Magnetische Kraftlinien

[88] Magnetische Kraftlinien. Die von einem Magnetpol auf einen andern in seiner Nähe befindlichen ausgeübte Kraft folgt bestimmten Richtungen, die man finden kann, wenn man in den Bereich seiner Wirkung, sein Kraftfeld, eine kleine, an einem Faden aufgehängte Magnetnadel bringt und deren Stellung beobachtet. Übersichtlicher erhält man sie, wenn man auf den Pol ein Kartonblatt legt, es mit durchgesiebten Eisenfeilspänen bestreut und leicht erschüttert. Die Eisenteilchen ordnen sich dann in Linien, indem sie zu Magneten werden, die schwerern liegen bleiben und die leichtern an sich heranziehen. So zeigt sich das Kraftfeld von Linien durchzogen, die von einer einzigen nicht zu ausgedehnten Oberfläche sich wie die Lichtstrahlen geradlinig im Raum ausbreiten; in welcher Lage man auch den Magnet unter das Kartonblatt legt, immer erhält man das nämliche Linienbild.

Fig. 1. Kraftlinien an den Polen eines Hufeisenmagnets.
Fig. 1. Kraftlinien an den Polen eines Hufeisenmagnets.

Ein jeder Magnet besitzt im allgemeinen zwei entgegengesetzte Pole, die bei allen technischen Anwendungen einander so nahe liegen, daß der eine das Feld des andern beeinflußt. In welcher Weise dies geschieht, zeigen die, wie oben angegeben, auf einem Kartonblatt, das beide Pole bedeckt, erhaltenen Linien (Fig. 1). Von beiden Polenden strahlen die Linien aus, um sich von dem einen in immer steilern Bogen dem andern zuzuwenden. An die Kanten in der Nähe der Pole setzen sich die Eisenteilchen in größerer Zahl an, da an ihnen die magnetische Wirkung besonders stark ist. An ihnen heben sie sich, der Richtung der Kraftlinien im Raum folgend, empor und fallen erst zusammen, wenn das Kartonblattabgehoben wird. Man kann deshalb den Verlauf der Kraftlinien im Magnet in der Nähe der Pole nicht erkennen, wohl aber in der die Mitte des Stabes einnehmenden Indifferenzzone. Hier verlaufen sie der Achse des Stabes parallel. Da eine vom Strom durchflossene Drahtspule, auch wenn sie nicht durch Einlegen eines Eisenkerns zum Elektromagnet gemacht ist, sich wie ein Magnet verhält, so kann man, wenn man das Kartonblatt mit den Eisenfeilspänen in sie hineingeschoben hat und den Strom schließt, den Verlauf der Linien in allen Teilen des Magnetinnern beobachten. Aus Fig. 2, welche die Spule mit den Linien darstellt, ergibt sich, daß sie das Spuleninnere parallel und in gleichem Abstand durchziehen, ein homogenes Feld bilden, sich in ihrem Verlaufe wendend geschlossene Kurven darstellen.

Fig. 2. Kraftlinien in einer vom Strom durchflossenen Drahtspule.
Fig. 2. Kraftlinien in einer vom Strom durchflossenen Drahtspule.

Man denkt sich nun in der Spule, also im Magnet, die Linien vom Südpol nach dem Nordpol hin verlaufend, also von diesen sich ausbreitend, wie die Pfeilspitzen andeuten, und nennt den in der Figur links gelegenen Nordpol den positiven Pol. Ein vollständiges Bild der magnetischen Kraftwirkungen würde man erhalten, wenn man die Figur um die horizontale Achse der Spule drehen würde, die Kraftlinien sind also die Durchschnitte von ringförmigen Gebilden mit der Ebene der Zeichnung. Außer zur Bestimmung der Richtung der magnetischen Kraft an irgend einem Punkte des Feldes können die Kraftlinien auch benutzt werden, seine daselbst vorhandene Stärke bestimmen zu lassen.

Fig. 3. Kraftlinien eines Hufeisenmagnets.
Fig. 3. Kraftlinien eines Hufeisenmagnets.

Man hat dazu nur eine Einheit zu wählen und nimmt als solche die Kraft eines Einheitpoles, d. h. eines Poles, der einen ihm gleichen in einem Abstand von 1 cm mit der Kraft von 1 Dyne, also rund von 1 mg anzieht (s. Maßsystem, absolutes). Diese Kraft denkt man sich in jeder Kraftlinie wirkend, auf den Einheitspol aber rechnet man eine Kraftlinie. Durch die Anzahl der einem Magnet zukommenden Kraftlinien kann man somit dessen Stärke angeben. So läßt sich Schmiedeeisen mit Hilfe des elektrischen Stromes so stark magnetisieren, daß etwa 18,000 Kraftlinien 1 qcm durchsetzen, ein Stab von solchem Querschnitt also die Kraft von 18,000 mg ausüben kann, während Gußeisen bereits bei 9000 Kraftlinien auf 1 qcm gesättigt ist. An der Grenzfläche eines stärkern und eines weniger stark magnetischen Körpers werden also die in diesen eindringenden Kraftlinien auseinandertreten müssen, es wird dort Streuung stattfinden.

Aus dem Verlauf und der Dichtigkeit der Kraftlinien eines magnetischen Feldes läßt sich die Brauchbarkeit und die Wirkungsweise der in der Elektrotechnik[88] verwendeten Eisenkörper beurteilen. Fig. 3 zeigt die in einem Hufeisenmagnet auftretenden magnetischen Kraftlinien. Ihre Streuung an den Polen hört auf, sobald man sie durch einen eisernen Anker verbindet, das Eisen zieht die Linien in sich hinein. Legt man also in das Feld zwischen den Polen N und S eines starken Magnets (Fig. 4) einen eisernen Ring, so nehmen die Kraftlinien den dort gezeichneten Verlauf. Der Raum innerhalb des Ringes bleibt frei oder fast frei von Linien, ist somit unmagnetisch.

Fig. 4. Eiserner Ring im Magnetfeld.
Fig. 4. Eiserner Ring im Magnetfeld.

Darauf beruht die Schirmwirkung des Eisens, die gestattet, in einem magnetischen Felde, z. B. auf einem eisernen Schiffe, Kompaßnadeln, ja empfindliche Galvanometer zu benutzen. Auch die Wirkung des Ankereisens der dynamoelektrischen Maschinen (s. Elektrische M.), das Fig. 4 zwischen den Magnetpolen darstellt, wird nun leicht verständlich. Der gezeichnete Grammesche Ring zieht sie in sich hinein, so daß die Drähte des äußern Teiles seiner Wickelung bei einer durch den Pfeil angedeuteten Drehung sie in senkrechter Richtung durchschneiden. Dabei wird in ihnen ein starker Strom erregt, stärker, als wenn der Schnitt in schiefer Richtung erfolgte. Ein ebensolcher, aber entgegengesetzt gerichteter würde auch auf der innern Seite des Ringes entstehen, wenn dort die Kraftlinien austreten könnten. Da der Anker einer dynamoelektrischen Maschine, sobald er magnetisch wird, ein eignes, wenn auch schwaches Magnetfeld hervorruft, dessen Linien senkrecht auf dem des Feldmagnets stehen, ergibt sich durch das Zusammentreffen beider ein Feld, das für schmale Pole N und S in Fig. 5 dargestellt ist. Die Figur zeigt, daß die Linie B B, in der im Ankerring des Nordmagnetismus n n in Südmagnetismus s s übergeht und die bei ruhendem Ring das Magnetfeld halbiert, bei einer im Sinne des großen Pfeiles eintretenden Drehung verschoben wird, die Bürsten also auch im Sinne der Drehung etwas verschoben werden müssen, wenn die Maschine funkenlos laufen soll.

Fig. 5. Magnetfeld des bewegten Ringankers einer Dynamomaschine.
Fig. 5. Magnetfeld des bewegten Ringankers einer Dynamomaschine.

Die Schraubenlinien auf dem Ringe bedeuten die Wickelung, die Pfeile die Richtung der in ihr erregten Ströme. Vgl. H. Ebert, Magnetische Kraftfelder (2. Aufl., Leipz. 1905); Ewing, Magnetische Induktion in Eisen und verwandten Metallen (deutsch von Holborn u. Lindeck, Berl. u. Münch. 1892).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 88-89.
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