Sein

[177] Sein, lat. esse, das Vorhandensein schlechtweg, dann der Gegensatz zum Werden, insofern dieses noch zu keinem bestimmt beschaffenen u. beharrlichen Zustand gelangt ist. Näher läßt sich unterscheiden ideales, logisches, abstractes od. reines S. als das blos gedachte S. oder als das, was übrig bleibt, wenn ich nicht nur von allen Eigenschaften eines Dinges, sondern von allen Dingen überhaupt abstrahire; dies ist die inhaltleere Voraussetzung alles Seienden, insofern aber = Nichts; ferner das reale, metaphysische, empirische od. bestimmte S., das S. außer dem bloßen Gedanken, die Wirklichkeit oder das Dasein, wobei man wiederum von sinnlichem u. räumlich-zeitlichem S. u.s.f. reden kann im Gegensatz zum übersinnlichen, raum- u. zeitfreien S., je nachdem man sich ein in der Sinnenwelt und in Raum und Zeit vorhandenes S. oder das Gegentheil vorstellt. Die Art u. Weise, wie die Philosophen seit Xenophanes Zeiten mit dem Begriffe des S.s umsprangen, hat schon manchem den Kopf schwindlig gemacht; wir begnügen uns schließlich zu erwähnen: 1) der Begriff S. gehört wie z.B. alles, nichts, etwas u. dgl. zu den sog. einfachen Begriffen, an welchen keine Merkmale erkennbar sind, die sich deßhalb weder genau definiren noch sonst befriedigend erörtern lassen. 2) Wird von Gott als dem absoluten S. geredet, so hat dies nur einen vernünftigen Sinn, wenn man darunter versteht: Gott ist ewig u. unendlich vollkommen, eine Wahrheit, die als Gegenstand des Glaubens weiter weder eines Beweises fähig ist noch eines solchen bedarf und wobei alles darauf ankommt, wie man sich Gott und die göttlichen Eigenschaften näher denkt. Vgl. Ontologie.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 177.
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