Anatozismus

[488] Anatozismus (griech., lat. Usurae usurarum), Zinseszins, Zinsenverzinsung, im allgemeinen das Schlagen der rückständigen Zinsen zum Kapital am Schluß des Jahres (Anatocismus anniversarius), was nach altrömischem Recht gestattet war, bis Justinian dies Verfahren verbot, um das hohe und schnelle Anwachsen der Kapitalien zu verhindern. A. conjunctus heißt es, wenn die rückständigen Zinsen zum Kapital geschlagen, A. separatus, wenn die Zinsen als neues verzinsliches Kapital dem Schuldner gelassen werden. Beide Formen waren gemeinrechtlich verboten. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich betrachtet eine im voraus getroffene Vereinbarung, daß fällige Zinsen wieder Zinsen tragen sollen, als nichtig. (Die Vereinbarung, daß rückständige Zinsen wiederum Zinsen tragen sollen, ist also zulässig.) Für Sparkassen, Kreditanstalten und Inhaber von Bankgeschäften gilt aber das Besondere, daß sie im voraus vereinbaren können, daß nicht erhobene Einlagen als neue verzinsliche Einlagen gelten sollen, und Kreditanstalten, die berechtigt sind, für den Betrag der von ihnen gewährten Darlehen verzinsliche Schuldverschreibungen auf den Inhaber auszugeben, können sich bei solchen Darlehen die Verzinsung rückständiger Zinsen im voraus versprechen lassen. Das Handelsgesetzbuch weicht von den vorstehenden Grundsätzen nicht ab, und wenn sonst Kaufleute für Forderungen aus beiderseitigen Handelsgeschäften vom Tage der Fälligkeit an Zinsen beanspruchen können, so gilt dies nicht für Zinsenschulden. Nur in zwei Fällen kennt das Handelsgesetzbuch eine Verpflichtung zur Entrichtung von Zinseszinsen, nämlich beim Kontokorrentüberschuß und beim Bodmereidarlehen. Eine weitere Ausnahme von obigem Verbot kennt das Wechselrecht beim Wechselregreß.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 488.
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