Ionisierung der Luft

[3] Ionisierung der Luft, Erzeugung einer eigenartigen elektrischen Leitfähigkeit der Luft, die auf Bildung von Ionen zurückgeführt wird. Beispielsweise erfüllt sich die Luft in der Nähe einer Spitze, aus der positive Elektrizität ausströmt (elektrischer Wind, s. Elektrische Entladung, S. 610) mit positiven Ionen und erhält infolgedessen ein unipolares Leitungsvermögen, insofern ein negativer Konduktor in ihr seine Ladung verliert, wie wenn die Luft leitend wäre, während ein positiver seine Ladung wie in vollkommen isolierender ionenfreier Luft behält. Umgekehrt unipolar leitet negativ elektrischer Wind. Die Mischung von positivem und negativem Wind, die bei Anwendung einer positiven und einer negativen Spitze entsteht, entladet sowohl einen positiven wie einen negativen Konduktor ähnlich wie ein Elektrolyt. Derart ionisierte Luft, die beide Arten von Ionen in gleicher Menge enthält, entsteht auch an der Oberfläche hellglühender Körper, bei Flammen, bei Bestrahlung geeigneter Körper mit ultraviolettem Licht (infolge der Bildung von Kathodenstrahlen), beim Durchdringen von Lenard-, Röntgen- und Becquerelstrahlen durch die Luft und insbes. in Vakuumröhren durch sogen. Ionenstoß. Bringt man ionisierte Luft zwischen entgegengesetzt geladene Konduktoren (Elektroden), so verlieren beide an Ladung, d. h. es entsteht, wenn diese fortwährend ergänzt wird und auch die Ionisierung etwa durch Einwirkung von Radiumstrahlen konstant erhalten wird, ein dauern der Strom, wie beim Einbringen der Elektroden in einen Elektrolyten. Erhöht man aber die Spannung immer mehr, so wächst die Stromstärke nicht entsprechend dem Ohmschen Gesetz, sondern nähert sich einem Grenzwert (Sättigungs- oder Grenzstrom), da immer mehr Ionen durch den Strom der Luft entzogen werden, während (konstante Bestrahlung vorausgesetzt) die Zahl der sich neubildenden gleich bleibt. Erst bei abnormer Steigerung der Spannung tritt abermals Anwachsen der Stromstärke ein und zwar äußerst rasch, da infolge der zunehmenden elektrischen Kraft die Ionen so hohe Geschwindigkeiten annehmen, daß sie beim Auftreffen auf neutrale Moleküle (durch Ionenstoß) neue Ionen erzeugen, die selbst wieder aus gleichem Grund abermals zur Entstehung neuer Ionen Anlaß geben. Den so entstehenden Strom nennt man selbständigen Strom im Gegensatz zu dem unselbständigen vor Erreichung des Grenzstroms. Die Zahl der in der Volumeneinheit Luft vorhandenen Ionen (positive, bez. negative Ionisation) kann dadurch bestimmt werden, daß man die Luft mit Feuchtigkeit sättigt, sodann durch plötzliche Druckverminderung Übersättigung hervorruft und die Zahl der sich bildenden Nebeltröpfchen feststellt. Da die Ionen als Kondensationskerne dienen, also jedes Tröpfchen ein Ion enthält, ist die Ionenzahl gleich der Tröpfchenzahl. Auf diesem Wege läßt sich auch die Ladung solcher Gasionen feststellen, wobei sich ergibt, daß sie dieselbe ist wie die der Ionen bei der Elektrolyse von Flüssigkeiten. Letztere müssen als Verbindungen von materiellen Atomen (mit wahrer, wägbarer Masse)[3] und von Elektronen (mit scheinbarer, elektromagnetischer Masse) betrachtet werden, derart, daß die Zahl der vorhandenen Elektronen der der Valenzen (Wertigkeiten) entspricht. Bei den Gasionen liegen die Verhältnisse komplizierter und sind noch nicht völlig aufgeklärt. Speziell beim gewöhnlichen elektrischen Wind scheinen sich sogen. Molionen zu bilden, durch Verdichtung von Luftmolekülen auf den Elektronen hervorgegangene größere Komplexe. In sehr verdünnter Luft vermögen sich umgekehrt die Elektronen als Kathodenstrahlen (Kanalstrahlen?) frei zu bewegen, ohne an materielle Atome gebunden zu sein. Wird ionisierte Luft sich selbst überlassen, so tritt allmählich Vereinigung der positiven und negativen Elektronen ein (Molisierung), d. h. die Leitfähigkeit verschwindet. Da neben der Ionisation stets Molisierung nebenhergeht, kann ein bestimmter Ionisator (z. B. Radium) die Ionisation nicht über eine gewisse Größe bringen. Einen Apparat zur Bestimmung der Leitfähigkeit der Luft, der spezifischen Ionenzahl und Ionengeschwindigkeit für meteorologische Zwecke konstruierte Gerdien.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 3-4.
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