Ehelosigkeit

[505] Ehelosigkeit, Cölibat, ist entweder ein durch die Verhältnisse aufgelegter Zwang und hat zunächst keine sittliche Bedeutung, oder sie ist ein freiwilliger, gewählter Zustand. Die Gründe, welche einen Mens chen bestimmen, den Ehestand zu meiden, sind sehr verschieden: 1) Angeborner oder später ausgebildeter Widerwille gegen das andere Geschlecht; 2) Widerwille gegen das eheliche Band als einer Beschränkung des sinnlichen Liebesgenusses, indem die Ehe »die Freiheit«, sich auf diesem Gebiete nach Abwechslung umzusehen, auch für den Wüstling aufhebt oder wenigstens mindert; 3) Scheu vor der Geduld, Mühe, Sorge [505] u.s.w., welche das eheliche Leben in der Regel immer auflegt; 4) der Cölibatär bringt seine Neigung zum ehelichen Leben seiner Liebe zu seinen Verwandten, oder Mitbürgern oder Mitmenschen zum Opfer, indem er sich so im Stande glaubt, mehr Gutes zu thun; 5) das Cölibat wird erwählt als Mittel zur christlichen Vollkommenheit (Matth. 19, 11, 12.), um den Willen ganz frei für die Richtung auf Gott zu machen (Virginität, Jungfräulichkeit, im Kloster od. außerhalb dieses Institutes); 6) der Cölibat der kathol. Geistlichen hat seinen innersten Grund in der Virginität der Kirche selbst, in ihrem Gegensatze zu Fleisch und Blut; ferner in dem unter 5 angegebenen Grunde, zuletzt darin, daß die Freiheit der Kirche von unverheiratheten Geistlichen sicherer vertheidigt wird. Es ist falsch, wenn man Gregor VII. die Einführung des Cölibats zuschreibt; in den ersten Zeiten der Kirche heirathete kein Priester nach empfangener Weihe, wohl aber wurden unter Umständen Verheirathete zu Priestern geweiht. Die Concilien von Elvira im Jahr 305, von Neocäsarea u. Ancyra im Jahr 314 machten den Cölibat zur Pflicht für die Priester, durch das von Nicäa 325 wurde das Gebot nicht aufgehoben, sondern dahin bestimmt, daß wohl der Diacon, nicht aber der Priester heirathen durfte. Im Abendlande wurde das kirchliche Gebot strenger aufrecht erhalten als im Morgenlande; erst die nach Karl d. Gr. einbrechende Verwilderung störte auch die kirchliche Ordnung, daher das Concil von Pavia im Jahr 1012, das zu Rom 1063 und die Päpste jener Zeiten das Gebot des Cölibats wieder einschärften, Gregor VII. aber vermochte dasselbe durchzuführen. – In der griech. Kirche ist dem Diacon die Heirath erlaubt, wird er aber als Priester Wittwer, so ist ihm eine neue Heirath verboten; die Bischöfe müssen jedenfalls unverheirathet sein.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 505-506.
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