Cynismus

[130] Cynismus (gr. kynismos v. kyôn = Hund) bedeutet eine Auffassung und Führung des Lebens, welche alles, was über den Standpunkt des Bedürfnisses hinausgeht, verachtet. Bequemlichkeit, Luxus, vor allem Anstand, Sitte, Kunst, Wissenschaft und Bildung sind in den Augen eines cynischen Menschen nichts; ja er gefällt sich darin, sie geflissentlich zu verhöhnen. Der Name Cyniker (Kyniker) stammt daher, daß Antisthenes (geb. 444 v. Chr.), der Schüler des Sokrates, das Haupt der Kyniker, ca. 380 seine Schule im Kynosarges, dem Gymnasium für Nichtvollathener, eröffnete, hat aber auch eine besondere Färbung dadurch erlangt, daß man Diogenes v. Sinope (404-323), den Schüler des Antisthenes wegen seiner Gesinnung kyôn (Hund) nannte. Außer diesen beiden gehört der cynischen Schule noch Krates von Theben, dessen Gattin Hipparchia und deren Bruder Metrokles an. Antisthenes war Schüler des Sophisten Gorgias und im höheren Alter Schüler des Sokrates. Er lehrte, daß die Tugend das einzige Gut sei, daß die Lust verderblich wirke, und verlegte die Tugend in die Selbstbeherrschung und Bedürfnislosigkeit. So forderte er Rückkehr zur Einfachheit des Naturzustandes. Diogenes von Sinope übertrieb die Grundsätze seines Lehrers und verwarf mit den Unsitten seiner Zeit auch ihre Sitte und Bildung; so wurde er zu einem selbstgefälligen Sonderling, der sich der[130] Richtung seiner Zeit entgegenstellte, den jedoch der Spott seiner Zeitgenossen nicht abhielt, nach seiner Weise naturgemäß, aber einflußlos zu leben. – Der bessere Kern der cynischen Lehre ist später in die Philosophie der Stoiker übergegangen; doch entwickelte sich daneben aus dem Cynismus ein hochmütiges und schamloses Bettlertum, an dem der Name der Cyniker haftete. Einen solchen Vertreter des Cynismus in seiner Zeit verspottet z.B. Lukianos in seinem Peregrinus Proteus.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 130-131.
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