Reibung [1]

[394] Reibung. An der Berührungsstelle zweier Körper tritt eine die gegenseitige Verschiebung derselben hindernde, in der Berührebene liegende Kraft auf, welche Reibung, genauer gleitende Reibung heißt. Die Richtung dieser Kraft ist der Richtung der eintretenden Verschiebung entgegengesetzt. Ein ähnlicher, wesentlich geringerer Widerstand tritt auf, wenn man die Körper um die gemeinsame Normale zur Berührungsebene dreht (bohrende Reibung) oder wenn man den einen Körper an dem andern abwälzt (rollende oder wälzende Reibung). Die letztgenannten Widerstände sind Drehmomente, von denen das erste seine Achse parallel der gemeinsamen Normalen, das zweite parallel der Berührungsebene und senkrecht zur Bewegungsrichtung hat.

Man unterscheidet Reibung der Ruhe und Reibung der Bewegung; erstere ist[394] dem Betrag nach größer, aber gewissermaßen latent und verhindert den Beginn der Verschiebung, letztere wirkt als verzögernde Kraft auf die Bewegung ein. Bei der Reibung fester Körper aneinander wird noch zwischen trockener Reibung und geschmierter Reibung unterschieden, je nachdem die Körper sich direkt berühren oder durch eine Schmiermittelschicht getrennt sind. Die trockene Reibung der Bewegung ist (nach Coulomb, Morin und Warburg) in weiten Grenzen unabhängig von der Geschwindigkeit und der Größe der Berührfläche, dagegen direkt proportional dem Normaldruck, mit dem die Körper gegeneinander gepreßt sind. Der Proportionalitätsfaktor heißt Reibungskoeffizient und hängt von dem Material der Körper und ihrer Oberflächenbeschaffenheit ab. Einem ganz andern Gesetz folgt die Reibung zwischen festen und flüssigen Körpern. Die eigentliche Flüssigkeitsreibung, wie sie beim Strömen einer Flüssigkeit zwischen den verschieden bewegten Schichten auftritt, ist unabhängig vom Druck, dagegen proportional der reibenden Schichtfläche und der Relativgeschwindigkeit; sie ist eine scherende Kraft, deren Intensität für die Flächeneinheit der reibenden Trennungsschicht, dem Geschwindigkeitsgefälle senkrecht zu derselben proportional gesetzt wird. Der Proportionalitätsfaktor heißt Koeffizient der inneren Reibung (Zähigkeit) und ist außer vom Material in hohem Maße von der Temperatur abhängig. Bei der Reibung zwischen festen und flüssigen (auch gasförmigen) Körpern nimmt man meist an, daß die berührende Flüssigkeitsschicht am Körper haftet und der Reibungswiderstand bloß durch innere Reibung in der Flüssigkeit zustande kommt. Solange die Flüssigkeit laminar, d.h. in Schichten geordnet, am Körper entlang strömt, ist der Reibungswiderstand der Geschwindigkeit einfach proportional; sobald aber Wirbelbildung (Turbulenz) eintritt, gilt diese Beziehung nicht mehr und es tritt der eigentliche Flüssigkeitswiderstand, der dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist, auf. Die geschmierte Reibung fester Körper wird heutzutage durch die innere Reibung des an den Oberflächen der Körper haftenden und bei der Bewegung derselben zwischen ihnen laminar durchströmenden Schmiermittels erklärt (O. Reynolds, Petroff, Sommerfeld). Je größer der Normaldruck der Körper ist, um so zäher muß das Schmiermittel sein, um wirksam zu bleiben, weshalb man in Fällen hohen Druckes Paraffin oder Talg verwendet und damit auch bei den größten Drücken dem Ideal der geschmierten Reibung, im Ruhezustand Null zu sein, sehr nahe kommt. Verwickelter als die geschmierte Reibung sind bohrende und wälzende Reibung; die betreffenden Drehmomente werden dem Normaldruck proportional gesetzt; im übrigen sind die Krümmungen der sich berührenden Flächen und die Gestaltsänderungen (Abplattung) derselben bei der Bewegung von ausschlaggebendem Einfluß. Schmierung kommt weniger in Betracht (O. Reynolds).

Reibungswinkel, Reibungskegel, Reibungskreis. Vereinigt man im Falle der gleitenden Reibung den Normaldruck N und die dazu senkrechte Reibungskraft R zu einer Resultante, so ist diese unter einem Winkel ϑ gegen die Normale im Berührungspunkt geneigt, der nur vom Reibungskoeffizienten μ abhängt (tg ϑ = μ = R : N) und Reibungswinkel heißt. Läßt man den Reibungswinkel um die Normale rotieren, so beschreibt der andre Schenkel einen Kegel vom Oeffnungswinkel 2ϑ, den Reibungskegel, der bei der Lösung von Aufgaben des Gleichgewichts vielfach Verwendung findet. Stützt sich beispielsweise ein Körper an drei Stellen gegen feste Wände und wird er von einer Einzelkraft oder einem Kraftsystem, das eine Resultante besitzt, angegriffen, so besteht Gleichgewicht, sobald es wenigstens einen Punkt der Wirkungslinie der Resultante gibt, der gleichzeitig innerhalb der drei Reibungskegel der Stützpunkte liegt. Verbindet man nämlich diesen Punkt mit den drei Stützpunkten, so kann man die Kraft nach den drei Verbindungsrichtungen in Komponenten zerlegen und jede Komponente wieder in eine Kraft N normal zur Berührungsebene und in eine zweite T in derselben gelegene. Erstere (N) kann durch die Fertigkeit der Stütze, letztere (T), da sie wegen der Lage der angenommenen Stützlinie im Innern des Reibungskegels kleiner als R = μ N ist, von der latenten statischen Reibung überwunden werden. Es gibt also für jeden Punkt des gleichzeitig im Innern der drei Reibungskegel befindlichen Raumes einen möglichen Gleichgewichtsfall, und das Gleichgewicht sowie die Beanspruchung der Stützen ist beim Vorhandensein der Reibung unbestimmt. Die Grenzfälle des Gleichgewichts erhält man, wenn man einen jener Punkte als Ausgangspunkt der Stützrichtungen wählt, in welchen die Wirkungslinie der Kraft in den allen drei Reibungskegeln gemeinsamen Raum ein- bezw. aus ihm austritt. Je kleiner die Reibung ist, um so spitzer werden die Reibungskegel, und beim Verschwinden der trockenen Reibung reduzieren sie sich auf die Normalen in den Stützpunkten. Ohne Reibung oder bei vollkommener Schmierung ist daher nur Gleichgewicht, wenn die drei Normalen sich in einem Punkte schneiden, durch den auch die Wirkungslinie der Kraft geht.

Reibungskreis. Ist ein Körper um eine materielle zylindrische Achse vom Radius r drehbar, so wird er ohne Vorhandensein von Reibung nur dann im Gleichgewicht sein, wenn eine (senkrecht zur Zylinderachse) wirkende Kraft die Zylinderachse schneidet. Ist Reibung vorhanden, so tritt schon Gleichgewicht ein, wenn die Wirkungslinie der Kraft einen zum Querschnitt des Zylinders konzentrischen (in der Figur schraffierten) Kreis trifft. Dieser hat einen Radius ρ = r sin ϑ = r μ : √(1 + μ2) und heißt Reibungskreis. Ein in vorstehender Weise aufgehängtes Pendel hat unendlich viele Gleichgewichtslagen, wobei sich der Schwerpunkt senkrecht unterhalb des Reibungskreises befindet. Die Schwingungen erfolgen bei kleiner Reibung und geringer Amplitude harmonisch, und zwar abwechselnd auf die nächstliegende der beiden äußersten Gleichgewichtslagen zu. Die Abnahme der Amplituden erfolgt nach einer arithmetischen Reihe, deren Differenz gleich der Entfernung der äußersten Gleichgewichtslagen ist. Die Bewegung kommt nach einer endlichen Zahl von Schwingungen in einer beliebigen, von den Anfangsbedingungen abhängigen Gleichgewichtslage zur Ruhe. Ganz anders ist die [395] Bewegung bei vollkommener Schmierung. Hier gibt es nur eine Ruhelage, welche das Pendel nach unendlich vielen in geometrischer Reihe abnehmenden Schwingungen erreicht (s. Schwingungen, gedämpfte).


Literatur: Coulomb, Théorie des machines simples, in den Mémoires des savants étrangers, 1785, Bd. 10, S. 254; Morin, Nouvelles expériences sur le frottement, 3 Bde., Metz 1833–35; Osborne Reynolds, On the theory of lubrication and its applications to Mr. Beaucamp Towers experiments, Philosoph. Transactions 1886, Bd. 177, S. 157–234, und On rolling friction, Philosoph. Transactions, 1876, Bd. 166, S. 155, auszugsweise in der Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1877, S. 417; Jenkin und Ewing, On friction between surfaces moving and low speeds, Philosoph. Transactions 1877, Bd. 167, S. 509–528; Warburg und v. Babo, Gleitende Reibung fester Körper, Wiedemanns Annalen 1877, Bd. 2, S. 406; Jellet, Die Theorie der Reibung, deutsch von Lüroth und Schepp, Leipzig 1890; Grashof, Theoretische Maschinenlehre, Bd. 2, S. 238–314; Herrmann, Der Reibungswinkel, Festschrift zum Jubiläum der Universität Würzburg, 1882; Appell, Traité de mécanique rationnelle, Paris 1893, Bd. 1, S. 231–282, 156–177. Lagerreibung: Petroff, Neue Theorie der Reibung, deutsch von Wurzel, Leipzig 1887. Versuche: Stribeck, R., Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1902, Bd. 46, S. 1341, und Lasche, O., ebend., S. 1881; Sommerfeld, Zur hydrodynamischen Theorie der Schmiermittelreibung, Zeitschr. f. Math. u. Phys. 1904, Bd. 50, S. 97.

Finsterwalder.

Reibung [1]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 394-396.
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