Empfindung

[172] Empfindung (von ahd. intfindan) heißt das durch einen Nervenreiz veranlaßte objektive Element der Bewußtseinsinhalte. Die Empfindung, die erfahrungsmäßig durch die Einwirkung eines Äußeren auf das Innere, oder durch die Aufnahme eines Sinneseindruckes in die Seele entsteht, ist ein durch ein körperliches Organ vermittelter objektiver Grundbestandteil der Bewußtseinsinhalte, im Gegensatz zu dem auf dieselbe Weise veranlaßten subjektiven Gefühlszustand der Lust und Unlust. Zustande kommt die Empfindung dadurch, daß ein äußerer Reiz eine Nervenfaser erregt und diese Erregung ins Gehirn fortgepflanzt wird, wo sie sich in einen psychischen Inhalt umsetzt. Man hat physikalische und physiologische Empfindungsreize zu unterscheiden, je nachdem sie in der Außenwelt oder in unseren Organen entspringen. Die physiologischen zerfallen wieder in zentrale und peripherische; jene bestehen aus Vorgängen im Gehirn, diese aus solchen in den Körperorganen. Alkmaion von Kroton (5. Jahrh.) meinte, es drängen gewisse Ausflüsse von Dingen durch Poren in die Augen, Ohren usw.; ähnlich lehrten Empedokles (484-424), Demokritos (460-320) und Anaxagoras (500-428); aber schon Aristoteles (384-322 v. Chr.) erkannte, daß nicht die Materie des Objekts in die Seele kommt, sondern nur dessen Form. Die Scholastik lehrte wieder einen physischen Einfluß (influxus physicus) der Dinge in die Seele. Descartes (1596-1650) denkt sich, daß der Reiz vom Organ durch die Nerven sich zum Gehirn fortpflanze und dort die vom Herzen aufsteigenden Lebensgeister bewege. Leibniz (1646-1716) betont die Selbsttätigkeit der Seele und läßt die Empfindung aus dunklen Perzeptionen entstehn. Kant (1724-1804) leitet die Empfindung aus der passiven Sinnlichkeit ab, welche das empirische Material hergebe, während es erst durch die apriorische Kraft des Subjektes geformt werde. Neuere Psychologen,[172] wie Wundt, Lange und Spencer, fassen die Empfindung als subjektiv-innerliche Erscheinungsweise der objektiven Molekularbewegung in der Nervenfaser. – Die Empfindungen sind nach Inhalt (Qualität) und Stärke (Intensität) verschieden. Ferner unterscheidet man sensitive und sensorielle Empfindung; jene wird durch die Empfindungsnerven, die im Rückenmark endigen, vermittelt, diese durch die im Gehirn endigenden Sinnesnerven. Jene bringt uns den Zustand unseres eigenen Leibes, diese die Außenwelt zum Bewußtsein. Vgl. G. A. Spieß, Physiol. d. Nervensystems. Braunsch. 1844. Tourtual, Die Sinne des Menschen. 1837. W. Wundt, Grundzüge d. physiolog. Psychol., 3. Aufl. Leipzig 1887.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 172-173.
Lizenz:
Faksimiles:
172 | 173
Kategorien: