Fernrohr [1]

[704] Fernrohr (Teleskop), hat zunächst die Aufgabe, die von fernen Gegenständen kommenden Lichtstrahlen so abzulenken, daß in der Entfernung des deutlichen Sehens, der Sehweite, dem Auge Bilder der Gegenstände erzeugt werden. Diese Aufgabe wäre erfüllbar sowohl durch Erzeugung reeller Bilder mittels Konkavspiegels oder mittels Sammellinse (s. Linse und Spiegel) als auch durch Erzeugung scheinbarer Bilder mittels Konvexspiegels oder mittels Zerstreuungslinse. Das Fernrohr hat aber die zweite Aufgabe, solche Bilder dem Auge unter größerem Sehwinkel zu zeigen, als ihm die Gegenstände unmittelbar erscheinen. Diese Aufgabe erfüllen die letzteren Apparate nicht; sie erzeugen im Gegenteil von fernen Gegenständen scheinbare Bilder, die unter kleinerem Sehwinkel erscheinen; die ersteren beiden Apparate, Konvexlinse oder Konkavspiegel, erfüllen diese Aufgabe, falls ihre Brennweiten größer sind als die Sehweite des Auges. Die Fernrohre sind daher entweder Refraktoren, dioptrische Fernrohre, mit Sammellinsen, oder Reflektoren, katoptrische Fernrohre, Spiegelteleskope, mit Konkavspiegeln. Aber auch so wäre zur Erzeugung stärkerer Vergrößerungen eine sehr bedeutende Rohrlänge erforderlich. Die zur nfachen Vergrößerung nötige Rohrlänge würde den (n+ 1) fachen Betrag der Sehweite haben, also für 100fache Vergrößerung schon gegen 30 m betragen. Man fügt daher im Fernrohr zum Objektiv, welches das reelle Bild des Gegenstandes erzeugt, noch als zweiten Hauptteil das Okular hinzu, das die Aufgabe hat, von dem durch das Objektiv entworfenen Bilde ein vergrößertes scheinbares Bild zu entwerfen, wodurch eine erhebliche Reduktion der Rohrlänge erreicht wird unter Erhaltung eines größeren Sehfeldes. Je nachdem das Okular eine Sammellinse bezw. ein Linsensystem von der Wirkung einer Sammellinse oder eine Zerstreuungslinse ist, unterscheidet man zweierlei Refraktoren: das astronomische oder Keplersche und das holländische oder Galiläische Fernrohr.

Fig. 1 zeigt die Wirkungsweise des astronomischen Fernrohrs. Das Okular A entwirft[704] von einem weit entfernten Gegenstande – wir denken uns links von A in großer Entfernung einen aufrecht stehenden Pfeil – ein verkleinertes Bild außerhalb seines Brennpunktes, bei sehr großer Entfernung des Gegenstandes fällt dieser Brennpunkt F in das reelle Bildchen P Q selbst hinein. Fig. 1 zeigt den Verlauf der sogenannten Hauptstrahlen, d.h. der durch den Mittelpunkt des Objektivs gehenden Strahlen ohne Ablenkung, soweit sie die Höhe von Gegenstand und Bild begrenzen. Das Okular B, das zwischen das Auge und dieses Bildchen eingeschaltet ist, erzeugt als Lupe (s.d.) von dem reellen Bildchen ein vergrößertes scheinbares Bild P' Q' in der Entfernung des deutlichen Sehens vom Auge. Da der durch eine Lupe betrachtete Gegenstand P Q sich nahe dem Brennpunkt der Lupe innerhalb Brennweite derselben befinden muß, so fallen die Brennpunkte von Okular und Objektiv annähernd im selben Punkte F zusammen, in dessen nächster Nähe das reelle Bildchen entsteht. Denkt man sich das Auge am Orte A, so erkennt man, daß der in der Figur mit bezeichnete Winkel derjenige Sehwinkel ist, unter dem das Auge den Gegenstand selbst sehen kann, der Winkel ß aber derjenige, unter welchem es das Fernrohrbild P' Q' sieht. Der Bruch β/α mißt also die Vergrößerung. Ist f die Brennweite des Objektivs, f' diejenige des Okulars und P Q = 2h, so ist tang α/2 = h/f und tang β/2 = h/f' und daher, da α und ß kleine Winkel sind, ist die Vergrößerung β/α = f/f' also gleich dem Verhältnis der Brennweiten von Objektiv und Okular. Die Verbindungslinie der Mittelpunkte von Objektiv und Okular, die den Punkt F enthält, heißt die Fernrohrachse. Am Orte des reellen Bildes PQ lassen sich im Rohr zwei zueinander senkrechte seine Spinnwebfäden anbringen, das Fadenkreuz (s.d.). Bei astronomischen Beobachtungen ist dasselbe genau in Brennweite des Objektivs. Die das Fadenkreuz tragende Blende kann mittels dreier Schräubchen so eingestellt werden, daß der Schnittpunkt der Fäden genau in die Fernrohrachse fällt, was man daran erkennt, daß beim Drehen des Rohrs auf seinem Lager der Punkt des Bildes, der durch den Schnittpunkt der Fäden gedeckt wird, derselbe bleibt, daß der Fadenschnittpunkt kein Kreischen im Sehfelde beschreibt. Zeigt das Fadenkreuz eine Parallaxe, d.h. ändert es mit der Stellung des Auges vor dem Okular seinen Ort im Gesichtsfeld, so fällt es nicht mit dem Bilde PQ zusammen, es ist der Rohrachse entlang zu verschieben. Derjenige Winkel, der durch die von der Objektivmitte nach dem Okularrand gezogenen Strahlen gebildet wird, mißt das Gesichtsfeld (Sehfeld) des Fernrohrs. Denkt man sich ein Bündel achsenparalleler Strahlen in das Objektiv eintretend, so wird dasselbe ganz nach F gebrochen und dann ebenfalls annähernd achsenparallel durch das Okular wieder austreten. Das Strahlenbündel hat dann beim Austritt einen im Verhältnis f : f' kleineren Durchmesser, müßte also, wenn kein Licht durch Reflexionen verloren ginge, (f/f')2 mal mehr Licht pro Querschnittseinheit liefern. Im selben Verhältnis aber wird das auf der Netzhaut des Auges entworfene Bild vergrößert, also die Helligkeit des Bildes durch die Vergrößerung vermindert, so daß das Bild dieselbe Helligkeit wie der Gegenstand direkt gesehen zeigen muß, abgesehen von den Verlusten durch Reflexion bei den Uebergängen von Glas in Luft und umgekehrt. Dieser Verlust beträgt z.B. bei einem achromatischen Objektiv etwa 1/4 der ganzen Helligkeit und ist um so größer, aus je mehr einzelnen Linsen sich das Fernrohr zusammensetzt. Dieses Gesetz der Helligkeit gilt, solange das aus dem Okular austretende Strahlenbündel einen genügenden Querschnitt hat. Ist aber die Oeffnung des Objektivs, d.h. dessen Durchmesser, zu klein, bezw. wird ein sehr stark vergrößerndes Okular angewendet, so wird der Querschnitt des aus dem Okular austretenden achsenparallelen Bündels kleiner als derjenige der Pupille des Auges, die Helligkeit des Bildes zeigt sich entsprechend vermindert. Das von Alvan Clark gefertigte Objektiv des großen Refraktors des Lick-Observatoriums in Kalifornien liefert Bilder, die bis 4000fache Vergrößerung gestatten. In betreff der achromatischen Okulare vgl. Achromasie.

Das Galileische oder holländische Fernrohr wurde schon vor dem 1611 von Kepler erdachten astronomischen erfunden, vielleicht 1608 von Lipershey, vielleicht schon früher von Zacharias Jansen, vgl. darüber [1]; es besitzt als Okular eine Zerstreuungslinse B (Fig. 2), die zwischen das Objektiv A und den Ort des reellen Bildes P Q eingeschaltet ist, derart, daß dieses Bild nicht zustande kommt, statt dessen das aufrechte scheinbare Bild P' Q' erzeugt wird in Sehweite des Auges. Der Zerstreuungsmittelpunkt des Okulars muß wenig innerhalb des Ortes von P Q liegen, fällt daher annähernd mit dem Brennpunkt F des Objektivs zusammen. Die Vergrößerung ist wieder gleich β/α = f/f' die Rohrlänge aber nicht mehr wie beim astronomischen Fernrohr gleich f + f', sondern gleich f – f'. Den beiden Vorteilen der aufrechten Bilder und der Kürze des Rohrs, die diesem Fernrohr gegenüber dem astronomischen zukommen, steht der Nachteil entgegen, daß es keinen Ort für Anbringung eines Fadenkreuzes bietet, also keine Möglichkeit, die Fernrohrachse als genaue Sehrichtung zu benutzen; es ist für Zwecke exakter Richtungs- und Winkelbestimmung unbrauchbar und wird hauptsächlich als Theaterperspektiv verwendet und als Feldstecher für Touristen. Die Vorteile des Fadenkreuzes und der aufrechten Bilder vereinigt das terrestrische Fernrohr, aber auf Kosten der Rohrkürze und[705] der Helligkeit, indem es zwischen Okular und reelles Bild eine Umkehrungslinse einschaltet, durch die ein zweites, jetzt aufrechtes reelles Bild erzeugt wird. Die Rohrlänge wächst um mindestens den vierfachen Betrag der Brennweite der Umkehrungslinse.

Dieselben Vorteile vereinigt auch das Fernrohr von Porro, das Reiterfernrohr von Hofmann, das Relieffernrohr von Zeiß, aber unter erheblicher Verkürzung der Rohrlänge, durch Anwendung von Reflexionsprismen (s. Licht, Brechung), deren eines die Umkehrung von links nach rechts, das andre die von oben nach unten bewirkt, wobei das Rohr zwischen den Reflexionsprismen dreimal von den Strahlen durchlaufen wird. Auch hier ist die Helligkeit beeinträchtigt teils durch die größere Zahl von Reflexionen, teils durch die Beengung des Objektivs bei der konstruktiven Anordnung der einzelnen Bestandteile. – In dem Zeißschen Relieffernrohr, einem Doppelfernrohr für beide Augen, ist von den Reflexionsprismen ein weiterer Gebrauch gemacht, es bewirkt eine Vergrößerung der Sehbasis auf den mehrfachen Betrag der Augendistanz zur besseren Erkennbarkeit der Tiefendimensionen der Gegenstände.

Für die Reflektoren besteht eine Schwierigkeit der Konstruktion in dem Umstande, daß das von dem Konkavspiegel entworfene Bild zwischen Spiegel und Gegenstand fällt. Um dasselbe direkt zu sehen, müßte auch das Auge mit dem Kopfe zwischen Gegenstand und Spiegel gebracht werden, wodurch mit Ausnahme sehr großer Spiegel die Bilderzeugung verhindert würde. Newton Hellte daher in die Rohrachse einen kleinen Spiegel unter 45° und bewirkte dadurch die Verlegung des reellen Bildes nach der Seite, wo es durch das Okular in zur Spiegelachse senkrechter Richtung betrachtet wird. Gregory durchbricht den Spiegel, dessen Mitte ja auch bei der Newtonschen Anordnung durch das Spiegelchen verdeckt und teilweise unwirksam wird, und stellt dem ringförmigen Spiegel ein kleines Konkavspiegelchen entgegen, durch welches das Bild in die Oeffnung des Hauptspiegels hinein entworfen wird, so daß das Okular, hinter den Hauptspiegel verlegt, dem Auge das Bild in der Richtung des Gegenstandes zeigt. Herschel verwendet sehr große, etwas schief gestellte Spiegel, die das reelle Bild am Rande des Rohrs außerhalb der Rohrachse erzeugen, so daß der Kopf nur einen kleinen Teil des Spiegels verdeckt; er nennt sein Teleskop Front view teleskope. Das Gregorysche Teleskop wurde durch Cassegrain, der das Konkavspiegelchen durch ein konvexes ersetzte, und durch Foucault, der die versilberten Glasspiegel einführte, verbessert. Heutzutage sind die Spiegelteleskope infolge der Fortschritte in der Vervollkommnung der achromatischen Objektive durch die Refraktoren überflügelt. In betreff ihrer näheren Geschichte und ihrer verschiedenen Konstruktion verweisen wir auf [2]–[4]. Die berühmtesten Vertreter sind das 1785–89 gebaute Riesenteleskop von F.W. Herschel von 40 Fuß (12 m) Länge und 4 Fuß Spiegeldurchmesser, und das 1845 vom Earl of Rosse erbaute von 55 Fuß Länge und 6 Fuß Durchmesser, das etwa 12000 Pfund Sterling kostete, 200 Zentner wiegt und eine 6000fache Bildvergrößerung gestattet.

Außer [2] ist in betreff der Theorie und der Verwendung des Fernrohrs noch zu verweisen auf [5]–[8], besonders auf [9], woselbst sich noch weitere Literaturangaben finden.


Literatur: [1] Heller, Geschichte der Physik, Bd. 1, S.385 ff., Stuttgart 1884. – [2] Wolf, Handbuch der Astronomie, Bd. 1, S. 329 ff. und 338 ff., Zürich 1890. – [3] Klein, F., Geschichte des Spiegelteleskops, Wien 1882. – [4] Lehrbuch der Physik und Meteorologie von Joh. Müller. 8. Aufl., Bd. 2, S. 379, Braunschweig 1879. – [5] Matthiessen, Grundriß der Dioptrik geschichteter Linsensysteme, Leipzig 1877. – [6] Galileo Ferrari, La proprietà cardinali degli instrumenti diottrici, Turin 1877, deutsch von Lippich, Leipzig 1879. – [7] Kramer, Allgemeine Theorie der zwei- und dreiteiligen Fernrohrobjektive, Berlin 1883. – [8] Konkoly, Praktische Anleitung zur Anstellung astronomischer Beobachtungen, Braunschweig 1883. – [9] Czapski, Gründzüge und Theorie d. optischen Instrumente, 2. Aufl., S. 386–432, Breslau 1904.

A. Schmidt.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 704-706.
Lizenz:
Faksimiles:
704 | 705 | 706
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Die Akten des Vogelsangs

Die Akten des Vogelsangs

Karls gealterte Jugendfreundin Helene, die zwischenzeitlich steinreich verwitwet ist, schreibt ihm vom Tod des gemeinsamen Jugendfreundes Velten. Sie treffen sich und erinnern sich - auf auf Veltens Sterbebett sitzend - lange vergangener Tage.

150 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon