Dritte Familie: Lachse (Salmonidae)

[210] Als die edelsten Glieder der Ordnung dürfen wir die Lachse (Salmonidae) bezeichnen, beschuppte Fische mit gestrecktem, rundlichem Leibe, einer strahlenlosen Fettflosse hinter der Rückenflosse und bis zur Kehle gespaltener Kiemenöffnung, deren Maul in der Mitte von dem Zwischenkiefer, nach außen von dem Oberkiefer begrenzt und entweder gänzlich unbewaffnet oder mit sehr seinen Zähnen besetzt oder mit kräftig entwickelten Zähnen bewaffnet ist. Der Magen hat einen Blindsack, der Darmanfang sehr viele Blinddärme; die Schwimmblase ist einfach; dem Eierstocke fehlt der Ausführungsgang.

Rücksichtlich der Bezahnung zerfallen die Lachse in zwei scharf begrenzte Gruppen: in solche, bei denen das kleine Maul nur mangelhafte, hinfällige Zähne trägt, und in solche, bei denen sämmtliche Zähne kräftig entwickelt sind. Erstere erinnern an Karpfen und Häringe; letztere, welche als der Kern der Familie angesehen werden müssen, sind den eigentlichen Raubfischen beizuzählen. Mit [210] der Bezahnung steht die Beschuppung insofern im Einklange, als bei der ersten Gruppe die Schuppen groß, bei der letzteren klein zu sein pflegen: ein Unterschied, welcher unseren Fischern wohl bewußt und zur Werthschätzung der Tafelfische benutzt wird. Die Färbung der einzelnen Arten weicht nicht allein je nach dem Alter wesentlich ab, sondern verändert sich auch vor und nach der Laichzeit. »Bei keinem unserer einheimischen Fische«, sagt Siebold, »findet je nach den verschiedenen Einwirkungen der Nahrung, des Wassers, des Lichtes und der Wärme eine so große Farbenverschiedenheit der Haut statt wie bei den Lachsen, insbesondere bei den bezahnten Arten der Familie; sogar die Färbung des Fleisches, welche bei gewissen Arten rosenroth oder orangeroth sein kann, durchläuft innerhalb einer und derselben Art alle Abstufungen, je nach den verschiedenen Aufenthaltsorten der Fische.« Ganz besonders auffallend wird diese je nach der Jahreszeit verschiedene Färbung bei einzelnen sibirischen und nordamerikanischen Lachsen. So verdient der Rothlachs Kamtschatkas (Salmo erythraeus) seinen Namen nur während der Laichzeit wirklich, weil er dann ein mit Ausnahme des dunkelgrünen Kopfes rothes Hochzeitskleid trägt, welches nach der Laichzeit vollständig verschwindet und in ein auf der Oberseite tiefes, auf der Unterseite lichtes Blau übergeht. Der Wechsel ist so auffällig, daß die Kamtschadalen sich bemüht haben, eine Erklärung zu finden, und sagen, der Fisch strenge sich beim Aufsteigen in den reißenden Flüssen außerordentlich an, treibe dadurch das Blut nach außen und erlange seine hochrothe Färbung. Mit dem Wechsel der letzteren steht eine auffallende Verdichtung des Oberhautüberzuges in Verbindung, welche der Haut das Ansehen gibt, als seien an den betreffenden Stellen alle Schuppen ausgefallen.

Im inneren Baue verdienen vor allem die Geschlechtswerkzeuge, insbesondere die Eierstöcke, Beachtung. Die Eier entwickeln sich nämlich nicht in geschlossenen Säcken, wie bei den meisten übrigen Fischen, sondern an vorspringenden Falten der Bauchhaut, von denen sie nach erlangter Reife sich abtrennen und so nothwendigerweise in die Bauchhöhlung gelangen müssen, aus welcher sie durch eine Oeffnung hinter dem After abgeführt werden. Diese Einrichtung hat insofern eine besondere Bedeutung, als sie das Ausstreifen der Eier erleichtert und die Lachse dadurch im hohen Grade für die künstliche Fischzucht geeignet erscheinen läßt.

Mit alleiniger Ausnahme dreier Sippen, von denen zwei die Weltmeere, eine die Süßgewässer Neuseelands bevölkern, gehören die Lachse ausschließlich der nördlichen Halbkugel an. Sie bewohnen die salzigen wie die süßen Gewässer, falls sie rein sind, die im Norden gelegenen in größerer Anzahl als die südlichen. In erfreulicher Menge beleben sie das Eismeer und den nördlichen Theil des Stillen Weltmeeres, minder zahlreich die Nord- und Ostsee sowie den nördlichen Theil des Atlantischen Weltmeeres. Einzelne Glieder scheinen hinsichtlich ihres Verbreitungskreises, manche von ihnen auf einen oder wenige benachbarte Seen beschränkt zu sein; sie aber werden in anderen Gewässern durch Verwandte vertreten, von denen es heute noch fraglich ist, ob sie nicht mit jenen gleichartig sind und nur Abarten darstellen. Vom Meere auswandern alle Lachse gegen die Laichzeit hin in die Ströme, Flüsse und Bäche, um hier sich fortzupflanzen, und zwar kehrt jeder einzelne Fisch wieder in denselben Fluß oder doch in das Stromgebiet zurück, in welchem er geboren wurde. Der Wandertrieb ist so heftig, daß der zu Berge gehende Fisch vor keinem Hindernisse zurückschreckt und die wirklich unübersteiglichen selbst mit Gefahr seines Lebens zu überwinden sucht. Alle zu Berge gehenden Lachse laichen in eine von ihnen vorher ausgehöhlte seichte Grube im Sande oder Kiese und wissen die Wahl derselben mit ebensoviel Verstand wie Geschick zu treffen. Andere Arten der Familie verlassen die Seen, in welchen sie herbergen, während der Laichzeit nur ausnahmsweise, dann ebenfalls die in den See fallenden Flüsse aufsuchend, wählen sich vielmehr regelmäßig seichte Ufer des Sees zum Laichen aus; andere endlich erscheinen während der Fortpflanzungszeit in ungeheueren Massen an der Oberfläche des Wassers, unbekümmert, ob die Tiefe unter ihnen wenige Centimeter oder viele Meter beträgt, drängen sich dicht an einander, springen, Bauch an Bauch gekehrt, hoch über das Wasser empor und entleeren gleichzeitig Roggen und Milch, auf weithin das Wasser trübend. Ihre Art zu laichen läßt einen Schluß thun auf die [211] Fortpflanzung gewisser Meerfische, beispielsweise der Häringe, von denen man bekanntlich annahm, daß sie aus fremden Gegenden her an unsere Küsten wandern, um hier ihren Laich abzusetzen, während es sich doch bei ihnen genau ebenso verhält wie bei jenen Lachsen, deren Fortpflanzungsgeschäft wir sozusagen überwachen können, von denen wir mindestens ganz bestimmt wissen, daß sie bis zur Laichzeit in den tiefen Gründen jener Binnenseen leben und sich, um ihre strotzenden Eierstöcke und Hoden zu entleeren, nur in mehr oder weniger senkrechter Richtung erheben.

Die Lachse mit schwächlichem Gebisse ernähren sich eher nach Art der Karpfen als nach Art der Raubfische, das heißt nehmen Gewürm verschiedener Art, Schnecken, Muscheln und dergleichen, auch wohl pflanzliche Stoffe zu sich; die Arten mit kräftig bezahnten Kiefern hingegen lassen sich bloß in den ersten Jahren ihres Lebens mit Gewürm und Kerbthieren oder deren Larven genügen und greifen im höheren Alter alle anderen Fische an, welche sie irgendwie zu bewältigen glauben. Uebrigens sind die größten Arten der Familie nicht die furchtbarsten Räuber: der Edellachs zum Beispiel steht, schon wegen seines erheblich schwächeren Gebisses, der Lachsforelle, wenn auch nicht an Gefräßigkeit, so doch an Raubfähigkeit nach.

Für den menschlichen Haushalt haben die Lachse eine sehr große Bedeutung. Ihr köstliches Fleisch, welches von dem keines anderen Fisches überboten wird, zeichnet sich aus durch schöne Färbung, ist grätenlos, schmackhaft und leicht verdaulich, so daß es selbst Kranke genießen können. In unserem fischar men Vaterlande gehört es leider zu den selten gebotenen Leckerbissen, wenigstens in allen Gegenden, welche nicht unmittelbar an Flüssen oder Bergströmen und Gebirgsseen liegen; schon in Skandinavien, Rußland und Sibirien dagegen ist es ein wesentliches Nahrungsmittel der Bevölkerung. Für die in den Küstenländern am Stillen Weltmeere und am Eismeere lebenden Menschen bilden die Lachse die hauptsächlichste Nahrung; ihre wichtigste Arbeit gilt deren Fange. Während des Sommers fängt, trocknet, räuchert, pökelt, speichert man den Reichthum des Meeres auf, welcher jetzt durch die Flüsse geboten wird, wendet man alle Mittel an, um sich den für den Winter unumgänglich nothwendigen Bedarf an Nahrung zu erwerben.

Die Klage über Verarmung unserer Gewässer bezieht sich hauptsächlich auf die von Jahr zu Jahr fühlbarer werdende Abnahme der Mitglieder dieser Familie. Aus vergangenen Jahrhunderten liegen Berichte vor, welche übereinstimmend angeben, daß man vormals den Reichthum der Gewässer nicht auszunutzen vermochte; aber diese Berichte schon gedenken weiter zurückliegender Zeiten, in denen der Reichthum noch größer gewesen sein soll. Bereits vor Jahrhunderten wurden Gesetze erlassen zum Schutze dieser wichtigen Fische, welche leichter als alle übrigen aus den Gewässern, wenigstens aus bestimmten Flüssen, verbannt werden können. Die Gesetze haben sich aus den oben (Seite 19) angegebenen Gründen wenig bewährt und unsere Nachlässigkeit und leichtfertige Gleichgültigkeit gegen ein so wichtiges Nahrungsmittel bitter gerächt: gegenwärtig sieht man sich überall gezwungen, Maßregeln gegen das Weitergreifen des Uebels zu treffen. Seitdem man die künstliche Fischzucht kennen und auszuüben gelernt hat, ist es wenigstens hier und da etwas besser geworden. In den lange Zeit verarmten Flüssen Schottlands macht sich der Segen des menschlichen Eingriffes schon jetzt in erfreulicher Weise bemerklich; in unserem Vaterlande fängt man wenigstens an, bessernde Hand anzulegen. Was erzielt werden kann, beweisen gelungene Versuche, befruchtete Eier verschiedener Lachsarten nach letzteren fremden Erdtheilen zu versenden und die aus diesen Eiern erzielten Fische in den Gewässern selbst solcher Gegenden einzubürgern, welche von denen der Heimat wesentlich abweichen. So zeigt sich auch in dieser Beziehung ein Fortschritt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 210-212.
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