Preludiren. Preludium

[924] Preludiren. Preludium. (Musik)

Die Organisten pflegen in den Kirchen, ehe der Gesang angeht, auf der Orgel zu spiehlen, um dadurch die Versammlung zur Anhörung des Gesanges vorzubereiten. Dieses vorläufige Spiehl der Orgel wird Preludiren, das, was man dabey spiehlt, Präludium genannt. So geschieht es bisweilen auch bey Concerten, daß der, welcher auf dem Clavicembal die Hauptbegleitung führet, vorher auf seinem Instrument preludirt. Da mir über diese Materie ein Aufsaz von einem sehr geschikten Virtuosen zugestellt worden, so will ich denselben hier ganz einrüken.

»Das Preludiren ist hauptsächlich nur in der Kirche gebräuchlich, und geschieht auf der Orgel, entweder vor einer Kirchenmusik, oder vor einem Choral, den die Gemeinde singt. Im leztern Falle liegt dem Organisten ob, die Melodie des Chorals der Gemeinde vorzuspielen. Hat der Organist nun Zeit und Geschiklichkeit, so fängt er mit einem Vorspiel an, worin in einem der Kirche anständigen Vortrage der Sinn des Liedes ausgedrükt, und die Gemeinde zu der Gemüthsfassung vorbereitet wird, worein das Lied sie sezen soll; dann hebt er auf einem andern Clavier mit einem durchdringenden Anzug, die Melodie des Liedes mit langen Noten an, und begleitet dieselbe mit Säzen aus dem Vorspiel. Dieses erfodert nun große Einsichten und Fertigkeit in die Versezungen der Contrapunkte, ohne welches der Organist die Verbindung seines Vorspiels mit der Melodie des Liedes nicht bewerkstelligen kann; denn er wird entweder daraus zwey verschiedene Stücke machen, oder abgedroschene Säze hören lassen, die sich zu jedem Vorspiele, und zu jedem Chorale schiken, welches unangenehm ist.

»Man preludirt aber nicht allezeit auf diese Art, ob sie gleich die gewöhnlichste, und die schiklichste ist, den Ausdruk zu befördern, worauf aber von den Organisten selten gesehen wird. Alle mögliche Künsteleyen, die über einen Choral zu machen sind, (nachdem man ihn bald oben, bald unten, bald in der Mitte, bald im Canon, per augmentationem oder diminutionem oder alla stretta, wo alle Verse der ganzen Strophe sich zu gleicher Zeit hören lassen, u.s.w. durchführt) können zu Preludien dienen, wenn der Organist die Geschiklichkeit dazu hat, oder wenn er sie auch vorher aufgesezet, und auswendig [924] gelernet hat. So hat Joh. Seb. Bach den Choral: Vom Himmel hoch da komm ich her. mit canonischen Veränderungen herausgegeben, denen an Kunst schweerlich etwas gleich kömmt, und kommen wird, die alle zu Preludien geschikt sind, aber dem Ohre wegen des großen Zwanges, den diese Gattung von Composition verursacht, nicht sonderlich schmeicheln, ja ihm nicht einmal faßlich sind.«

»Die Preludien vor Kirchenmusiken dienen auch dazu, daß die Instrumentisten Gelegenheit haben, ihre Instrumente zu stimmen: daher muß der Organist, wenn die Orgel im Cammerton gestimmt ist, sich so lange in D dur aufhalten, bis alle Instrumente gestimmt sind, weil diese Tonart dazu am geschiktesten ist, und dann durch wolgewählte Modulationen in die Tonart übergehen, worin die Kirchenmusik anfängt. Das Geräusch der Instrumente bey solchen Preludien ist Schuld daran, daß hier nicht wohl auf den Ausdruk gehalten werden kann.«

»Auf dem Flügel vor Musiken zu preludiren, ist nicht allenthalben im Gebrauch. Eine Folge von arpeggirten Accorden ist diesem Instrument am natürlichsten.«

»Unangenehm ist es, wenn vor einer aufzuführenden Musik jeder auf seinem Instrument preludirt, oder sich in Passagen übt. Wer in einem Lande ist, wo diese üble Gewohnheit eingerissen ist, muß sich das Vergnügen, das ihn die Anhörung einer guten Musik gewähren soll, durch tausend Marter erkaufen. Daraus entsteht auch noch das Böse, daß Niemand sein Instrument rein stimmen kann, weil keiner vor dem andern zu hören im Stande ist. Das allerübelste dabey ist, daß es gewisse Musiken giebt, wo auch das fürtreflichste Preludium den Ausdruk, der in dem Anfange der Musik liegt, vertilgen kann.«

»Es giebt eine Menge Stüke, die den Namen Preludium führen, auf denen gemeiniglich eine Fuge folgt, die aber keinen bestimmten Charakter haben, und selten zu Vorspielen geschikt sind. Oft sind es ganz strenge, oft freyere Fugen, oft sind sie von einer taktlosen Phantasie nur durch den Takt unterschieden, oft auch ist es ein bloßer Saz von 6 oder 8 Noten, der beständig entweder in der geraden oder Gegenbewegung gehöret wird, und womit auf eine künstliche Art moduliret wird etc. Die besten Preludien sind ohnstreitig die von J. S. Bach, der deren eine Menge in allen Arten gemacht hat.«

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 924-925.
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