willen der Götter vor allen wichtigen Handlungen zu erkundigen, was durch Beobachtung des Vogelflugs, der Begegnung verschiedener Tiere, des Wasserstrudels der Flüsse, des Wieherns heiliger Schimmel, durch den Zweikampf eines Gefangenen mit einem Krieger des eigenen Volkes und endlich durch die Weissagungen aus Los und Runen geschah. Alte deutsche Namen für Priester sind got. gudja, noch im oberdeutschen Götti und Gotte = Pate und Patin, erhalten;[811] ahd. éwart = Gesetzbeobachter; harugari und paruwari von harug und paro = Tempel. Auch Priesterinnen kann es demnach nicht gegeben haben, und wenn alte Nachrichten von germanischen Frauen berichten, die als Deuterinnen und Verkünderinnen des göttlichen Willens galten, so beruht das immer nur auf der besonderen persönlichen Hochachtung und Verehrung, die man einzelnen Frauen zollte.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 811-812.
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