Parodie

[878] Parodie. (Dichtkunst)

Waren bey den Griechen scherzhafte Gedichte, auch wol nur einzele Stellen, dazu ganze Verse, oder einzele Ausdrüke von ernsthaften Gedichten entlehnet, oder doch nachgeahmt wurden. So ist das Gedicht des Maton, welches Athenäus aufbehalten1 worin eine Schwelgerey in homerischen, oder dem Homer nachgeahmten Versen besungen wird. Es fängt es völlig im Tone der Ilias an.


Δειπνα μοι ἐννεπε μουσα πολυτροφα καμ μαφα πολλα ––


Nach des Aristoteles Bericht hat Hegemon von Thasos sie erfunden, nach dem Athenäus aber Hipponax. Gewiß ist, daß das Atheniensische Volk um die Zeit des Verfalles der Republik dieselben ungemein geliebet hat. Daher ist Aristophanes voll von Parodien einzeler Verse der besten tragischen Dichter.

Heinrich Etienne, oder Stephanus hat eine besondere Abhandlung davon geschrieben, die 1575 in Paris gedrukt ist.

In den neuern Zeiten haben die Parodien vorzüglich in Frankreich ihre Liebhaber gefunden. Scarron hat die Aeneis parodirt; aber erst lange nach ihm sind die förmlichen Parodien der Tragödien aufgekommen, eine der frevelhaftesten Erfindungen des ausschweiffenden Wizes. Ich habe auf einer sehr gepriesenen französischen Schaubühne das nicht schlechte Trauerspiehl Orestes und Pylades aufführen sehen, wobey die Logen und das Parterre sich ziemlich gleichgültig bezeigten. Beyde wurden gegen das Ende des Schauspiehls immer mehr angefüllt; und gleich nach dem Stük wurd eine Parodie von demselben vorgestellt, wobey der ganze Schauplaz äußerst lebhaft, und das Händeklatschen, oft allgemein wurd.

Man muß es weit im Leichtsin gebracht haben, um an solchen Parodien Gefallen zu finden, und ich kenne nicht leicht einen größern Frevel als den, der würklich ernsthafte, so gar erhabene Dinge, lächerlich macht. Ein französischer Kunstrichter hat unlängst [878] sehr richtig angemerkt, daß der leichtsinnige Geschmak an Parodien, unter anderm auch dieses verursachet habe, daß gewisse, recht sehr gute Scenen des Corneille die öffentliche Vorstellung deswegen nicht mehr vertragen.

Da der größte Theil der müßigen Menschen weit mehr zum Leichtsinn, als zum Ernste geneigt ist, so könnten durch Parodien die wichtigsten Gedichte und die erhabensten Schriften über wahrhaftig große Gegenstände, allmählig so lächerlich gemacht werden, daß die ganze schönere Welt sich derselben schämte. Man siehet gegenwärtig auch würklich nicht geringe Proben davon.

Deswegen wollen wir doch nicht alle Parodien schlechthin verwerfen. Sie sind wenigstens zur Hemmung gewisser erhabener Ausschweifungen und des gelehrten, politischen und gottesdienstlichen übertriebenen Fanatismus, ein gutes Mittel. Man kann kaum sagen, ob es schädlicher sey über das Edle und Große mit einer fantastischen Einbildungskraft hinauszuschweifen, oder mit einem unbezähmten Leichtsin die Schranken der Mäßigung im Lustigen zu überschreiten. Beydes ist verderblich, wenn es bey einem Volk allgemein wird. Dieses ist nur durch die strenge Satyre und jenes durch das Lächerliche zu hemmen. Auch in der Gelehrsamkeit und in dem Geschmak giebt es einen pedantischen Fanatismus, gegen den die Parodie ein bewährtes Mittel ist. Davon haben wir an dem Chef d'œuvre d'un Inconnu ein Beyspiehl. Aber ohne sie zu so guten Absichten anzuwenden, sie blos zum Lustigmachen brauchen, ist ein höchstverderblicher Mißbrauch. Zum Glük hat der Leichtsin der Parodie unsern Parnaß noch nicht angestekt, obgleich hier und da sich Spuhren dieser Pest gezeiget haben. Und da sich die Anzahl gründlicher Kunstrichter in Deutschland noch immer vermehrt, so ist zu hoffen, daß sie sich bey Zeiten mit dem gehörigen Nachdruk dem Mißbrauch wiedersezen würden, so bald das Einreißen desselben zu befürchten seyn möchte.

1Deipnos. L. IV.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 878-879.
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